Gegen AfD, Krieg und Krise: Für eine sozialistische Wahlfront

13.03.2024, Lesezeit 10 Min.
1
Foto: Simon Zoll

Linkspartei und BSW sind keine Lösung: Für eine vom Reformismus unabhängige, klassenkämpferische, sozialistische Alternative gegen den Aufstieg der Rechten. Einladung zu einem Diskussionsprozess über eine sozialistische Front der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse für die Bundestagswahl 2025.

Seit Anfang des Jahres gingen immer wieder Hunderttausende auf die Straßen gegen den Aufstieg der AfD. Nicht selten wurde dabei auch eine gewisse Kritik an der Ampelkoalition laut, insbesondere in Bezug auf ihre rassistische Migrations- und Asylpolitik. Aber auch in Bezug auf Kürzungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit und Soziales oder gegen ihre Aufrüstungspolitik gab es Proteste. Selbst Kritik an der Komplizenschaft der Bundesregierung im genozidalen Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens wurde bei den Demonstrationen geäußert, vereinzelt auch von der Bühne. Auf der anderen Seite gab es auch Szenen, wo propalästinensische Demonstrant:innen von den Organisator:innen oder anderen Teilnehmer:innen der Kundgebungen oder von der Polizei selbst angegriffen wurden.

Trotz aller Kritik an den Ampelparteien überwog bei diesen Mobilisierungen und allgemein im Kampf gegen die AfD die Logik des geringeren Übels: Die einzige Alternative zur AfD sei nunmal die Ampelregierung, trotz all ihrer Fehler. Man müsse „die Demokratie“ gegen den Aufstieg des Faschismus verteidigen. Nicht umsonst haben die Ampelkoalition und selbst die CDU/CSU immer wieder versucht, die Demonstrationen durch die Teilnahme hochrangiger Politiker:innen zu vereinnahmen.

Währenddessen bereiten sich die Regierung und das Kapital auf noch mehr Krieg vor: Nachdem die Bundesregierung für 2024 einen Haushalt mit Milliardenkürzungen in allen Bereichen außer dem Militär verabschiedet hat, spricht Finanzminister Lindner (FDP) inzwischen davon, die Sozialausgaben für die nächsten drei Jahre einzufrieren. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, wirbt sogar offen für eine Politik der „Kanonen ohne Butter“, also weiterer Militarisierung und Sozialkahlschlag, um Deutschland für kommende Kriege zu wappnen. Scholz wirbt aktuell so offen wie nie zuvor für militärische Hilfen für die Ukraine und versucht Deutschland damit EU-weit an die Spitze der Ukraine-Unterstützer:innen zu stellen – ein Vorgeschmack auf die Rolle, die Deutschland einnehmen will, falls sich die USA aus dem Konflikt zurückziehen.

Angesichts dieser Situation befindet sich die Linkspartei nicht nur strategisch, sondern auch organisatorisch und auf Wahlebene in einem Zerfallsprozess. DIE LINKE hat dem Aufstieg der AfD nicht nur die Bühne überlassen, weil sie weder willens noch in der Lage war, eine tatsächliche Opposition der Ausgebeuteten und Unterdrückten gegen die Politik des Großkapitals aufzubauen. Sondern sie war als Regierungspartei – nicht nur in Ostdeutschland – direkt mit dafür verantwortlich, dass sich die Rechten als einzig legitime Opposition zur herrschenden Politik inszenieren konnten, wenn sie nicht mit Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen und Ausbau des Polizeiapparats selbst mit die Agenda der Rechten umgesetzt hat. Ebenfalls lehnt die LINKE die Anerkennung des Genozids in Gaza ab und mobilisierte an vielen Orten für pro-zionistische Kundgebungen. Es ist wieder mal offensichtlich geworden, dass sie in ihrer Gesamtheit keine Verbündete der unterdrückten Völker im Kampf für ihre Befreiung ist.

Sahra Wagenknecht und ihre Verbündeten haben nun eine neue Partei gegründet: das „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Aller Voraussicht nach wird BSW erstmals bei den Europawahlen antreten – mit einem nationalistischen, sozialchauvinistischen und pro-kapitalistischen Programm, welches „einheimische“ und „ausländische“ Arbeiter:innen gegeneinander ausspielt. So will BSW all diejenigen ansprechen, die von Ampel und Linkspartei enttäuscht sind, um so einen Teil der Wähler:innenschaft der AfD zurückzuerobern. Wagenknecht ignoriert die Klimakatastrophe, missachtet die Bedürfnisse von Frauen und Queers und macht Geflüchtete für fehlende Kita-Plätze, marode Infrastruktur und mangelnden Wohnraum verantwortlich. Das wahre Problem, die Profitmacherei der großen Konzerne, benennt sie nicht, ebenso wenig die Notwendigkeit, diese für die Krise zahlen zu lassen. Stattdessen setzt sie auf mehr Regulierung, um einen „fairen Wettbewerb“ zu gewährleisten. Ihr geht es nicht um die Bedürfnisse der Arbeiter:innenklasse, sondern die Interessen von mittelständischen Unternehmen. Auf den Klassenkampf oder soziale Bewegungen nimmt sie keinen Bezug. Wagenknechts Projekt ist ein auf sie zugeschnittener Wahlverein, der bereits angekündigt hat, Regierungsbeteiligungen anzustreben, selbst mit der CDU.

Die Krise der Ampel und die Spaltung der Linkspartei hinterlassen ein politisches Vakuum. Dieses Vakuum eröffnet im Klassenkampf und auf Wahlebene Raum für politische Alternativen unabhängig von der LINKEN und Wagenknecht. Dass sich nun Kräfte der radikalen Linken sammeln, um die Reste der Linkspartei durch ihre Neueintritte retten zu wollen, ist hingegen mehr ein Ausdruck der politischen Verzweiflung. Der Aufstieg der AfD ist letztlich auch auf das Scheitern des Reformismus zurückzuführen. Jetzt nun erneut darauf zu vertrauen, dass dieses Mal alles besser wird und es keine Alternative links der Linkspartei geben kann, ist defätistisch und wird nur die Rechte weiter stärken.

Dennoch gibt es Teile der Linkspartei wie in Berlin-Neukölln, die immer noch eine Ausstrahlungskraft in Teilen der außerparlamentarischen Linken haben. Immer wieder bringt die LINKE Neukölln richtige Positionen in die Bewegungen ein, jedoch ist sie gleichzeitig stets unter dem Druck der Parteiführung, die (nicht nur in Berlin) staatstragend und pro-zionistisch ist. Es ist unserer Meinung nach nicht möglich, Kräfteverhältnisse im Parteiverband umzuändern. Wir rufen deshalb alle klassenkämpferischen Teile der Linkspartei zu gemeinsamen Fronten gegen die pro-zionistische Politik der Bundesregierung und der Parteiführung auf, sich unabhängig von der Linkspartei zu organisieren und damit letztlich mit ihr zu brechen.

Unsere Aufgabe muss es sein, den Hoffnungen des linken Flügels der Linkspartei in eine linke Erneuerung – die zum wiederholten Mal angekündigt und zum Scheitern verurteilt ist, eine vom Reformismus unabhängige sozialistische Perspektive entgegenzusetzen. Wir halten es für notwendig, die Diskussionen über die Perspektive eines politischen und organisatorischen Bruchs mit den linken Teilen der Linkspartei weiterzuführen. Gleichzeitig machen wir den Bruch nicht zur politischen Voraussetzung für den Rest der Linken, um auf gemeinsame Aktionen, Bündnissen, in Kampagnen usw. im Sinne einer Einheitsfront zusammenzuarbeiten.

Aus diesem Grund wollen wir all diejenigen Kräfte, die diese Perspektiven interessant finden, dazu einladen, mit uns über den Aufbau einer vom Reformismus unabhängigen, revolutionär-sozialistischen Front der Arbeiter:innenklasse, der Migrant:innen, Frauen und LGBTIQ zu diskutieren.

Ein Teil einer solchen Perspektive ist neben der gemeinsamen Intervention in den Klassenkampf auch die Möglichkeit des Aufbaus einer revolutionären Wahlfront der Linken und der Arbeiter:innen – insbesondere vor dem Hintergrund des vor uns liegenden Wahljahres, das großen Einfluss auf das Schicksal sowohl der Linkspartei als auch des Wagenknechtianismus haben wird.

In unserer Perspektive würde sich eine solche Wahlfront zum Ziel setzen, revolutionäre Kandidaturen aufzubauen, um die Wahlen und Parlamente als Bühne für den Klassenkampf zu nutzen. Wir glauben nicht, dass es möglich ist, den Kapitalismus in den Parlamenten abzuschaffen, oder dass unsere Aufgabe darin bestünde, hauptsächlich für symbolische Reformen zu kämpfen. Aber die revolutionären Kräfte brauchen eine eigene Vertretung, um vor Millionen die Politik der kapitalistischen und reformistischen Parteien zu entlarven und die schärfsten Anklagen gegen das Regime zu richten. Die Legitimationskrise der bestehenden Parteien und das Auseinanderbrechen der Linkspartei öffnen heute einen Raum, um mit einer offen revolutionären Ansprache ein breites Publikum zu erreichen. Die bürgerlichen und reformistischen Politiker:innen erreichen mit Wahlwerbung und Fernsehauftritten Millionen Menschen. Die revolutionäre Linke kann es sich nicht länger erlauben, auf derlei Mittel zu verzichten oder in staatstragenden reformistischen Parteien zu überwintern.

Keine der einzelnen, sich als revolutionär verstehenden, Organisationen in Deutschland ist heute in der Lage, für die breiten Massen alleine ein Organisierungsangebot darzustellen. Erfahrungen in gemeinsamen Wahlauftritten und Interventionen in Bewegungen können es der revolutionären Linken erlauben, in Fusionen mit den fortschrittlichsten Sektoren der Arbeiter:innenbewegung und der Jugend zu verschmelzen. Diese können konkrete Schritte zum Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei mit Masseneinfluss sein – eine historische Aufgabe und Notwendigkeit.

Wir wollen dabei nicht nur Kandidaturen aus sozialistischen Organisationen, sondern die Wahlfront auch mit Anführer:innen aus der Arbeiter:innenbewegung aufbauen: Sie muss den Kolleg:innen eine Stimme geben, die gegen die bremsende Rolle der Bürokratie für die Ausweitung, Verbindung und Politisierung von Streiks kämpfen. Ebenso gilt es, die Führung und Repräsentation der sozialen Bewegungen, nicht den Grünen, den staatstreuen Resten der LINKEN oder Wagenknecht zu überlassen, sondern um eine sozialistische Perspektive zu kämpfen.

Klar ist zugleich: Um eine Wahlfront zu etablieren, braucht es einen Diskussionsprozess und gemeinsame Erfahrungen. Wir schlagen daher vor, zunächst organisierte programmatische Debatten für eine solche Wahlfront zu führen – gegebenenfalls auch mit dem Ziel, gemeinsame Erklärungen zu bestimmten Ereignissen zu formulieren –, ebenso wie die Möglichkeiten von weiteren gemeinsamen Interventionen in Bewegungen auszuloten, wie es sie teilweise im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) oder aktuell in der Solidaritätsbewegung zu Palästina schon gibt, mit dem Ziel, etwa bis zur Bundestagswahl 2025 mindestens in mehreren Wahlkreisen gemeinsame revolutionär-sozialistische Kandidaturen aufstellen zu können.
Wir als RIO – KGK schlagen die folgenden Achsen als Grundlage für die programmatische Diskussion der Wahlfront vor:

– Für ein Programm der Zentralität und der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse, basierend auf der Selbstorganisation und Koordination aller Kämpfe entgegen der Sozialpartnerschaft, für eine antibürokratische und klassenkämpferische Strömung in Gewerkschaften.
– Für politische Massenstreiks, damit wir die Angriffe auf uns zurückschlagen und die Kapitalist:innen für die Kosten der Krise bezahlen.
– Für eine Antwort der Arbeiter:innen gegen den Aufstieg der Rechten, im Kampf gegen jegliche Form der Unterdrückung, den Rassismus, Sexismus, LGBTIQ-Feindlichkeit, Ableismus usw. mit einem hegemonialen Programm der Arbeiter:innen.
– Gleiche Rechte für alle. Gegen rassistische Gesetze und Polizeigewalt.
– Gegen den deutschen Imperialismus und die militärische Aufrüstung nach außen und innen. Gegen den Ausbau des Polizeiapparates und Kriminalisierung der sozialen Bewegungen.
– Internationale Solidarität mit dem Kampf der internationalen Arbeiter:innenklasse, sowie dem Kampf der unterdrückten und kolonisierten Völker für ihre Befreiung.
– Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf und gegen die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität.
– Für die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit und einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn für Mandatsträger:innen, anstelle der organisierten Korruption der „repräsentativen“ bürgerlichen Demokratie.
– Gegen bürgerliche Regierungsbeteiligungen und für eine Arbeiter:innenregierung auf der Grundlage der Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse und der Massen.
– Für die Verstaatlichung der Produktion, der Banken und der Daseinsvorsorge unter Arbeiter:innenkontrolle, Enteignung des großen Vermögens, in der Perspektive einer demokratischen Planwirtschaft und des Sozialismus.
– Für den internationalen Sozialismus. Für eine auf Selbstorganisation und Räte basierte sozialistische Demokratie, statt Bürokratismus wie in der DDR.

Eine erste Diskussion in diesem Sinne haben wir am Luxemburg-Liebknecht-Wochenende geführt. Auf der Veranstaltung im Januar haben wir insbesondere die Frage diskutiert, wie breit die Wahlfront sein kann. In diesem Zusammenhang kam vor allem die Frage der Abgrenzung zu anderen Strömungen, wie dem Stalinismus, dem Anarchismus und dem Autonomismus auf, wozu es unterschiedliche Auffassungen in den bisher beteiligten Organisationen gibt. Darüber hinaus haben wir erste programmatische Punkte gegen den Rechtsruck, die Kürzungen der Regierung und den deutschen Imperialismus skizziert. Außerdem haben wir auch die Lage in Argentinien und die Rolle der Front der Linken und Arbeiter:innen (FIT) angeschnitten. Wir wollen insbesondere diese Diskussionen in den nächsten Monaten vertiefen.

Angesichts des Scheiterns der LINKEN wollen wir die dringende Notwendigkeit betonen, über den Aufbau einer revolutionären Alternative zu diskutieren, die mit hunderten Aktivist:innen Tausende von der Notwendigkeit einer revolutionären Organisierung überzeugt, um Hunderttausende zu mobilisieren.

Kontaktiert uns unter info@klassegegenklasse.org, um euch dieser Diskussion anzuschließen.

Mehr zum Thema