Hafenstreik gegen Inflation: Angriff durch Polizei und Gerichte

15.07.2022, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Inés In

Am Donnerstag und Freitag traten tausende Beschäftigte der großen deutschen Containerhäfen für 48 Stunden in den Streik. Die Polizei griff die Streikdemo an. Weitere Streiks bleiben bis Ende August gerichtlich verboten.

Die deutschen Nordseehäfen sind seit Donnerstag Morgen in den längsten Streik seit 40 Jahren getreten. Am Freitag Vormittag versammelten sich tausende Streikende zur zentralen Demonstration in Hamburg. Die Gewerkschaft ver.di verhandelt für die 12.000 Beschäftigten an den Standorten Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Brake und Wilhelmshaven mit dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) über eine Erhöhung der Gehälter. Ver.di fordert einen Inflationsausgleich von aktuell circa 7,8 Prozent, eine Gehaltssteigerung von 1,20 Euro pro Stunde und weitere Zuschläge je nach Arbeitsbereich für ein Jahr. Das entspricht einer Forderung von bis zu 14 Prozent mehr Gehalt. Der ZDS will 12 Prozent mehr anbieten, allerdings bei einer Vertragslaufzeit von 24 Monaten. Die Gewerkschaft lehnt das Angebot ab, weil die Arbeiter:innen das Risiko der Inflation im zweiten Jahr selbst tragen müssten.

Skandalurteil: Gericht verbietet Streiks

Am Donnerstag stellten verschiedene Logistikunternehmen vor den Arbeitsgerichten in Hamburg, Bremen, Oldenburg und Wilhelmshaven Anträge auf einstweilige Verfügungen, um die Streiks verbieten zu lassen. Geklagt hatten laut einer Gerichtssprecherin das Hamburger Hafenlogistikunternehmen HHLA sowie deren Bremer Konkurrent Eurogate. Die Gerichte ließen den 48-stündigen Streik zwar zu, doch weitere Arbeitsniederlegungen sind in Hamburg und Bremen bis zum 26. August verboten. Vor dem Arbeitsgericht Hamburg war es zu einem Vergleich zwischen den Klägern und der Gewerkschaft ver.di gekommen, nachdem das Gericht die formalen Voraussetzungen des Streiksbeschlusses in Frage gestellt hatte. De facto handelt es sich hier um ein juristisch durchgesetztes Streikverbot im Interesse der Unternehmen, wie auch Deniz Askar, Vertauensleutesprecher bei der Firma Eurogate Hamburg betonte: „Wir gehen auf die Straße, weil das Streikrecht gebrochen worden ist.“

Neben dem juristischen Angriff auf die Streikenden kam es bei der Demonstration am Freitag auch zu Gewalt durch die Polizei. Diese schlug nach den Hafenarbeiter:innen und ging mit Pfefferspray gegen sie vor. Ein Video zeigt wütende Kolleg:innen, die die behelmten Polizist:innen zurückdrängen. Andere Aufnahmen zeigen, wie Polizist:innen einen Arbeiter bei einer Festnahme grob gegen ein Polizeifahrzeug drücken. Auch unser Korrespondent:innen von Klasse Gegen Klasse wurden von der Polizei angegriffen. Es sind Bilder, wie sie auf den meist friedlich ablaufenden Streiks in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr zu sehen waren. Es veranschaulicht die aufgeladene Stimmung: Hier geht es nicht wie sonst nur um ein paar Prozent mehr Lohn. Hier geht es darum, wer die Krise zahlen soll.

Streik mit historischer Tragweite

Der Streik hat schon jetzt eine historische Tragweite angenommen. Denn mit den Häfen tritt einer der zentralen Sektoren der deutschen und europäischen Logistik erstmals seit Jahrzehnten in den Kampf, in einer Situation, die wegen des Krieges, der Inflation und der Energiekrise höchst angespannt ist. Die Bundesregierung will die Kosten für die Krise auf dem Rücken der Arbeiter:innen und Armen abwälzen. Die Hafenarbeiter:innen streiken dagegen, dass ihre Reallöhne weiter fallen und stellen so den Kurs der Regierung in Frage.

In Interviews mit Klasse Gegen Klasse betonten mehrere Kolleg:innen, dass sie nicht nur für ihre eigenen Lohnforderungen kämpfen, sondern auch für die sozialen Belange der breiten Bevölkerung. So meinte etwa der Arbeiter Angelo: „Wir sind hier, weil wir es Leid sind, dass sich die Obrigkeiten die Taschen so voll stopfen und es für die Kolleginnen und Kollegen immer weniger Arbeitsplätze gibt und das Geld immer weniger wird. Wir müssen tanken, Brot und Butter kaufen und wir sind dafür, dass das Geld vernünftig verteilt wird.“

Auch das Thema Waffenexporte wird von der Gewerkschaft ver.di mit einer Volksinitiative thematisiert. Hafenarbeiterin Jana K. meint dazu gegenüber Klasse Gegen Klasse „Wir wissen, dass Rüstungsexporte stattfinden, wir können sie nicht verifizieren. Es gibt ein großes Interesse von Kolleginnen und Kollegen aus Genua, die das auch hier thematisieren wollen. Die haben es geschafft, dass keine Rüstungsexporte mehr stattfinden. Es sollte auch unser Ziel sein, daran zu arbeiten.“

Der heutige Hafenstreik verdeutlicht, dass der Klassenkampf mit Wucht auch nach Deutschland kommt. Mit seinen Forderungen geht der Streik ein Stück weit über die sozialpartnerschaftliche Logik hinaus – bei der die Gewerkschaftsbürokratie zwischen Bossen und Arbeiter:innen vermittelt. Die Beschäftigten wollen sich nicht damit zufrieden geben, die Forderungen „verantwortungsvoll“ gegenüber den Unternehmen zu mäßigen. Mit seiner zentralen Stellung in der Logistik stellt der Streik aktiv die Kriegs- und Krisenlogik der Bundesregierung in Frage. Damit kann er auch ein Signal für weitere Sektoren sein. Im Herbst stehen Tarifverhandlungen für 3,6 Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie an. Die Regierung fordert Zurückhaltung und hat bereits die Gewerkschaften und Konzernverbände zum Runden Tisch geladen. Doch die Forderung der IG Metall nach acht Prozent mehr Lohn verspricht durchaus eine dynamische Streikrunde.

 

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