Interview: Gegen Entlassungen in Frankreich

28.01.2013, Lesezeit 5 Min.
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500 Menschen trafen sich in einer Pariser Eliteuni, um Kämpfe gegen Fabrikschliessungen zu koordinieren. Ein Gespräch mit Guillaume Loïc, Student der Politikwissenschaft an der Pariser Universität "Sciences Po" und Mitglied der Neuen Antikapitalistischen ­Partei (NPA) sowie der Revolutionär-Kommunistischen Strömung (CCR) innerhalb der NPA.

Letzten Donnerstag versammelten sich 500 Menschen an der Pariser Eliteuni "Sciences Po", um Kämpfe gegen Entlassungen und Kürzungen zu koordinieren. Wie ist das Treffen gelaufen?

Das Ziel war die Zusammenführung von Belegschaften verschiedener Firmen, die aktuell gegen Entlassungen kämpfen. Wir brauchen eine Alternative zu den Führungen der großen Gewerkschaften, die angesichts der Angriffe der Unternehmer und der Regierung passiv bleiben oder im schlimmsten Fall offen daran mitwirken.

Dazu müssen wir ein Solidaritätsgefühl bei den Studierenden wecken. Da 500 Leute dabei waren, halte ich es für einen wichtigen ersten Schritt, um eine dauerhafte Einheit der kämpferischen ArbeiterInnen zu etablieren und konkrete Solidarität an den Unis zu organisieren. Es hat auch etwas Subversives, diese Versammlung im größten Hörsaal der Eliteuni "­Sciences Po" zu organisieren, da dieser Raum sonst RegierungsvertreterInnen und CEOs vorbehalten bleibt.

Welche Kürzungen finden unter der Regierung von François Hollande statt?

Unter Hollande werden die Forderungen, die die Konzerne unter der rechten Vorgängerregierung nicht durchsetzen konnten, endlich erfüllt. Das Abkommen zur "Flexisecurité", zur "flexiblen Sicherheit", das unter der Federführung von Hollande zwischen dem Unternehmerverband und den größten Gewerkschaften ausgehandelt wurde, beinhaltet die schwersten Angriffe auf die Rechte der ArbeiterInnen seit Jahrzehnten: Befristete Jobs und unsichere Verträge werden zur Regel gemacht.

Parallel zu diesen Abmachungen, für die Hollande viel Lob in den bürgerlichen Medien bekommt, gibt es Pläne für Entlassungen im ganzen Land. Im kommenden Jahr sollen in ganz Frankreich 400.000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Manche hatten Hoffnungen auf einen Wandel, als Hollande gewählt wurde, aber seine Regierung setzt die "Sparpolitik" noch effizienter um, als es Sarkozy getan hat.

Welche Delegationen nahmen an der Versammlung teil?

Es gab Delegationen aus vielen Unternehmen, wo gerade Kämpfe stattfinden. Zum Beispiel Autoarbeiter von PSA und Renault, vor allem aus der PSA-Fabrik in Aulnay, die laut den Plänen des Konzerns bis 2014 schließen soll. Die Teilnahme der AutoarbeiterInnen war besonders wichtig, da in diesem Sektor eine historische "Umstrukturierung" mit vielen Entlassungen stattfindet. Ein Fünftel der Industriearbeitsplätze in Frankreich hängt an der Autobranche. Im Sommer kündigte PSA 8.000 Stellenstreichungen an, und erst zehn Tage vor unserer Versammlung gab auch Renault bekannt, 7.500 Jobs vernichten zu wollen. Dadurch sollen die Profite erhöht werden. Seit vorletzter Woche wird die PSA-Fabrik in Aulnay bestreikt, seit letzter Woche sind die Arbeiter ausgesperrt.

Auf der Versammlung waren auch Beschäftigte von Air France, wo 4500 Arbeitsplätze wegfallen sollen, und von der Goodyear-Autoreifenfabrik in Amiens, wo seit 60 Monaten gekämpft wird. Auch Arbeiter aus dem Einzelhandel (3 Suisses und Virgin) sowie MigrantInnen ohne Papiere und prekär Beschäftigte der Universität waren dabei.

Was waren die Schlussfolgerungen des Treffens?

Erst mal ein tiefes Misstrauen in die "friedlichen Verhandlungen" der Gewerkschaftsspitzen. ArbeiterInnen müssen sich gemeinsam gegen diese Entlassungswelle zur Wehr setzen, und zwar in einer einheitlichen Front. Die Gewerkschaften sollten nicht nur für einzelne Standorte kämpfen, sondern für die gesamte Klasse.

Wir sollten nicht für Abfindungen für Entlassene eintreten, sondern für den Erhalt der Arbeitsplätze. Wenn es angeblich kein Geld dafür gibt, sollten wir einen Blick in die Geschäftsbücher verlangen.

Wichtig war die Intervention von Manu Georget, einem Arbeiter aus der – inzwischen geschlossenen – Fernsehfabrik von Philips in Dreux. Er und seine Kollegen haben eine Erfahrung mit Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle gemacht. Manu vertrat die radikalen Streiks von 2009, wo auch Manager entführt wurden ("Bossnapping"), und er stellte eine Verbindung mit den Kämpfen von vor drei Jahren her. Denn die Lehren von damals müssen den Kämpfen von heute nutzen. Gerade die Produktion unter Arbeiterkontrolle zeigt eine gute Alternative zu Schließungen: Wenn die Bosse entlassen wollen, dann entlassen wir die Bosse! Bosse brauchen ArbeiterInnen, aber ArbeiterInnen brauchen keine Bosse.

Schließlich müssen Studierende Wege finden, um konkrete Solidarität mit ArbeiterInnenkämpfen zu zeigen, denn eine Einheit zwischen beiden Sektoren kann geradezu explosiv sein.

Was sind die nächsten Schritte gegen die Sparpolitik?

Die nächsten Proteste werden nicht von den Gewerkschaften organisiert, sondern von den kämpferischen ArbeiterInnen selbst. Am 29. Januar wird eine Kundgebung vor dem Arbeitsministerium stattfinden. Dort sollen verschiedene Belegschaften zusammenkommen, denn in vielen Sektoren laufen jetzt Streiks. Diese Kundgebung soll Auftakt für die Gründung eines Kollektivs zur Verteidigung der Arbeitsplätze sein. Außerdem organisieren wir einen Block von solidarischen Jugendlichen und Studierenden. Unter dem Motto vom Mai 1968: "Das ist nur der Anfang!"

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