Erst kamen sie für das Bürgergeld

09.10.2025, Lesezeit 4 Min.
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Foto: EUS-Nachrichten/shutterstock.com

Mit der Einführung von 100-Prozent-Sanktionen und weiteren Verschärfungen droht die Bundesregierung Arbeitslosen mit Obdachlosigkeit und Hunger. Warum der Angriff auf das Bürgergeld ein Angriff auf die gesamte Arbeiter:innenklasse ist.

„Das Kapitel Bürgergeld ist jetzt beendet“ frohlockte Merz heute während der Pressekonferenz, auf der die Ergebnisse des jüngsten Koalitionsausschusses vorgestellt wurden. Nach Monaten der intensiven Hetze gegen Arbeitslose will die Regierung nun statt des Bürgergeldes eine „neue Grundsicherung“ einführen, die drastische Verschlechterungen in allen Bereichen vorsieht. 

Bürgergeldempfänger:innen, die zwei Termine beim Arbeitsamt verpassen, sollen künftig 30 Prozent der Leistungen gekürzt werden und damit bereits in ein Leben weit unter dem Existenzminimum gedrängt. Schon nach dem dritten verpassten Termin sollen die Leistungen ganz gestrichen werden, ab einem gewissen Punkt sogar die Zuschüsse für Miete und Heizung. Ebenso sollen 100-prozentige Sanktionen gegen diejenigen verhängt werden, die „zumutbare“ Jobangebote ablehnen. Unter zumutbarer Arbeit versteht die Regierung unter anderem Jobs mit drei Stunden Pendelzeit. Ebenso wird die bisherige Karenzzeit für Vermögen abgeschafft, Arbeitslose müssen also in Zukunft alles verkaufen, bevor sie berechtigt sind. 

Arbeitslose sollen also künftig vor die Wahl gestellt werden, entweder jede noch so unattraktive, schlecht bezahlte und weit entfernte Stelle anzunehmen, oder in Obdachlosigkeit und Hunger zu verenden. Die vollständige Kürzung von Leistungen dürfte dabei gegen das Grundgesetz verstoßen — auch wenn Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) das Gegenteil erklärt. 2019 hatte das Bundesverfassungsgericht 100-prozentige Sanktionen im damaligen Hartz-4-System für rechtswidrig erklärt. Wie schon bei der Einführung dauerhafter Grenzkontrollen setzt sich die Regierung damit erneut über geltendes Recht hinweg. 

Die Verschärfungen beim Bürgergeld werden von Union und SPD als Maßnahme verkauft, um den Haushalt zu entlasten und das Loch von bis zu 170 Milliarden bis 2029 zu stopfen. Während die Regierung dieses Loch in diesem Sommer mit Steuersenkungen für Unternehmen um 48 Milliarden vergrößerte, dürften die Einsparungen durch die neue Grundsicherung minimal bleiben. Zwar sind „Totalverweiger:innen“, ein beliebtes Ziel für Hetze der Rechten und „Mitte“, doch machten Bürgergeldempfänger:innen, die überhaupt ein Jobangebot abgelehnt hatten, im Jahr 2024 mit 0,6 Prozent (etwa 23.000 Menschen) nur einen verschwindend geringen Anteil aus. Die meisten Beziehenden sind gar nicht in der Lage zu arbeiten, weil sie chronisch krank sind, Kinder erziehen oder Angehörige pflegen müssen. Andere arbeiten bereits, müssen aufgrund der viel zu geringen Löhne aber aufstocken oder beziehen eine Rente, die nicht zum Leben reicht. Doch auch auf Kranke, oder aus anderen Gründen eigentlich nicht arbeitsfähige Menschen dürfte mit der Verschärfung der Druck steigen, eine miserable Arbeitsstelle anzunehmen. 

Mit der Maßnahme geht es der Regierung darum, die gesamte Arbeiter:innenklasse stärker zu disziplinieren und ihre Kampfkraft zu schwächen. Durch die de facto Arbeitspflicht soll der Druck auf Arbeiter:innen, Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen anzunehmen, erhöht werden. Der Angriff auf das Bürgergeld muss auch als Vorbereitung für weitere Angriffe auf Arbeiter:innenrechte verstanden werden, etwa die Abschaffung des 8-Stunden-Tages. Mit der ebenfalls vom Koalitionsausschuss beschlossenen Einführung der “Aktivrente”, also steuerlichen Anreizen für längeres Arbeiten, wird ebenfalls bereits die Aushöhlung des Rentensystems vorbereitet. 

Es liegt also an den Gewerkschaften, gegen die Abschaffung des Bürgergeldes und alle weiteren arbeiter:innenfeindlichen Maßnahmen der Regierung, zu mobilisieren und diese Forderungen in kommenden Streiks, etwa um den Tarifvertrag der Länder, aufzugreifen. 

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