„Dieser Lehrstuhl ist einzigartig“: Studierende der Uni Jena kämpfen für den Erhalt der Geschlechter­geschichte

07.12.2022, Lesezeit 7 Min.
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Bild: Geschlechtergeschichte bleibt!/Twitter

Seit vergangener Woche besetzen Studierende und Aktivist:innen den Hörsaal 1 der Uni Jena, um gegen die Abschaffung des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte zu kämpfen. Wir interviewten Mila, Teil des Redaktionsteams von „Geschlechtergeschichte Bleibt!“.

Im Juli beschloss der Fakultätsrat der philosophischen Fakultät der Universität Jena, den Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte nach der Emeritierung der Professorin Gisela Mettele im Jahr 2025 abzuschaffen. Die Studierenden wollen das nicht hinnehmen. Am Mittwoch besetzten sie den Hörsaal 1 und machen durch verschiedene Aktionen auf ihr Anliegen aufmerksam.

Wir haben mitbekommen, dass der Hörsaal 1 der Uni Jena besetzt ist, weil der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte abgebaut werden soll. Wer hat den Protest ins Rollen gebracht?

Mila: Wir sind eine große Gruppe von Studierenden in Jena. Wir bestehen schon seit längerer Zeit und setzen uns dafür ein, dass der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte nicht abgeschafft wird, was gerade verhandelt wird. Schon lange vor der Besetzung gab es verschiedene Versuche, auf unser Anliegen aufmerksam zu machen: Wir versuchten, mit der Unileitung ins Gespräch zu kommen, sammelten Unterschriften, organisierten mehrere Kundgebungen. Doch die Unileitung ist nicht auf uns eingegangen. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, andere Maßnahmen zu ergreifen – und zwar die Uni zu besetzen.

Zum Teil sind wir Menschen, die Geschichte studieren und diesen Lehrstuhl nicht mehr zur Verfügung haben werden. Sollte der Lehrstuhl abgeschafft werden, könnten sie verschiedene Fächer nicht mehr belegen. Doch auch viele andere solidarisieren sich mit der Gruppe, aus allen möglichen Studiengängen, von jung bis alt.

Für alle, die nicht da sind und sich ein Bild machen wollen: Wie sieht die Besetzung aus?

Wir haben es uns mit Sofas und Matratzen gemütlich gemacht, viele Plakate und Banner aufgehängt, wo wichtige Messages draufstehen. Wir wollen alle mit einbinden, es geht uns darum, das hier gemeinsam zu machen. Wir haben Arbeitsgruppen gegründet, zum Beispiel gibt es eine AG, die für das Kochen verantwortlich ist und uns jeden Tag Essen serviert. Es gibt auch Verantwortliche für die Redaktion, die mit Journalist:innen in Kontakt ist. Andere kümmern sich um das Programm, es gibt Diskussionsrunden, gestern haben wir einen Film zu Protestbewegungen geschaut. Wir wollen auch Mottotage machen, zum Beispiel ist einer zu den Protesten im Iran geplant, und einer zur Klimabewegung. Wir schaffen einen Raum für große Themen, da es um viel mehr geht als um unsere konkreten Forderungen.

Du meintest, es gab schon verschiedene Versuche, mit der Unileitung ins Gespräch zu kommen. Warum wollen sie den Lehrstuhl schließen?

Der Uni geht es vor allem um die ökonomische Effizienz der Lehrstühle. In dieser von wirtschaftlichen Zwängen geprägten Welt, in der wir leben, ist Geschlechtergeschichte da leider nicht so wichtig.

Warum ist euch der Erhalt des Lehrstuhls wichtig?

Wir wollen Themen wie Geschlechterfragen, feministische Politik und feministische Theorie behandeln, denen an der Uni sonst wenig Raum gegeben wird. Dieser Lehrstuhl bringt uns diese wichtigen Themen näher, gerade in einer Zeit, in der feministische Debatten breiter geführt werden. Es ist daher auch eine Möglichkeit für Lehramtsstudierende, feministische Theorie zu lernen, um diese Inhalte in Schulklassen weiterzutragen. Außerdem ist dieser Lehrstuhl einzigartig. Es gibt in dieser Form keinen weiteren seiner Art in Ost-Deutschland. Es ist eine besondere Möglichkeit für Studierende an der Uni Jena.

Ihr habt schon viel Solidarität für eure breiten Forderungen erhalten, von jung bis alt. Was machen die Menschen gerade konkret, um euch zu unterstützen? 

Die Professorin Gisela Mettele hat sich bei uns gemeldet und uns ihre Unterstützung kundgetan. Auch der gesamte Lehrstuhl bestärkt uns in unserem Vorhaben. Wir sehen auch, dass viele Studis hinter uns stehen.

Was wichtig zu sagen ist, ist, dass wir nicht nur für diesen Lehrstuhl kämpfen, sondern für viel mehr. Wir kämpfen gegen die prekären Arbeitsverhältnisse, die an der Uni herrschen. Die Studis, die hier an der Uni angestellt sind, erhalten nur befristete Arbeitsverträge. Oft werden die Löhne nicht ausgezahlt. Das Lehrpersonal steht auch hinter uns. Viele äußern sich leider noch gar nicht, aber viele andere stimmen uns zu und supporten uns in dem, was wir machen.

Wie sehen eure nächsten Schritte aus, was ist euer Plan?

Am Freitag (den 02.12., Anm. d. Red.) fand ein Gespräch mit Herrn Rosenthal statt, dem Präsidenten der Uni. Bisher haben wir noch keine Rückmeldung zu unserer Forderung erhalten, daher müssen wir sehen, wie er auf uns eingeht, ob er überhaupt einen Kompromiss* sucht. Aber solange sich nichts verändert, solange nicht auf unsere Forderungen eingegangen wird, werden wir auf jeden Fall hier an der Uni bleiben und diesen Raum für unsere Ideen, für unser Programm und unsere Vorstellung einer demokratischen Uni nutzen.

Was sind eure konkreten Forderungen?

Im Prozess um den Erhalt des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte hat sich gezeigt, dass die studentische Öffentlichkeit in Entscheidungen nicht einbezogen wird. Wir fordern deshalb die Demokratisierung der Uni – dass wir Studis gehört werden, dass wir mitentscheiden dürfen, was an der Uni gelehrt und angeboten wird.

Wir stellen uns außerdem entschieden gegen den Rechtsruck in Thüringen. Denn die Forderung, den Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte zu streichen, entspringt den Forderungen der AfD. Diese hat sich gestern, nach Aufruf der Landesvorsitzenden der „Jungen Alternativen“ (Jugendorganisation der AfD), mit 10 bis 15 Personen sogar vor dem Hörsaal versammelt, um gegen unsere Besetzung zu demonstrieren. Das hat uns nochmal deutlich gezeigt, wie wichtig unsere Aktion auch im Kampf gegen Rechts ist.

Ein weiteres Thema, welches wir noch stärker nach außen tragen wollen, ist die prekäre ökonomische Situation von Studis. Wir fordern deshalb genug Bafög für alle und Tarifverträge von studentisch Beschäftigten.

Wie kann man euch in eurem Kampf unterstützen, vor Ort in Jena aber auch darüber hinaus?

Wir sind eine große Gruppe von vielen Menschen, die viele Ideen einbringen und jeden Tag Neues dazulernen. Verschiedene Vereine sind da bereits für uns da. Wir finden es aber auch toll, wenn Leute hier Vorträge halten und andere Themen einbringen wollen.

Ein zentrales Druckmittel in unserer Hand ist die Öffentlichkeit. Unser Präsident Walter Rosenthal wurde von der Zeit zum Hochschulmanager des Jahres 2022 gekürt und ist deswegen oft in den Medien. Da ist es natürlich interessant zu recherchieren, was an der Uni Jena so passiert, und dann so viele Meldungen zu unserem Kampf zu sehen. Die Berichterstattung ist meistens sehr positiv, weil wir gerade wirklich für die Demokratie kämpfen. Wir freuen uns deswegen sehr, wenn mehr Aufmerksamkeit für unseren Kampf geschaffen wird.

*Nach Durchführung des Interviews veröffentlichte die Initiative eine Pressemitteilung zum Gespräch mit der Universitätsleitung, die hier einsehbar ist.

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