Ein rotes Gehirn für die Schule

08.02.2012, Lesezeit 6 Min.
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Das John-Lennon-Gymnasium im durchgentrifizierten Berliner Bezirk Mitte hat einen linken Ruf. Das liegt in erster Linie am Namen, der von den SchülerInnen selbst ausgewählt wurde. Große SchülerInnenproteste erlebte das JLG beim Afghanistankrieg im Jahr 2001 und bei den Schulstreiks 2006-08, aber die jeweiligen Strukturen konnten nicht erhalten werden. Doch im letzten Jahr ist das JLG wieder zu einer „Modellschule” für Proteste geworden: Beim letzten Bildungsstreik gab es eine hohe Beteiligung und sogar einen selbstorganisierten Aktionstag zum Thema Bildung. Das haben viele SchülerInnen mit Unterstützung von RIO aufgebaut. Daraus können einige politische Lehren gezogen werden.

Es begann Anfang 2011: Zwei SchülerInnen vom JLG besuchten eine Veranstaltung von RIO und der SAS. Im Anschluss haben RIO-AktivistInnen angefangen, mit den SchülerInnen marxistische Texte in einem Lesekreis zu diskutieren. Bald ging die Diskussion darüber los, wie die Theorie in Praxis umgesetzt werden könnte.

Der erste Schritt war die SchülerInnenzeitung Red Brain, von der Ende April die erste Ausgabe erschien. Red Brain versteht sich als eine antikapitalistische Zeitung, in der Artikel zu verschiedenen Themen erscheinen, die von den SchülerInnen selbst geschrieben sind. Die Artikel werden auf offenen Treffen vorher diskutiert und nachher ausgewertet. Dabei lernen die SchülerInnen nicht nur, wie man Artikel schreibt, sondern auch, wie man selbstverwaltete Strukturen aufbaut. Das fängt schon mit Geldfragen an, denn das Projekt finanziert sich durch Spenden und den Verkauf von Buttons. Die SchülerInnen bekommen von RIO finanzielle, aber vor allem politische Unterstützung: RIO-AktivistInnen halfen dabei, eine feste Struktur aufzubauen, indem sie für die nächsten Schritte Tipps gaben.

Dabei legt sich Red Brain nicht eindeutig auf eine politische Richtung fest: Man muss nicht MarxistIn sein, um mitzumachen, wobei man Interesse haben muss, sich mit marxistischen Ideen auseinanderzusetzen. Die Treffen sind für alle offen, die sich für die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse einsetzen wollen. Mittlerweile hat Red Brain acht Ausgaben herausgegeben und die Gruppe wächst langsam, aber beständig an.

Im Mai gründeten die SchülerInnen von Red Brain ein Streikkomitee. Für den LehrerInnenstreik am 9. Juni verteilte dieses Komitee Flyer, hing Plakate auf und mobilisierte schließlich fast hundert SchülerInnen des sonst politisch eher passiven JLGs zur Demonstration. Nach den Sommerferien beschloss man, das Projekt auf jeden Fall weiterzuführen und schon frühzeitig mit den Vorbereitungen für den bundesweiten Bildungsstreik zu beginnen. Das Komitee wuchs auf knapp 20 SchülerInnen.

Bis zum Bildungsstreik am 17. November hat sich das Komitee jede Woche getroffen, die SchülerInnen haben diskutiert und viele Aktionen gemacht, unter anderem einen Aktionstag zum Thema: „Was ist falsch am Bildungssystem?“, der während der Unterrichtszeit mit der gesamten SchülerInnenschaft in der Turnhalle stattfand. Kurz davor gab es eine Flyeraktion: „Bundeswehr raus aus den Schulen!“, als ein Bundeswehroffizier an die Schule kam, um im Politikunterricht einen Vortrag über Terrorismus zu halten. Das gesamte Streikkomitee besuchte auch eine offene Streikversammlung der CFM-ArbeiterInnen und ein Vertreter hielt ein kurzes Grußwort. Das ist ein wichtiges Beispiel der Solidarität zwischen ArbeiterInnen und Jugendlichen, für die das John-Lennon-Streikkomitee konsequent eintritt. (Leider war es das einzige Schulstreikkomitee beim CFM-Streik.)

Nach dem Bildungsstreik hat sich das Streikkomitee in „Aktionskomitee” umbenannt, um die Gruppe am Leben zu halten und nicht nur bildungsstreikspezifische Aktionen zu machen. So ist das Komitee gerade dabei, einen selbstverwalteten Gemeinschaftsraum für alle SchülerInnen des JLG zu erkämpfen und zu den Blockaden gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu mobilisieren.

Im Zuge des letzten Bildungsstreiks im November gründete sich auch das „Bündnis Streikkomitee Berlin“ als Vereinigung von Berliner Streikkomitees, damit diese sich absprechen und gegenseitig unterstützen sowie einzelnen SchülerInnen dabei helfen können, neue Komitees aufzubauen.

Durch die kontinuierliche Arbeit konnten eine ganze Reihe von SchülerInnen politisiert werden. Aber es geht nicht nur um Politisierung an sich, sondern um den Aufbau von Strukturen, die aktiv gegen Kapitalismus, gegen Imperialismus, für die Einheit von ArbeiterInnen und Jugendlichen und für die sozialistische Revolution eintreten.

Diese Strukturen wurden von Anfang an von den SchülerInnen selbst verwaltet. Die Entscheidungsfreiheit lag und liegt bei ihnen – auch bei Entscheidungen, die politisch nicht von RIO unterstützt wurden, wurde nicht von vornherein blockiert, sondern es wurde auf geduldige Diskussionen und vor allem die eigene Erfahrung mit Erfolgen und Fehlern gesetzt. Es ist eine wichtige Tradition der marxistischen Bewegung, auf die sich RIO beruft, dass junge RevolutionärInnen ihre eigenen Strukturen brauchen, um Verantwortung zu übernehmen und sich zu entwickeln. Somit hat RIO auch nicht dabei geholfen, nur „RIO-spezifische“ Strukturen mit aufzubauen, sondern hat mit unabhängigen AktivistInnen zusammengearbeitet und lediglich Erfahrung in Form von Vorschlägen mit eingebracht.

Mit seinem revolutionären Selbstverständnis ist Red Brain sehr offen umgegangen: Bereits beim allerersten Auftritt definierte man sich als RevolutionärInnen und AntikapitalistInnen (und beschränkte sich nicht etwa auf ein halbpolitisches Eintreten für die Rechte der SchülerInnen vor Ort). Gleichzeitig geht es nicht darum, ausschließlich überzeugte RevolutionärInnen zu bewegen. Es war genauso wichtig, das Aktionskomitee aufzubauen, um alle einzubinden, die sich für ihre Rechte einsetzen wollen („Punker, Hippies, Kommunisten, Piraten und Leute, die sonst nicht politisch aktiv sind”, hieß es in einem Interview – auch wenn niemand in eine Schublade gesteckt werden soll), und mit ihnen gemeinsame Erfahrungen zu machen. Durch diese Doppelstruktur konnten wir die Voraussetzungen für eine revolutionäre Gruppierung, aber auch eine breite Einheitsfront an der Schule schaffen.

Diese Erfahrung war möglich, weil man auf die vielfältigen Erfahrungen der Trotzkistischen Fraktion in einer Reihe von Ländern zurückgreifen konnte. Die Arbeit am John-Lennon-Gymnasium wird im kommenden Jahr fortgesetzt, aber auch als eine Basis verwendet, um breitere Kreise von SchülerInnen für das Programm der sozialistischen Revolution zu gewinnen. Man kann gespannt sein.

Alle Ausgaben von Red Brain auf dieser Seite oder direkt auf redbrain.blogsport.de.

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