Eine revolutionäre Perspektive an der Uni

15.11.2011, Lesezeit 6 Min.
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In der Bildungsstreikbewegung der letzten Jahre war der Tenor der Kritik bestimmt durch die Losung „Mehr Geld für Bildung“. Wenn es weitergehende Kritik am Bildungssystem gab, bezog sich diese meist auf die zunehmende Ökonomisierung der Bildung, den Mangel an universitärer Demokratie und das Bachelor/Master-System. Ganz vereinzelt wurde auch das Thema der sozialen Selektion thematisiert.

Während wir all diese Kritikpunkte für wichtig halten, treffen sie doch nicht den Kern des Problems. Denn letztlich lässt sich die Funktionsweise des Bildungssystems – das, wie selbst bürgerliche PolitikerInnen immer wieder zugeben, auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausgerichtet ist – nicht ohne die Analyse der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit, also der Produktionsweise, verstehen. Mit anderen Worten: Ohne eine Analyse und Kritik des Kapitalismus ist auch eine tiefgründige Kritik des Bildungssystem unmöglich. Der Kampf um eine bessere Bildung kann also nicht im isolierten Terrain der Bildung geführt werden. Stattdessen ist es notwendig, die Auffassung zu bekämpfen, dass nicht das System, sondern lediglich seine Umsetzung mangelhaft sei – dass es reichen würde, die Fehler zu „korrigieren“ und nicht für eine wirkliche Alternative zu kämpfen. Wir müssen stattdessen im Kampf für Bildung im Dienste der Ausgebeuteten und Unterdrückten (nicht des Arbeitsmarktes!) eine neue Universität, frei von Einmischung von Seiten der Konzerne oder auch ihrer Staaten, gründen.

Der Schlüssel für den Erfolg des Kampfes liegt dabei in der Ausweitung der Bildungsproteste auf die arbeitende Bevölkerung, d.h. in Kämpfen mit gegenseitiger Solidarität. Wie dies aussehen kann, zeigt sich aktuell in Chile, wo es seit mehreren Monaten Proteste gegen das Bildungssystem gibt, dessen grundlegende Merkmale noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammen, und wo die protestierenden SchülerInnen und Studierenden mehrmals gegenseitige Solidarität mit streikenden BergarbeiterInnen organisiert und sogar einen Generalstreik des chilenischen Gewerkschaftsdachverbandes CUT erzwungen haben. Aber der Prozess in Chile ist nur Teil eines übergreifenden Prozesses auf internationaler Ebene, der sich insbesondere seit der weltweiten Wirtschaftskrise mit dem Aufwachen breiter Schichten von Jugendlichen im arabischen Raum, in Griechenland und Spanien, und überall auf der Welt herauszubilden beginnt. Die Etappe der neoliberalen Offensive neigt ihrem Ende zu und eine Periode verschärfter Auseinandersetzungen mit der herrschenden Klasse steht uns bevor, die noch schärfere Auswirkungen auf Bildung, Sozialausgaben und Arbeits- sowie Lebensbedingungen haben wird.

Bezogen auf Deutschland weisen Aktionen der Solidarität mit ArbeiterInnenkämpfen, wie aktuell im Falle des Streiks der Beschäftigten der Charité Facility Management GmbH (CFM) in Berlin, den Weg. Es ist notwendig, die Perspektive der Bildungsstreikbewegung um solche Erfahrungen zu erweitern und mit den Illusionen zu brechen, die der Sozialreformismus der Linkspartei oder der Gewerkschaftsbürokratie immer wieder neu erschafft (um nur zwei VertreterInnen von Gewicht zu nennen). Sie fordern die Rückkehr zum alten „Sozialstaat“, d.h. sie geben vor, dass letztlich nicht der Kapitalismus die Ursache für die Bildungsmisere sei, sondern der sogenannte „Raubtierkapitalismus“.

Die Perspektive von Linke.SDS, die sich größtenteils auf die Forderung nach „Mehr Geld“ beschränkt, ist ein Ausdruck dieses Reformismus. Im momentanen Zustand der Bildungsstreikbewegung können wir Linke.SDS indes nicht vorwerfen, eine an sich radikale Bewegung durch reformistische Forderungen zurückzuhalten. Denn die Bewegung hat auch ohne Linke.SDS bisher keine radikale Perspektive, und beschränkt sich auf Minimalforderungen, die an den grundlegenden Problemen des Bildungssystems kaum etwas ändern. Was Linke.SDS aber nicht tut, ist die Proteste voranzutreiben, zu radikalisieren und offensiv auf die Verbindung der Bildungsproteste mit Protesten gegen die Wirtschaftskrise hinzuarbeiten – sie sehen sich verpflichtet, durch die Beschränkung auf den Minimalkonsens vermeintlich für „Breite“ zu sorgen. Unserer Meinung nach müsste ein sozialistischer Studierendenverband grundsätzlich anders agieren.

Unsere Alternative ist es, den Klassencharakter der Universität in Frage zu stellen und neue Säulen der Solidarität und des Klassenbewusstseins aufzubauen. Als klassenbewusste Studierende wollen wir keine Teilreformen, sondern zielen auf eine Neugründung der Universität ab, die nach einem demokratischen Plan von Studierenden, Lehrenden und ArbeiterInnen entwickelt werden soll.

Während der revolutionäre Marxismus sich heute nur auf kleine Gruppierungen ohne großen Einfluss unter der Jugend-Avantgarde beschränkt, so wird doch das Ausmaß der kapitalistischen Krise und die Notwendigkeit der herrschenden Klasse, deren Kosten auf dem Rücken der Lohnabhängigen und auch der Jugend abzuladen, unter wachsenden Sektoren zu einem Misstrauen gegenüber den Maßnahmen der Bourgeoisie führen, die letztlich keine positive Antwort auf die Krise der Bildung hat. 

So möchten wir von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, zusammen mit revolutionären SchülerInnen, Studierenden und Azubis gegen den Bologna-Prozess einen gemeinsamen Katalog von Übergangsforderungen entwickeln, der „den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Verwirrung und Entmutigung der alten Generation, mangelnde Erfahrung der Jungen)“ überwindet.[1] 

Angesichts der bürgerlichen Bildungsmisere müssen wir als revolutionäre Studierende und SchülerInnen im Verlauf unseres täglichen Kampfes dabei helfen, eine Brücke zwischen den aktuellen Forderungen – gegen Prüfungsstress, Studiengebühren, Turboabi, LehrerInnenmangel, soziale Selektion und Ausgrenzung usw. – und dem Programm der sozialistischen Revolution zu schlagen. Das Ziel muss stets das Gleiche sein: Der Bruch der Studierenden mit den falschen bürgerlichen Vorstellungen von persönlichem sozialem Aufstieg mittels individuellem Einsatz, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass nur in Verbindung mit der Reichtum produzierenden Klasse, also dem Proletariat, Studierende und Jugendliche im Allgemeinen eine Zukunft frei von Unterdrückung anstreben können.

Fußnoten

[1] Trotzki, Leo: Minimalprogramm und Übergangsprogramm. In: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale. 1938. http://marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ueberg1.htm#mup.

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