Goodyear und Michelin: So können wir die Werksschließungen verhindern

15.12.2023, Lesezeit 10 Min.
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Quelle: Fabio Pagani / shutterstock.com

Die Reifenhersteller Goodyear und Michelin haben verkündet, dass die Werke in Karlsruhe, Trier, Fürstenwalde und Fulda geschlossen werden. Doch die Kolleg:innen haben Möglichkeiten, sich zu wehren und die Werke sogar zu erhalten.

„Wie ein Schlag in die Magengrube“, so beschrieb ein Kollege von Goodyear Fulda gegenüber Klasse Gegen Klasse die über 500 Kündigungen, die Mitte des Jahres bekannt wurden. Nun haben die Bosse erneut zum Angriff geblasen und kündigten an, die „Gummi“ in Fulda ganz zu schließen. Bereits 2019 wurden 450 Stellen in Fulda und 600 Stellen in Hanau gestrichen. Innerhalb weniger Jahre fallen allein bei Goodyear Fulda fast 2.000 Arbeitsplätze in der Region weg. Auch die Kolleg:innen bei Goodyear Fürstenwalde sind betroffen, dort verlieren schrittweise bis Ende 2027 930 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Doch damit nicht genug: Auch Michelin hat angekündigt, zwei Werke in Karlsruhe und Trier bis Ende 2025 zu schließen. Betroffen sind über 1.500 Beschäftigte. Insgesamt fallen also fast 4.000 Arbeitsplätze in der Reifenproduktion weg. Gerade kurz vor Weihnachten ist so ein Angriff der Bosse für die Kolleg:innen und ihre Familie besonders bitter.

Gewerkschaften zwischen Protest und Verhandlung

Der Kahlschlag in der Branche kommt nicht nur zur Unzeit, er folgt zweifelsfrei nur einer Logik: Der Gier nach Profit ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. „Michelin wolle allein den Profit maximieren“, paraphrasierte das SWR Matthias Hille, Leiter des Bezirk Mainz der IG BCE. Er erwarte, dass Michelin dialogbereit sei. Ähnliche Statements hat man auch von Seiten der IG BCE in Fulda seit Jahren zu hören bekommen. Sowohl bei den Entlassungen 2019 als auch bei denen im Juli diesen Jahres wurden von Seiten der Gewerkschaftsführung auf Verhandlungen hinter verschlossenen Türen gesetzt. Zweimal gab es nicht mal Warnstreiks. Auch dieses Mal gibt es Verhandlungen zwischen der Unternehmensführung und dem Betriebsrat. In Fürstenwalde gab es immerhin eine Betriebsversammlung mit anschließender Protestkundgebung, bei der die Stimmung wohl ziemlich aufgeheizt war.

Doch die „Dialogbereitschaft“ der Bosse geht meist nicht besonders weit. Das zeigen nicht nur die Angriffe in den vergangenen Jahren, sondern hat konkrete Gründe. Ein ehemaliger Beschäftigter bei Goodyear Fulda kommentiert gegenüber Klasse Gegen Klasse: „Die Werksschließungen bei Goodyear und Michelin sind krass. Aber wenn man mal drüber nachdenkt, nicht überraschend. Im Prinzip zwingen sich Aktienunternehmen selber dazu, billiger zu produzieren, weil sie immer im Interesse der Aktionäre handeln müssen.“ Genau diese Logik bringt sie dazu, die Produktion – egal wie profitabel sie ist – an vermeintlich billigere Standorte zu verlegen oder ganz einzustellen und in andere Sektoren zu investieren. Hier werden die Kolleg:innen in Deutschland gezielt gegen die in anderen Ländern von den Bossen ausgespielt. Wir dürfen uns dieser Spaltung nicht unterordnen. Auch die Strategie, nur auf Verhandlungen zu setzen, führt bestenfalls dazu, dass es einen besseren Sozialtarifvertrag mit höheren Abfindungen gibt, aber nicht dazu, dass die Werke erhalten bleiben.

Die Bosse können gehen, die Werke bleiben hier!

Die „Friedhofsstimmung“ hat sowohl mit der Politik des Betriebsrats und der IG BCE zu tun. Aus der Belegschaft kam immer wieder Kritik am Betriebsrat auf, der vermittelnd gegenüber den Bossen auftritt: „Was ich bestätigen kann, ist, dass sich auch viele vom Betriebsrat verlassen gefühlt haben. Und das schon lange vor dem Stellenabbau. Es gab in der Vergangenheit oft Tarifverträge, bei denen die Arbeiter schlecht rausgekommen sind.“

Wir können uns also weder auf die Bosse, noch auf den Betriebsrat und die Gewerkschaft verlassen, wenn wir Goodyear erhalten wollen. Es braucht eine eigenständige Selbstorganisation der Kolleg:innen, die demokratisch bestimmt, welche Aktionen und Streiks durchgeführt werden sollen, welche Angebote angenommen und abgelehnt werden – und das nicht nur durch einige wenige Vertreter:innen, sondern durch basisdemokratische Abstimmungen. Dafür braucht es regelmäßige Versammlungen, an denen alle Kolleg:innen teilnehmen und offen diskutieren können. Ziel sollte es unserer Meinung nach sein, die Werke in Fulda, Fürstenwalde, Trier und Karlsruhe den Bossen zu entreißen, und unter demokratischer Kontrolle der Belegschaft die Werke weiterzuführen. Wie eine solche „Umstrukturierung“ im Sinne der Arbeiter:innen konkret aussieht, muss in den Händen der Kolleg:innen liegen.

Eine Selbstorganisation kann allerdings nicht von der Politik gegenüber den großen Gewerkschaften getrennt werden. Es braucht auch einen Kampf in den Gewerkschaften um die Kolleg:innen, die noch Illusionen in die Bürokratie hegen, zu überzeugen, eine alternative Führung aufzubauen, um die IG BCE dazu zu bringen, alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für den Kampf um den Erhalt einzusetzen.

Auf die Politik ist kein Verlass

Das Beispiel Goodyear Fulda zeigt auch zu gut, dass auf die Politiker:innen kein Verlass ist. CDU, SPD und FDP fordern im Fuldaer Kreistag zwar im Einklang ein Konzept, dass die von Arbeitslosigkeit betroffenen Beschäftigten bei Goodyear in Fulda „bestmöglich“ unterstützt, aber gegen die Ursache der Arbeitslosigkeit – die Werksschließung – fällt ihnen nichts ein.

Auch die Rechten haben nichts grundlegend anderes anzubieten. Die AfD fordert noch rechtliche Beratung und Unterstützung bei der Finanzplanung, aber auch sie sind nicht für den Erhalt des Werkes. Sie schieben die Schuld für die Schließung der Gummi auf die Altparteien und fordern im gleichen Atemzug Steuersenkungen für die Großaktionär:innen. Dabei hat sie auch kein Problem damit, die Umwelt zu zerstören, um möglichst billige Energie zu liefern. So wird weder die Gummi noch die Umwelt gerettet. Ganz im Gegenteil.

Der extrem rechte Ex-Republikaner Anton Josef Rummel äußert sich sogar extrem zynisch: „Wenn ein Unternehmen keinen Gewinn macht, geht es in Insolvenz – es wurde 40 Jahre an der Realität vorbeigeredet. Auch wer die Gummiwerke kauft, wird sie vielleicht vier Jahre in Fulda halten können – der Käse ist gegessen.“ Solche Sätze sind ein Schlag ins Gesicht für alle hart arbeitenden Kolleg:innen. Dass das Unternehmen seinen Aktionär:innen und der Führungsetage Millionen und Milliarden in den Rachen wirft, verschweigt der Rechtsradikale sicherlich nicht unbewusst.

Sowohl Konservative als auch Rechte hetzen immer wieder gegen Migrant:innen. Dabei spalten sie mit dieser Politik auch die Belegschaft, die selbst multiethnisch ist. „Es gibt schon viele Leute aus Türkei und Russland. Die meisten sind aber schon seit Jahrzehnten hier“, äußert sich ein Kollege gegenüber Klasse Gegen Klasse. Wir müssen gegen die Hetze und für die Einheit aller Beschäftigten eintreten. Übrigens auch mit den Kolleg:innen, die als Rhenus-Leiharbeiter:innen im Lager arbeiten.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es keine Partei gibt, die konsequent für den Erhalt des Werkes eintritt. Die Kolleg:innen sind bis auf geringfügige Versprechungen auf sich selbst gestellt.

Aus vergangenen Kämpfen lernen, heißt siegen lernen

Vor einer ähnlichen Situation wie heute die Goodyear- und Michelin-Beschäftigten standen die Kolleg:innen beim Allgäuer Traditionswerk Voith in Sonthofen. Dort wurden über 500 Jahre lang Metall verarbeitet und zuletzt hauptsächlich Getriebe hergestellt, bevor die Bosse das Werk schließen wollten. Kämpferische Kundgebungen wie in Fürstenwalde standen dort an der Tagesordnung. Auch Streik und sogar weitergehende Methoden, wie die zwischenzeitliche Blockade des Werktors, wurden genutzt, um die Arbeitsplätze zu verteidigen. Die Forderung der Kolleg:innen war klar: „Voith kann gehen, wir bleiben hier!“ Trotz Streik und der hohen Kampfbereitschaft konnten die Bosse das Werk letztlich schließen. Grund dafür ist auch die Politik der IG-Metall-Führung. Von Anfang an waren sie ausschließlich für einen Streik für einen möglichst guten Sozialtarifvertrag. Die Forderung zum Erhalt des Werkes nahmen sie nicht auf, auch weil sie einer Konfrontation mit der Geschäftsführung und der Politik aus dem Weg gehen wollten. Schließlich wurden die Kolleg:innen vor die Wahl gestellt: Sozialtarifvertrag oder gar nichts. So wurde die Kampfbereitschaft und der Wille zum Erhalt des Werkes von der eigenen Gewerkschaftsführung gebrochen.

In einer Bilanz zum Kampf bei Voith schrieben wir:

Doch was gefehlt hat, um sich von der Gewerkschaftsführung nicht den Schneid abkaufen zu lassen, war eine Selbstorganisierung der Basis. Es wäre nötig gewesen, in Streikversammlungen einen Kampfplan für eine Ausweitung des Streiks, Mobilisierungen und einer bundesweiten Solidaritätskampagne als Alternative zur Verhandlungstaktik vorzuschlagen und auch gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie durchzusetzen.

Genau das sollten sich die Kolleg:innen in Karlsruhe, Trier, Fulda und Fürstenwalde auch zum Vorbild nehmen. Auch die IG BCE hat gezeigt, dass ihr Kampfwille kaum bis gar nicht vorhanden ist. Eine solche Selbstorganisation kann Garant dafür sein, dass berechtigte Forderungen nach entschädigungsloser Enteignung und Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten tatsächlich durchgesetzt werden können.

Was gerade sicherlich weit weg und nach einem schönen Traum klingt, ist anderenorts schon zur Realität geworden. Den Beschäftigten bei GKN Driveline in Florenz wurde Mitte 2021 mitgeteilt, dass ihr Werk geschlossen werde und sie arbeitslos seien. Die rund 500 Festangestellten und Leiharbeiter:innen haben Hand in Hand das Werk noch am selben Tag besetzt. Diese konnten die Produktion nach einem entschlossenen Kampf unter ihre Kontrolle bringen und auch nach sozial-ökologischen Grundsätzen umgestalten. Sie wollten den Betrieb nicht einfach so weiterführen, sondern auch bestimmen, zu welchen Bedingungen produziert wird und an einer nachhaltigen und kollektiven Mobilität arbeiten. Die selbstorganisierte Genossenschaft stellt nicht länger Teile für Luxusmarken wie Ferrari her, sondern nachhaltigere Produkte wie Lastenräder, Batteriespeicher oder Solarpanels. Mit ihrem Beispiel konnten sie auch die Politik unter Druck setzen, die den ökologischen Wandel zu Lasten der einfachen Leute durchsetzen wollte. 2022 wurde mit ihnen an der Spitze ein Klimastreik in Florenz mit über 40.000 Teilnehmer:innen organisiert.

Mit ihrem Beispiel und ihrer Umstellung der Produktion konnten sie ökologische Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft anführen, die wichtige Bereiche wie Nahverkehr, Schienentransport und erneuerbare Energien nicht ohne ihre Hilfe umsetzen konnten.

Auch die Druckerei Madygraf in Argentinien wurde nach einer angedrohten Massenkündigung unter Kontrolle der Beschäftigten gebraucht und die Produktion nachhaltig gestaltet. Die Keramikfabrik Zanon produziert mittlerweile seit 20 Jahren ohne Bosse. Dabei konnten sie nicht nur ihre ökologische Bilanz verbessern, sondern auch die Arbeitsbedingungen verbessern: Acht statt zwölf Stunden tägliche Arbeit, unbefristete Verträge und keine schweren Arbeitsunfälle und Tote mehr, während es zwischen 1979 und 2001 unter Kontrolle der Bosse 25 Arbeitsunfälle pro Monat, einige mit Amputationen, gab und insgesamt 14 Kolleg:innen ums Leben kamen.

Auch in Deutschland wären solche Umstellungen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen möglich. In einem Gastbeitrag schreibt ein Kollege aus Fulda, dass er bei einem Projekt mitgewirkt hat, wo schon heute „über 500.000 Euro in einem Jahr eingespart und zudem noch über 200 Tonnen Kunststofffolie eliminiert wurden“. Dabei haben alle Beschäftigten mitgemacht: „Eine ganz tolle Leistung, von allen Beteiligten“. Trotzdem wird das von der Chefetage „leider nicht gewürdigt“. Das zeigt sehr gut, dass die Beschäftigten das Wissen und den Willen haben, die Werke nicht nur fortzuführen, sondern auch umzugestalten. Dabei können sie auch voneinander profitieren. Während Goodyear Fulda seine Reifen noch in Zementwerken verbrennen lässt, werden sie bei Michelin als Füllmaterial genutzt.

Diese Beispiele zeigen, dass auch die Kolleg:innen bei Goodyear und Michelin – wenn sie auf ihre eigene Kraft vertrauen und sich selbst organisieren – den Bossen einiges entgegenzusetzen haben und die Werke erhalten können. Sie können sogar weitergehen und die Produktion nach sozial-ökologischen Maßnahmen gestalten, wenn sie nicht länger der rücksichtslosen Profitgier unterworfen sind.

Wenn du auch von der Schließung betroffen bist und Interesse hast, eine solche Politik umzusetzen oder Meinungen und Gedanken dazu hast, dann schreib uns gerne eine E-Mail an info@klassegegenklasse.org.

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