Internationale Gewerkschaften fordern Waffenstillstand in Gaza – und der DGB?

13.02.2024, Lesezeit 6 Min.
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Eisenbahngewerkschafter:innen auf einer Demonstration für Palästina in Berlin im vergangenen Dezember. Bild: Ayrin Giorgia / Klasse Gegen Klasse

Zahlreiche internationale Gewerkschaftsverbände rufen nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs zum Genozid in Gaza zur gemeinsamen Aktion auf. DGB-Gewerkschaften gehören diesen Verbänden an – doch bleiben sträflich still.

Mehrere internationale Gewerkschaftsverbände fordern nach dem vorläufigen Urteil des Internationalen Gerichtshofs über den Genozid in Gaza zum gemeinsamen Einsatz für einen Waffenstillstand auf. Außerdem fordern sie von den Regierungen, den Entzug von Geldern für das Hilfswerk der Vereinten Nationen, UNRWA, zu überdenken. „Unsere Mitglieder in Gaza werden getötet, während sie ihrer Arbeit nachgehen, darunter Lehrer:innen, Gesundheitsarbeiter:innen, Transportarbeiter:innen, Journalist:innen, UN-Personal, Beschäftigte internationaler Hilfsorganisationen und viele weitere“, heißt es in dem Statement.

Die Resolution wurde von der Bildungsinternationale, der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), dem Industriegewerkschaftsverband IndustriALL, die Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI), die Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD) und dem Verband UNI Global Union unterzeichnet. Gemeinsam vertreten sie Millionen von Mitgliedern auf der ganzen Welt in allen Branchen der Wirtschaft. 

Besonders die ITF hat sich schon vor Monaten in Solidarität mit Palästina positioniert. Schon im November 2022 forderte der Verband, dem rund 700 Gewerkschaften in etwa 150 Ländern angeschlossen sind, die israelische Regierung auf, Angriffe auf Zivilist:innen zu unterlassen und die Ausweitung der Besatzung durch illegale Siedlungen zu beenden. Am internationalen Tag der Solidarität mit Palästina, dem 23. November, gab die ITF vergangenes Jahr bekannt, einen Solidaritätsfonds für palästinensische Arbeiter:innen und Gewerkschafter:innen sowie deren Familien einzurichten, um unmittelbare Hilfe und langfristige Unterstützung zu leisten.

In den USA haben die Automobilgewerkschaft UAW, die Lehrkräftevereinigung AFT und mit der AFL-CIO der größte Gewerkschaftsverband des Landes in Resolutionen für einen Waffenstillstand ausgesprochen. Belgische Luftfahrtgewerkschaften haben mit einem gemeinsamen Statement ihre Mitglieder dazu aufgerufen, Waffenlieferungen nach Israel zu verhindern. In Barcelona haben sich Hafenarbeiter:innen ebenso dazu verpflichtet, keine militärischen Güter nach Israel zu verladen. 

Deutsche Gewerkschaften, brecht das Schweigen!

Von den Führungen deutscher Gewerkschaften ist nichts Vergleichbares zu hören. Seit Monaten herrscht bitteres Schweigen. Die GEW betonte in einem öffentlichen Statement zwar immerhin, dass man auch über die humanitäre Lage im Gazastreifen besorgt sei. Doch zu der Forderung nach einem Waffenstillstand konnte sich die Führung der Bildungsgewerkschaft nicht durchringen. Stattdessen legte sie den Schwerpunkt auf die „Solidarität mit der israelischen Bevölkerung“ und betonte obendrein das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Damit liegt die GEW-Position weitgehend auf Linie mit den letzten Aussagen von Außenministerin Annalena Baerbock, die letztlich das israelische Massaker unterstützt. Internationale Solidarität sieht anders aus. 

Die Spitze der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beschränkte sich darauf, am 9. Oktober ihre „Solidarität mit den israelischen Kolleginnen und Kollegen“ auszudrücken. Kein Wort seitdem zum Leid der Millionen Menschen in Gaza. Der Gewerkschaftstag der IG Metall nahm Ende Oktober vergangenen Jahres zwar einen Antrag des Vorstands an, in dem davon die Rede war, dass man „alle diplomatischen Bemühungen diese humanitäre Versorgung sowie einen Waffenstillstand in der Region zu erreichen“ unterstütze. Öffentlich war davon jedoch kaum etwas zu hören. Auch hinderte es etwa die IG Metall in Braunschweig nicht daran, gemeinsam mit weiteren Gewerkschaftsgliederungen „Solidarität mit Israel“ zu demonstrieren – also letztlich die Massaker in Gaza zu decken. Bei den weiteren Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund sieht es ähnlich aus. Auch der DGB selbst stellte sich an die Seite der Bundesregierung, rief Ende Oktober zur Solidarität mit Israel auf und schürte damit auch den grassierenden antimuslimischen Rassismus. 

An der Basis der DGB-Gewerkschaften sieht es derweil anders aus. Zuletzt erregte eine Erklärung Aufmerksamkeit, in der Gewerkschafter:innen sich für einen sofortigen Abzug israelischer Truppen aus Gaza sowie ein Ende des Bombardements und der Blockade von Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten und Treibstoff aussprachen. 

Nun ist es dringend an der Zeit, dass sich die deutschen Gewerkschaften ihren internationalen Verbänden anschließen und internationale Solidarität praktizieren. Die IG Metall und die IG BCE gehören zu IndustriALL, die IG Bau zur BHI, ver.di und die EVG zur ITF, die GEW zur Bildungsinternationale. Dem Exekutivkomitee von IndustriALL gehören sogar vier deutsche Gewerkschafter:innen an, darunter auch Jörg Hofmann, der bis 2023 Erster IGM-Vorsitzender war. 

An die Tradition der internationalen Solidarität anknüpfen

Bei Aufrufen darf es jedoch nicht bleiben. Die Millionen Beschäftigten in Industrie und Logistik, die die Verbände vertreten, haben die Macht, den Kriegstreiber:innen einen schweren Schlag zu versetzen. Gerade die ITF verkörpert diese Tradition der internationalen Solidarität. Ende des 19. Jahrhundert aus international vernetzten Streiks von Hafenarbeitern in Hamburg und London hervorgegangen, organisierte der Verband über viele Jahrzehnte hinweg immer wieder internationale Solidarität. Im polnisch-sowjetischen Krieg verhinderten seine Mitgliedsgewerkschaften Waffenlieferungen an Polen, den großen Streik im britischen Bergbau unterstützten sie durch einen Boykott von Kohlelieferungen auf die Insel. 

Auch die deutschen Gewerkschaften sind Teil dieser Tradition. Die ITF unterstützte während der Herrschaft des Faschismus in Deutschland den Widerstand von Transportarbeiter:innen im Untergrund. Als die ITF 1950 den Streik der maritimen Gewerkschaften in Argentinien gegen das peronistische Regime mit einem Boykott unterstützen wollten, standen die Mitglieder der ver.di-Vorgängerorganisation, die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), an den Häfen fest zusammen, weigerten sich, argentinische Frachter zu bearbeiten und hielten auch der massiven Hetze in der Presse und im Bundestag stand. An diese Tradition der praktischen internationalen Solidarität der Arbeiter:innenklasse gilt es heute anzuschließen.

Eine Gelegenheit, um diese Solidarität zumindest symbolisch zum Ausdruck zu bringen, steht ins Haus. Am kommenden Wochenende findet in München die alljährliche Sicherheitskonferenz statt. Dagegen sind breite Proteste geplant, zu denen auch ver.di und die GEW aufrufen. Ebenso werden zahlreiche palästina-solidarische Aktivist:innen und Organisationen an der Demonstration am 17. Februar teilnehmen.

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