Der Antisemit Henry Ford und die FU Berlin

09.12.2023, Lesezeit 6 Min.
1
Bild: Berlin Dahlem 2022: Das Henry Ford Building ist eines der repräsentativen Gebäude der Freien Universität Berlin (FU) und wurde 1954 nach Plänen der Architekten Sobotka und Müller erbaut. / Mo Photography Berlin @shutterstock.com

Wir veröffentlichen die Rede von Nathaniel, Tourguide, Historiker und ehemaliger Student der Freien Universität Berlin. Die Rede hielt er an der Kundgebung gegen den Genozid in Gaza vor dem Henry-Ford-Bau der FU Berlin.

Hallo Freunde und Genoss:innen. Mein Name ist Nathaniel und ich bin Historiker – ich habe meinen Abschluss in Geschichte hier an der Freien Universität gemacht.
Gerade jetzt treffen sich die Würdenträger der FU hier im Henry-Ford-Gebäude. Wer war Henry Ford?

Lasst mich aus einem Bericht der New York Times vom 20. Dezember 1922 zitieren, nachdem der Berlin-Korrespondent der Zeitung das Nazi-Hauptquartier besucht hatte:
„Die Wand neben seinem Schreibtisch in Hitlers Privatbüro ist mit einem großen Bild von Henry Ford geschmückt. Im Vorzimmer steht ein großer Tisch, der mit Büchern bedeckt ist, von denen fast alle eine Übersetzung eines von Henry Ford geschriebenen und veröffentlichten Buches sind.“
Ja, Henry Ford ist für das Modell T und das Fließband bekannt. Aber Henry Ford war auch einer der perfidesten Antisemiten, die je gelebt haben. Ford veröffentlichte Dutzende von Artikeln, in denen er Juden angriff. Diese wurden in vier Pamphleten mit dem Titel „The International Jew: Das größte Problem der Welt.“ gesammelt. Fords Bücher wurden ins Deutsche übersetzt und inspirierten die Nazis. Der Naziführer Baldur von Schirach sagte: „Ich habe [Fords] Buch gelesen und wurde antisemitisch.“

Henry Ford unterstützte die Nazis nicht nur politisch. Er schenkte ihnen große Geldsummen – Ford schenkte Hitler 35.000 Reichsmark zu seinem 50sten Geburtstag. Im Gegenzug erhielt Ford den Verdienstorden des Deutschen Adlers, die höchste Auszeichnung der Nazis für Ausländer, die auch Mussolini verliehen wurde. Auch nach Kriegsbeginn fand die Ford Motor Company Wege, Fahrzeuge für die Kriegsmaschinerie der Nazis zu produzieren und Sklavenarbeit auszubeuten.
Wie ist es möglich, dass das Hauptgebäude der Freien Universität nach einem Antisemiten und Förderer Hitlers benannt ist? Als das Gebäude vor 15 Jahren umgestaltet wurde, gab es viel Kritik. Die Leitung der FU stellte eine erstaunliche Behauptung auf: Das Gebäude ist nicht nach dem Antisemiten Henry Ford benannt. Moment mal, ist es das nicht? Nein, angeblich ist es nach dem Enkel von Henry Ford, Henry Ford II, benannt.
Schauen wir uns um. Sieht jemand das Henry-Ford-II-Gebäude? Sieht jemand „den Zweiten“ oder „Junior“? Nein.

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten werden in Deutschland Gebäude nicht nach lebenden Personen benannt. Henry Ford II lebte, als dieses Gebäude eröffnet wurde – Henry Ford I war gerade gestorben. Wäre es nach Henry Ford II benannt, was es nicht ist, wäre es das einzige Universitätsgebäude in Deutschland, das nach einer lebenden Person benannt ist. Die FU-Leitung hat nie einen einzigen Beweis für ihre Behauptung gefunden. Vor 2007 hat kein einziger Mensch Henry Ford II erwähnt.
In einer offiziellen FU-Publikation hat ein ehemaliger Maoist, der eine Karriere mit der Veröffentlichung lächerlicher Propaganda über Ostdeutschland gemacht hat, versucht, diese Lüge zu „beweisen“. Auch er hat nicht einen einzigen Beweis gefunden. Auf einem Dutzend Seiten bietet dieser sogenannte Historiker nur ein einziges Argument: Er sagt, dass bei der Einweihungsfeier eine Reihe von Juden anwesend waren. Wäre diese nach Henry Ford I. benannt worden, hätten sie sicherlich Einspruch erhoben.

Dieses Argument ist nicht nur dumm, es ist wirklich beleidigend. Können Sie sich das vorstellen? Im Westdeutschland der Nachkriegszeit wurde alles von Nazis regiert. Fast alle Richter, alle Polizisten, alle Offiziere der Armee, alle staatlichen Bürokraten, die Lehrer – sie alle waren Nazis. Nach Ansicht der Leitung der Freien Universität hätte die winzige Zahl jüdischer Überlebender in Berlin herumlaufen und ständig lauthals schreien müssen: „Du bist ein Nazi! Und du bist ein Nazi! Und du bist ein Nazi!“ Und wenn sie nicht so geschrien haben, sagt die FU, dann müssen das keine Nazis gewesen sein. Das ist zutiefst beleidigend für Juden. Aber es ist auch zutiefst beleidigend für Historiker, solche Fake News zu verbreiten. Und was wäre, wenn das Gebäude nach Henry Ford II. benannt wäre? Dann wäre es nach jemandem benannt, der ein riesiges Vermögen geerbt hat, das durch die Unterstützung Hitlers und die Ausbeutung von Sklavenarbeit zustande kam. Meiner Meinung nach ist das nur wenig besser.

Ist Henry Ford der einzige Antisemit, den die FU heute ehrt? Nein. Nicht einmal annähernd. Die FU ist stolz darauf, mit der Fritz Thyssen Stiftung zusammenzuarbeiten. Thyssen war ein Kapitalist, der Hitler bezahlte. Woher wissen wir das? Weil Thyssen ein Buch mit dem Titel „Ich habe Hitler bezahlt“ veröffentlicht hat. Die FU wirbt in ähnlicher Weise für die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Krupp ist ein verurteilter Nazi-Kriegsverbrecher, der mit der Ausbeutung von Sklavenarbeit Milliarden verdient hat. Die FU wird von der Herbert-Quandt-Stiftung unterstützt – einem weiteren Nazi-Kriegsverbrecher. Von der Volkswagen-Stiftung, die von den Nazi-Kriegsverbrechern des Porsche- und Piech-Clans gegründet wurde, wollen wir gar nicht erst anfangen.
Die FU fungiert als große PR-Agentur, um das Blut vom Nazigold abzuwaschen. Es ist schön, dass die FU-Führung sagt, sie wolle sich gegen Antisemitismus stellen. Aber das tun sie nicht. Dabei wäre es so einfach: Schluss mit der Ehrung von Nazi-Kriegsverbrechern! Hört auf, Antisemiten zu ehren! Schande über euch, FU!

Zum Schluss – habe ich noch eine Minute? – habe ich eine Idee für die Umbenennung dieses Gebäudes. Wir könnten es nach dem interessantesten Professor benennen, der jemals an der FU gelehrt hat. Ernest Mandel war ein belgischer Wirtschaftswissenschaftler. Vor 50 Jahren hielt er Vorlesungen über den „Spätkapitalismus“, die jede Woche über 1.000 Studenten anzogen. Mandel war gerade 17 Jahre alt, als die Nazis in Belgien einmarschierten, und er schloss sich sofort dem Widerstand im Untergrund an. Die meisten seiner Genoss:innen und die meisten seiner Familienangehörigen wurden getötet. Er wurde zweimal verhaftet, überlebte aber den Holocaust. Er widmete sein Leben dem Verständnis des Kapitalismus, um gegen ihn zu kämpfen. Er sollte ein regulärer Professor an der FU werden, aber die westdeutsche Regierung verbot ihm die Ausreise. Können Sie sich das vorstellen? Ein jüdischer Professor, der wegen seiner politischen Überzeugungen aus Westdeutschland ausgewiesen wurde. Wir sollten das Gebäude nach ihm benennen: Ernest-Mandel-Bau!

Mehr zum Thema