Gescheiterte Strategien

14.02.2015, Lesezeit 5 Min.
1

// ANTIFASCHISMUS: Wie konnten die Nazis die stärkste ArbeiterInnenbewegung Europas zerschlagen? Ein Blick auf die Strategien von SPD und KPD. //

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Nach der Machtübergabe an die Nazis wurde die stärkste Arbeiter­Innenbewegung Europas komplett zerschlagen – ohne ernsthafte Gegenwehr. Wie ist das möglich gewesen? Die Strategien der beiden großen ArbeiterInnenparteien von damals geben darüber Aufschluss.

Sozialdemokratie

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hatte die Weimarer Republik maßgeblich gestaltet. In Kollaboration mit den faschistischen Freikorps hatte die SPD-Führung die Revolution von 1918/19 blutig niedergeschlagen. Auf den Leichen von unzähligen revolutionären ArbeiterInnen entstand der neue Staat, den die SozialdemokratInnen für einen Schritt zum Sozialismus hielten. Entsprechend beanspruchten sie, die Republik gegen KommunistInnen, MonarchistInnen und FaschistInnen zu verteidigen, so die Bedeutung der drei Pfeile der „Eisernen Front“.

Die SPD bezeichnete die Kommunist­Innen als „rotlackierte Faschisten“ oder einfach „Kozis“ – eine frühe Version der Extremismustheorie. Als sozialdemokratische Veranstaltungen immer stärker von Nazischlägern bedroht wurden, setzte die Partei auf den Schutz der Polizei.

Der russische Revolutionär Leo Trotzki kritisierte diese Strategie folgendermaßen:

Für den Fall wirklicher Gefahr setzt die Sozialdemokratie ihre Hoffnungen nicht auf die ‚Eiserne Front‘, sondern auf die preußische Polizei. Eine trügerische Rechnung! (…) Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter. In den letzten Jahren hatten sich diese Polizisten weitaus mehr mit revolutionären Arbeitern zu schlagen als mit nationalsozialistischen Studenten. (…) Und die Hauptsache: jeder Polizist weiß, daß die Regierungen wechseln, die Polizei aber bleibt.

Diese These erhielt 1933 ihre Bestätigung, als die „demokratische“ und „republikanische“ Polizei sich problemlos ins neue faschistische Regime integrierte.

Stalinismus

Die Kommunistische Partei Deutschlands wurde 1918 als Reaktion auf den Verrat der SPD gegründet – sie sollte die Revolution zu Ende führen. Doch bis Ende der 1920er Jahre wurde sie vollständig der Kontrolle der stalinistischen Bürokratie unterworfen, die ihre eigenen Privilegien verteidigte, anstatt revolutionäre Ziele zu verfolgen. 1929 hatte diese Bürokratie die „Dritte Periode“ verkündet, organisierte eigene „rote“ Gewerkschaften – denn jetzt sei die Sozialdemokratie die Hauptgefahr für die ArbeiterInnenbewegung. Die KPD unter dem stalinistischen Handlanger Ernst Thälmann bezeichnete die SPD nun als „sozialfaschistisch“.

Deswegen lehnte die KPD einen antifaschistischen Kampf zusammen mit der SPD ab. Man könne nicht mit „Sozial­faschistInnen“ gegen FaschistInnen arbeiten! Doch auf Befehl aus Moskau war die KPD-Führung zur Zusammenarbeit mit Nazis bereit – sie unterstützte einen Volksentscheid der NSDAP gegen die SPD-Regierung in Preußen.

Die frühere KPD hatte die Politik der Einheitsfront entwickelt, um den Einfluss der Sozialdemokratie zurückzudrängen. Die RevolutionärInnen machten praktische Vorschläge an alle ArbeiterInnenorganisationen. Im gemeinsamen Kampf konnten sie den reformistischen ArbeiterInnen beweisen, dass ihre Kritik am Reformismus richtig war.

Trotzki beschrieb, wie kommunistische ArbeiterInnen gegenüber sozialdemokratischen KollegInnen argumentieren sollten:

Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?

Doch die stalinisierte KPD erlaubte nur die „Einheitsfront von unten“, das heißt nur gemeinsam mit sozialdemokratischen ArbeiterInnen, die mit ihrer Parteiführung zu brechen und unter der Führung der KPD zu kämpfen bereit waren, also einer kleinen Minderheit. So konnte die millionen­starke ArbeiterInnenbewegung nicht zusammen gegen die Nazis kämpfen. Die von der KPD initiierten „Antifaschistische Aktion“ konnte zwar militante Aktionen durchführen, aber die ArbeiterInnenklasse nicht im gemeinsamen Kampf vereinigen.

Einheitsfront

Für eine Einheitsfront kämpfe die „Linke Opposition der KPD“, die von Trotzki inspiriert wurde. In einigen kleineren Städten wie Bruchsal in Baden-Württemberg, Klingenthal in Sachsen und Oranienburg bei Berlin konnten Einheitsfronten aufgebaut werden, die Sozial­demokratInnen, KommunistInnen und GewerkschafterInnen im Kampf gegen die NSDAP vereinigte. Hier wurden die Nazis tatsächlich verjagt. Doch die SPD- und KPD-Apparate verhinderten, dass diese Erfahrung in größeren Städten wiederholt wurde.

Damals wie heute war der Aufstieg einer reaktionären Massenbewegung ein Produkt der kapitalistischen Krise. Es reicht nicht, die kapitalistische „Demokratie“ zu verteidigen, wenn diese „Demokratie“ Millionen Menschen ins Elend stürzt. RevolutionärInnen müssen auf eine breite Massenbewegung gegen den Faschismus setzen – aber gleichzeitig die Gelegenheit nutzen, um ihre reformistischen BündnispartnerInnen rücksichtslos zu kritisieren und eine revolutionäre Alternative aufzubauen.

Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats
– von Leo Trotzki – herausgegeben vom Trotzki-Archiv

Mehr zum Thema