Geflüchtete sterben im Mittelmeer: Kein Unglück, sondern Massenmord mit Kalkül

24.06.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Nicolas Economou / shutterstock.com

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurden hunderte Menschen auf der Flucht nach Europa im Meer ertränkt. Überlebende berichten, dass die griechische Küstenwache das Boot, auf dem die Menschen unterwegs gewesen waren, absichtlich zum Kentern brachte.

Ohnehin menschenunwürdig sind die Bedingungen an Bord, unter denen die etwa 750 Menschen auf dem Boot fast zwei Wochen von der Küste Nordafrikas aus unterwegs waren: Die Überlebenden erzählen, dass sich nach etwa zwei Tagen nach Beginn Essen und Trinken dem Ende neigten, sodass bereits vier Menschen aufgrund von Dehydrierung oder Herzinfarkten starben. Zudem kam es immer wieder zu Motorausfällen, bis sich das Boot kaum noch bewegte. Die griechische Küstenwache behauptet, dass das Boot von ihnen Hilfe abgelehnt hätte, weil es Kurs nach Italien aufgenommen hatte. Ein Boot mit Motorausfall und mehreren hundert Menschen ohne Essen und Trinken, denen man keine Hilfe gibt, weil sie diese “ablehnen” würden? Diese Lüge könnte perfider nicht sein.

Die Festung Europa zeigt ihr Gesicht

Die Überlebenden berichten, dass am Dienstagabend ein Schiff der griechischen Küstenwache auf das Boot zukam, um an seinem Bug ein Seil zu befestigen. Dann begannen sie es abzuschleppen, um es wahrscheinlich aus der Zone herauszubringen, in der Griechenland für die Rettung in Luft- und Seenotfällen zuständig ist. Durch das Seil wurde das Boot aber aus dem Gleichgewicht und in die entgegengesetzte Richtung als jene, in die das Schiff der Küstenwache fuhr, gerissen. Der Kutter mit den Menschen auf der Flucht wurde somit ins Kentern gebracht. Alle Menschen, die konnten, sprangen ins Meer. Währenddessen ging das Schiff der Küstenwache auf Distanz, um eine Viertel- bis halbe Stunde zuzuschauen, bis sie sich nur langsam dem untergehenden Boot näherten.

Die übereinstimmenden Berichte der Überlebenden bedeuten, dass es sich nicht um schweres Unglück handelt, sondern Massenmord mit Kalkül. Die Festung Europa offenbart ihr Gesicht der Grausamkeit jeden Tag aufs Neue. Doch dieser Akt, der Menschen ganz bewusst in die Tiefen des Meeres und den Tod treiben ließ, beweist eine neue Stufe der Inhumanität, die in der Grenzpolitik Europas liegt. Sie besteht nicht nur aus fehlender Seenotrettung, sondern aktivem Ertränken.

Ein grausames Ereignis im März 2021 zeigt, dass dieser Fall kein Einzelfall ist. Damals legte die griechische Küstenwache im Zuge der Pushbacks in der Ägäis mindestens drei Menschen Handschellen an und warf sie ins Meer. Auch die europäische Grenzschutzbehörde Frontex soll verwickelt gewesen sein. Ein interner Bericht konnte die Vorwürfe nicht ausräumen.

Die Asylpolitik als Ausdruck der Zeitenwende

Erst kürzlich wurde von der Ampel-Regierung eine neue Asylrechtsreform beschlossen, die vielmehr eine Asyl-Unrechts-Reform ist: Es sind mehr und schnellere Abschiebungen vorgesehen, die Spaltung von migrantischen Menschen in nützliche und unnützliche, die praktische Aussetzung des Asylrechts. Selbst auf den Schutz von Familien mit Jugendlichen und Kindern wird verzichtet. Es beweist damit, dass der liberale Schein eines angeblich für die Welt “offenen” Europas eine hässliche Farce ist. Wenn dann, öffnet es seine Türen nur für gut qualifizierte Fachkräfte, wenn es sie gerade zur Stärkung der eigenen Wirtschaft gebrauchen kann. Anhand dessen wird klar, dass auch die sich als links inszenierenden Parteien der Grünen und SPD, unter denen die Asylrechtsreform beschlossen wurde, nichts als Handlanger des deutschen Imperialismus und mit aktiv für den Tod von Millionen von Menschen verantwortlich sind.

Zeitgleich fand bis gestern die größte NATO-Militärübung, die es jemals gegeben hat, unter dem Namen “Air Defender”, statt. Militärflugzeuge, die über Deutschland kreisen, Flüchtlingsboote, die vor den Küsten gekentert werden, Rekordgewinne, die von der deutschen Rüstungsindustrie eingefahren werden: So sieht die “Zeitenwende” aus, die von Olaf Scholz ausgerufen wurde. Damit ist also nichts anderes als eine Stärkung des deutschen Imperialismus gemeint. Doch der deutsche Imperialismus lässt sich nicht ohne die Festung Europas denken: Hand in Hand geht das eine mit dem anderen, durch eine generelle Aufrüstung. Die Militarisierung auf dem ganzen Kontinent schreitet voran.

Offene Grenzen für alle

Da Länder durch deutsche Waffen, die Ausbeutung von Rohstoffen und imperialistische Manöver des Westens zerstört werden, befinden sich Millionen von Menschen auf der Flucht. Zudem kommen die Auswirkungen der vor allem durch westliche Konzerne vorangetriebenen Klimakatastrophe hinzu. Aufgrund der Verschärfung ihrer Folgen werden sich in den nächsten Jahren immer mehr Menschen auf der Flucht befinden. Erst kürzlich hat ein neuer Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bewiesen, dass zum aktuellen Zeitpunkt so viele Menschen wie noch nie gleichzeitig auf der Flucht sind. Weil Europa für diese Menschenrechtsverletzungen und die Ausbeutung der Halbkolonien verantwortlich ist, fordern wir, dass es sofort für alle Menschen seine Grenzen öffnet und ihnen ein sicheres Bleiberecht sowie volle Staatsbürger:innenrechte gewährt.

Ansonsten wird das Mittelmeer weiterhin Zeuge der Gewalt sein, die im Namen Europas verübt wird – und dabei zum Massengrab mutieren.

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