Festival gegen Prekarisierung

04.05.2018, Lesezeit 6 Min.
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Am Freitag traten die studentischen Beschäftigen in Berlin erneut in den Streik. Gleichzeitig hatten die Kolleg*innen der Vivantes Service GmbH ihren 24. Streiktag. Beide Belegschaften veranstalteten zusammen mit vielen anderen Arbeiter*innen einen großen Aktionstag gegen prekäre Beschäftigung.

„Heute werden wir eine neue Tradition starten!“ rief Yunus Özgür auf einer Kundgebung am Spreeufer. „Alle prekär Beschäftigten in Berlin werden zusammen kämpfen!“ Und am Freitag kamen in der Tat viele Arbeitskämpfe gegen prekäre Beschäftigung zusammen.

Nach Wochen sind die studentischen Beschäftigten wieder in den Streik eingetreten, nachdem das Angebot der Hochschulen sich nicht verbessert hatte. Im Gegenteil: Die Hochschulen versuchten, auf Zeit zu spielen und durch verzögerte Verhandlungen die Streiks zu verschieben. Nach einigem Hin und Her, geht es nun mit dem Kampf für einen Tarifvertrag (TVStud) wieder vorwärts. Allerdings wollten die studentischen Beschäftigten die entscheidende Phase ihres Arbeitskampfes nicht alleine beginnen, sondern mit Unterstützung vieler Mitstreiter*innen. Denn nicht nur sie kämpfen für eine Anbindung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, sondern viele andere ebenso.

Bereits ab 12 Uhr gab es eine Kundgebung der Musik- und Volkshochschul-Lehrer*innen vor der Senatsverwaltung für Finanzen in der Klosterstraße. Sie fordern, dass mindestens 80 Prozent der Lehrkräfte eine Festanstellung bekommen. Bisher werden die meisten in Scheinselbstständigkeit gehalten. Für ihren Protest haben sie mit Blockflöten, Trommeln und Gesang eigene Lieder gespielt. Der Finanzsenator kam nicht raus. Dafür gab es Unterstützung von VSG und TVStud.

Ab 14.30 Uhr zogen etwa 500 studentische Beschäftigte in einer lauten und kraftvollen Demo durch die Innenstadt. Dabei waren Kolleg*innen der VSG, sowie eine Delegation von griechischen Gewerkschafter*innen. Eine Stunde lang riefen sie lautstark: „Tarifvertrag jetzt!“. Und zwischendurch immer mal wieder „TVStud, VSG – Arbeitgeber in die Spree!“ Schließlich kamen sie am Brandenburger Tor an, wo die große gemeinsame Kundgebung begann.

Um 16 Uhr versammelten sich dafür über 600 Menschen vor dem Brandenburger Tor. Zahlreiche Belegschaften waren vertreten, denn jedes Landesunternehmen hat ausgegliederte Tochterfirmen zum Zwecke der Tarifflucht. Das Servicepersonal der Krankenhäuser Charité und Vivantes kämpft für Tarifverträge, genauso wie die Therapeut*innen. Musikschullehrer*innen protestieren dagegen, dass sie in Scheinselbstständigkeit gehalten werden. Die AWO und andere soziale Träger wehren sich gegen Niedriglöhne. Selbst Taxifahrer*innen und Flughafenpersonal nahmen am Protest teil. Und natürlich auch die studentischen Beschäftigten, die seit 17 Jahren keine Lohnerhöhung bekommen haben. Sie hatten am Freitag ihren ersten Warnstreiktag seit Semesterbeginn.

Spaltung überwinden

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Viele dieser Arbeitskämpfe laufen seit Jahren, oft nebeneinander. Der Aktionstag war ein Versuch, diese Kämpfe zusammenzuführen. Denn alle haben ähnliche Probleme und den gleichen Gegner: den Berliner Senat. Rot-Rot-Grün hat im Koalitionsvertrag versprochen, Outsourcing zum Zweck der Tarifflucht zu beenden und die Löhne in landeseigenen Unternehmen „zügig“ auf Tarifniveau anzuheben. Doch passiert ist so gut wie nichts. Deswegen verstärken sich diese Streiks.
„Ein Betrieb, eine Belegschaft, ein Tarifvertrag!“ rief bei der Kundgebung Daniel Fechner, Arbeiter von der VSG. Wie er kämpfen auch viele der anderen Belegschaften gegen die Spaltung in verschiedene Tochterfirmen – allein Vivantes hat 17 davon! Auch die studentischen Beschäftigten sind von ihren Kolleg*innen an der Universität getrennt – deswegen wollen sie eine Ankoppelung an den Tarifvertrag der Länder (TV-L).

Durch die TV-L Ankopplung wollen sie einerseits den Lohnstillstand seit 17 Jahren beenden, aber andererseits die Perspektive einer Eingliederung in TV-L eröffnen. Denn dadurch, dass die Belegschaft an Berliner Hochschulen durch unterschiedliche Tarifverträge gespalten wird, werden die studentische Hilfskräfte als Beschäftigte zweiter Klasse behandelt. Nicht nur, dass sie keine Lohnerhöhungen bekommen. Auch die Kampfkraft der gesamten Belegschaft wird durch diese Spaltung geschwächt.

Nur durch eine Ankopplung an den TV-L und die im nächsten Schritt zu erkämpfende Eingliederung wäre es möglich, dass die gesamte Universität durch die Streiks der Belegschaft lahmgelegt wird. Sonst werden die Beschäftigten mit unterschiedlichen Tarifverträgen immer wieder wechselseitig zur Streikbrucharbeit gezwungen sein, wenn ein Teil von ihnen streikt. Außerdem wäre durch eine Eingliederung auch zu verhindern, dass feste Stellen mit Tarifvertrag durch billige SHK-Stellen ersetzt werden.

Gemeinsam Siegen lernen

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Der Botanische Garten und das Technikmuseum in Berlin haben gezeigt, dass Streiks gegen Outsourcing und Niedriglöhne erfolgreich sein können – obwohl es jahrelang auch bei ihnen hieß, dass kein Geld für Tariflöhne da sei. In beiden Betrieben wurden Tariflöhne nach langen Arbeitskämpfen eingeführt – am Botanischen Garten wurde die Tochterfirma schließlich auch aufgelöst und die Beschäftigten wieder in den Mutterkonzern eingegliedert. „Es macht uns wütend, mit welchem Aufwand Tarifflucht betrieben wird“, so Lukas S., ehemaliger Betriebsratsvorsitzender bei der Tochterfirma am Botanischen Garten. Obwohl angeblich kein Geld für Lohnerhöhungen da sei, werde der Rüstungsetat um Milliarden erhöht.

Die Kundgebung endete mit Musik der Berliner Liedermacherin Dota, die sich mit den Protesten gegen Prekarisierung solidarisierte. Die Sonne und das starke Gemeinschaftsgefühl unter Kolleg*innen aus sehr unterschiedlichen Bereichen gaben dem Nachmittag ein gewisses Festival-Feeling. Doch nach diesem feierlichen Abschluss des Aktionstages beginnen auch schon die Vorbereitungen der nächsten Kämpfe. So wird der Streik bei der VSG auch in der kommenden Woche fortgeführt. Und bei TVStud beginnt in den nächsten Tagen die Mobilisierung für neue Streiktage.

Dieser Aktionstag steht symbolisch dafür, dass Kämpfe gemeinsam geführt werden können. Jetzt müssen wir dazu kommen, die Kämpfe auch in der Praxis zu verbinden. Viele Kolleg*innen haben gezeigt, dass sie dazu bereit sind. Sie wissen, dass die Koordination unterschiedlicher Streiks einen viel größeren Druck auf die Arbeitgeber und Senat ausüben kann, als isolierte Arbeitskämpfe.

Diese Zusammenführung der Kämpfe kann nur durch die Vernetzung der Basis und Druck von unten geschehen. Wir freuen uns, dass wir einen Beitrag zu dieser Vernetzung leisten konnten. Aber vor allem sind wir auf alle Streikenden und Aktiven stolz, die gemeinsam eine so lautstarke Botschaft an den Senat geschickt haben.

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