Frei erfundene Geschichte zur Sozialdemokratie: Rudi in der Werkshalle

08.02.2018, Lesezeit 3 Min.
Gastbeitrag

Die Politik des Sozialkahlschlags der SPD hat einen großen Beitrag zum Aufstieg der rechtsextremen AfD geleistet. Doch was wäre, wenn die Sozialdemokratie eine radikale Kehrtwende vollziehen und die Basis den Koalitionsvertrag ablehnen würde. Eine fiktive Geschichte über den SPD-Kommunalpolitiker Rudi.

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Rudi ist Kommunalpolitiker der SPD. Er sitzt nach einem Streik in einer Werkshalle und stützt den Kopf auf seine Hände. Die Beschäftigten sind bereits den Heimweg angetreten. Rudi unterstützt sie seit Jahren nach bestem Gewissen. Vor ihm eine halbvolle Flasche Korn, neben ihm Gewerkschaftsfahnen und Banner mit Parolen wie: „Erhaltet die Arbeitsplätze am Textilwerk 2“.

1.500 Frauen und Männer sind hier noch beschäftigt. Die Beschäftigten fordern seit Jahren einen neuen Tarifvertrag. Die Geschäftsführung antwortet auf jüngste Streiks mit Repressalien. 900 befristete Arbeitsverträge sollen auslaufen. 350 Beschäftigte sollen Abfindungen erhalten, 250 sollen zu schlechteren Bedingungen in das nebenan gelegene Textilwerk 1 versetzt werden, das bereits ausgegliedert ist.

Sein Vater lernte und arbeitete in diesem Werk. Er war überzeugter Sozialdemokrat und Anführer der Arbeiterbewegung in den sechziger Jahren. Oft hatte er zu Familienfeiern streikende Kolleginnen und Kollegen mit nach Hause mitgebracht. Trotz der schwierigen Zeit von 1955 bis 1980, als in der Bundesrepublik über 400.000 Arbeitsplätze in der Textil- und Bekleidungsindustrie verloren gingen, waren die Arbeitsplätze gesichert. Das Werk hatte sich rechtzeitig auf hochwertige Qualitätsprodukte spezialisiert.

In den vergangenen Monaten drehte sich die politische Stimmung in der Kleinstadt. Die AfD zog mit 22 Prozent in den Stadtrat ein. Knapp davor die SPD, mit 25 Prozent, dessen Vorsitz Rudi innehat. Rudis Blick wandert durch die Werkshalle. Hier wurde Geschichte geschrieben. Sein Blick fällt auf das Tagesblatt: „GROKO verhandelt über Koalitionsvertrag“. Die löchrige Gesetzgebung seiner Partei auf Bundesebene hatte in den vergangenen Jahren großen Schaden angerichtet. Wo die Betriebsräte der Textilfabrik auch ansetzen, eine Schließung und Ausgliederung zu verhindern, es sind alles Sackgassen.

Die Tür schlägt auf und Rudis Sekretär betritt den Raum. Die drohende Werksschließung sei Stadtgespräch, berichtet der Sekretär. Stündlich verfolge er die Prognosen. Wären heute Wahlen käme die SPD nur noch auf zwölf Prozent, die AfD inzwischen auf 28 Prozent. Es sei umgehend eine Verschärfung der Gesetzgebung bei Leiharbeit und Werkverträgen notwendig, darüber hinaus müsse ein konsequentes Verbot von grundlosen Befristungen im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden. Der Mindestlohn muss auf zwölf Euro angehoben und Hartz IV abgeschafft werden. Ich setze jetzt ein Schreiben auf, an die SPD Führung in Berlin, ich hab die Schnauze voll! Sie müssten das dann nur noch abzeichnen, so der Sekretär.

Eine Woche später erhält Rudi einen Anruf. Die Parteibasis hat den Koalitionsvertrag abgelehnt. Die SPD-Führung wurde ausgewechselt. Das Werk und die Arbeitsplätze konnten gerettet werden. Die AfD schafft zwar bei den nächsten Wahlen wieder die fünf Prozent Hürde. Die SPD entwickelt sich wieder zu einer angesehenen Volkspartei.

Rudi hebt den Kopf. Er war auf dem Werkstisch eingeschlafen. Vor ihm steht eine leere Flasche Korn. Er hört Trommeln und Sprechchöre: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Das Telefon klingelt. Er hebt ab. Am Telefon sein Sekretär. „Wie ging die Sache aus“, fragt Rudi. „Die Parteibasis hat dem Koalitionspapier zugestimmt. Textilwerk 2 wird geschlossen. Vor dem Werkstor steht die AfD und hält eine Kundgebung. Es sind 2000 Menschen da! Sie rufen Ihren Namen. Haben Sie schon eine Rede vorbereitet?“

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