Gegen einen Kommunismus des weißen Mannes

12.03.2018, Lesezeit 8 Min.
Gastbeitrag

Wie die Komintern die antirassistische Politik der Kommunistischen Partei der USA beeinflusste.

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Bild: James Lesesne Wells

„Ich war nicht gegen den Kommunismus, aber ich kann auch nicht sagen, dass ich für ihn war. Zuerst habe ich ihn misstrauisch beäugt – als das Machwerk eines weißen Mannes.“ (1) So beschrieb Assata Shakur, Mitglied der Black Panther Party und später der Black Liberation Army, ihr Verhältnis zum Kommunismus.

Diese Art von Skepsis war, vor allem in den Vereinigten Staaten, besonders zur Zeit der Oktoberrevolution unter der Schwarzen Bevölkerung weit verbreitet. Unter dem Einfluss der Gedanken von Marcus Garvey sahen Schwarze ihre Befreiung in der Rückkehr nach Afrika und empfanden die marxistische Philosophie und auch die Idee einer sozialistischen Gesellschaftsordnung oft als ein Mittel, das nur den Weißen nutzen würde. So schrieb Garvey, der Kommunismus sei eine Erfindung der Weißen für die Lösung ihrer eigenen politischen und ökonomischen Probleme. Dieser Argumentation zufolge ist der Klassenkampf lediglich ein Phänomen, dass das weiße Proletariat der weißen Bourgeoisie gegenüberstellt.

Daher waren in den Augen Garveys und auch vieler anderer Schwarzer der Kampf der Arbeiter_innen und der Kampf gegen Rassismus zunächst voneinander getrennt. Dies wurde dadurch verstärkt, dass die zuerst aus verschiedenen nicht-englischsprachigen europäischen Migrantenzirkeln bestehende Kommunistische Partei keinerlei Schritte hin zu einer Theoretisierung der Rassenunterdrückung und erst Recht nicht zum praktischen antirassistischen Kampf unternehmen wollte – sei es, für die Aufnahme Schwarzer Lohnabhängiger in die Gewerkschaften zu kämpfen oder Proteste gegen rassistische Gesetze oder Pogrome und Lynchmobs zu organisieren. Neben Garveys Antikommunismus stand der amerikanischen kommunistischen Bewegung in dieser Hinsicht ihre eigene Unfähigkeit im Weg.

Auch auf internationaler Ebene herrschte vorerst aufgrund der mangelnden Kommunikation Unklarheit darüber, wie es sich mit dem Rassismus in den Vereinigten Staaten verhielt. Hatte die Schwarze Bevölkerung eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Kultur? Handelte es sich demnach um eine nationale Unterdrückung, auf die die Antwort der Kampf für nationale Selbstbestimmung, einschließlich des Rechtes auf Lostrennung, wäre? Das Programm der nationalen Selbstbestimmung, einschließlich des Rechtes auf Lostrennung, hatten die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki im Sinne der im Zarismus unterdrückten und unter dem großrussischen Chauvinismus leidenden Nationen vertreten.

Nationalismus, Integration oder Kommunismus

Besonders in den Südstaaten, in denen der Großteil der Schwarzen lebte, sollte die Frage der eigenen Staatsgründung – oder zumindest der Gründung bestimmter staatlicher Institutionen nur für Schwarze – diskutiert werden. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es jedoch einerseits eine Migrationsbewegung innerhalb der USA von Süden nach Norden, andererseits hatten sich in den 1920er Jahren ungefähr 30.000 Schwarze Menschen aus der Karibik in Manhattan angesiedelt. Diese Migrationsbewegungen führten zum einen zu einer weiteren „Nationalisierung“ des Rassismus und auf der anderen Seite zu einer Neuzusammensetzung des amerikanischen Proletariats mit der Entstehung einer zahlenmäßig starken Schwarzen Industriearbeiterklasse.

Optimale Voraussetzungen dafür, unter dem Eindruck der Oktoberrevolution eine revolutionäre Partei zu schmieden, die ihre Basis im Schwarzen Proletariat hatte. Doch die Reaktionen der Schwarzen Intellektuellen waren gespalten. Auf der einen Seite stand die liberale Tradition um W.E.B. Du Bois, die auf eine Integration in den Staat hinarbeitete – obwohl Du Bois im Gegensatz zu Garvey dem Kommunismus gegenüber positiv eingestellt war – und auf der anderen Seite die Bewegung um Garvey, der aufgrund ihrer radikalen Rhetorik viele kämpferische Schwarze Arbeiter_innen angehörten. Während Garvey keine Gelegenheit verpasste, die weiße Vorherrschaft zu verteufeln, war seine Perspektive allerdings die eines Schwarzen Kapitalismus.

Auf der anderen Seite war innerhalb der Kommunistischen Partei das sozialdemokratische Verständnis von Rassismus vorherrschend. Wie Jacob Zumoff in „The Communist International and US Communism 1919-1929“ beschreibt, war für die Leitung der Partei die Lage der Schwarzen nur ein besonderer Ausdruck ihrer ökonomischen Ausbeutung, und es bestand keine Notwendigkeit, für rechtliche Gleichstellung zu kämpfen. So schrieb der Sozialist Eugene Debs 1903 einen Satz, der diese Haltung bemerkenswert offen ausdrückt: „There is no Negro question outside of the labor question.“ Das wirkliche Problem sei nicht soziale Gleichheit, sondern ökonomische Freiheit. Demnach würde es reichen, allgemeine antikapitalistische Agitation zu betreiben, und es bräuchte keine Materialien, die sich mit den besonderen Verhältnissen der Schwarzen Arbeiter_innen befassen und auf diese zugeschnitten sind.

Es fehlte also schlicht an Verständnis für die soziale Realität in den USA. Erst die Intervention der Komintern, vor allem durch die Bolschewiki, konnte die Kommunistische Partei gegen ihren Willen dazu bringen, sich doch der „Negro Question“ zu widmen. Durch diesen praktischen Beweis ihrer Militanz konnte die Partei Masseneinfluss in der Schwarzen Community aufbauen, der sich folglich auch in ihren Mitgliederzahlen ausdrücken sollte. Die Partei hatte bei ihrer Gründung 1919 ein Schwarzes Mitglied und während der 1920er Jahre weniger als 100 Schwarze Mitglieder – bei einer Mitgliedschaft von insgesamt mindestens 15.000 Personen. In den 1930ern begann die Partei jedoch in dieser Hinsicht massiv an Zuwachs zu gewinnen und zählte um 1938 alleine in Harlem 3.000 Schwarze Mitglieder.

Der Antirassismus der Bolschewiki

Angesichts der Haltung der Führung der Kommunistischen Partei, die sich in ihrem Widerstand gegen die Implementierung der von der Komintern entwickelten Linie in Bezug auf die antirassistische Politik ausdrückte, schrieb der Schwarze Trotzkist C. L. R. James, dass die klassenbewussten weißen Arbeiter_innen die absolute Notwendigkeit realisieren müssten, die Millionen Schwarzen an ihrer Seite zu haben, deren Platz an der Front des Kampfes sei. Um dies zu erreichen, müsse vollständig mit den bourgeoisen Ideen über die Schwarzen gebrochen werden. Die Bourgeoise lüge über die Vergangenheit und die Zukunft der Schwarzen. Sie habe durch sogenannte Wissenschaft die Unterlegenheit der Schwarzen „bewiesen“ und sogar erreicht, dass die Schwarzen selbst diese Lügen für die Wahrheit hielten. Marxist_innen müssten diese Lügen der Bourgeoisie zu jeder Zeit bekämpfen.

Um den antirassistischen Kampf auch für die Bolschewiki besser verständlich zu machen, beauftragte Leo Trotzki Claude McKay, einen Vertreter der Harlem Renaissance, eine Studie über die Schwarze Bevölkerung in den Vereinigten Staaten zu erstellen, die deren Beiträge zu Arbeit, Politik, Sport und Kunst herausstellen sollte. (2) In der Studie kritisierte McKay folgerichtig, dass die Bemühungen einiger Delegierter, den Kampf für die soziale Gleichheit für Schwarze Menschen stärker zu verfolgen, von der Leitung der Partei zunichte gemacht wurde. Nicht zuletzt zähle zu den Fehlern dieser Leitung, keine Schritte zu unternehmen, die Studie, die bereits in russischer Sprache veröffentlicht worden war, auch in den Vereinigten Staaten zu verbreiten. McKay selbst lebte nach dem Vierten Kongress der Komintern für sechs Monate in der Sowjetunion und hielt neben dem Verfassen der Studie auch die Erfahrungen fest, die die verschiedenen Gesellschaften hinsichtlich des Rassismus unterschied. So war er für die Bürger_innen der Sowjetunion einfach „ein Schwarzes Mitglied der Menschheit“. Diese Haltung des russischen Volkes den Schwarzen gegenüber führte McKay auf die bolschewistische Propaganda zurück.

Die theoretischen Arbeiten der Schwarzen Kommunist_innen dieser Zeit beeinflussten Schwarze Bewegung weltweit. So waren es letztlich auch die von den marxistischen Gedanken und der internationalen kommunistischen Bewegung beeinflussten afrikanischen Befreiungsbewegungen, deren Kämpfe wiederum über eine solche Ausstrahlung verfügten, dass sie für Assata Shakur und eine neue Generation von Schwarzen Revolutionär_innen in den Vereinigten Staaten zum Beispiel werden konnten.

Kofi Shakur ist Schwarzer Aktivist aus Berlin. Er studiert Sozialwissenschaften und beschäftigt sich mit anitkolonialer und antirassistischer Politik aus marxistischer Perspektive.

Anmerkungen

1) Eigene Übersetzung aus der Autobiografie von Assata Shakur
2) Die Harlem Renaissance war eine soziale und kulturelle Bewegung Schwarzer Schriftsteller_innen und Künstler_innen zwischen 1920 und 1930.

Zuerst erschienen in ak 635. © a.k.i Verlag für analyse, kritik und information GmbH, Rombergstr. 10, 20255 Hamburg

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