Die Polizei zerschlagen statt recyceln

24.06.2020, Lesezeit 7 Min.
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Die Journalist*in Hengameh Yaghoobifarah veröffentlichte eine Satire gegen die Polizei bei der taz. Seitdem wird sie vom Innenminister Seehofer, den Polizei"gewerkschaften" und sogar der angeblich linken taz angegriffen. Geht’s noch?

Am 15.06.2020 schreibt Hangameh Yaghoobifarah in ihrer Kolumne über die Polizei. “All cops are berufsunfähig”, titelt sie.

“Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch. Oder haben Sie schon mal von einem Terrornetzwerk in der Backshop-Community gehört? Ich nämlich auch nicht.” schreibt sie. Und “Ich würde mir nicht mal eine Pediküre von ihnen geben lassen. Eine Nagelfeile ist eine Waffe.”

Nicht mal 3.000 Zeichen lang bringt Hangameh Frust über die Polizei zu Papier, denkt darüber nach, wo um alles in der Welt man Ex-Cops unterbringen könnte, sollte es die Polizei nicht mehr geben (aber den Kapitalismus schon). Und endet mit folgendem Absatz: “Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.”

Am 22.06.2020 kündigte Innenminister Horst Seehofer an, eine Anzeige gegen die taz stellen zu wollen. Er drückt damit seinen Wunsch aus, mit den härtesten Mitteln gegen jegliche Infragestellung der Repressivorgane des bürgerlichen Staates vorzugehen. Irgendwo in der Nähe von Volksverhetzung sieht er die Aussagen der Kolumne. “Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.”

Ohne Rückenwind im Shitstorm

Die Empörung der Bourgeoisie ist groß. Die sogenannte „Gewerkschaft“ der Polizei (GdP) und die sogenannte Deutsche Polizei“gewerkschaft“ stellen sogar Strafanzeige. Zwar behaupten sie gerne, dass sie auch dafür kämpfen, dass wir gegen sie sein können, aber das ist offensichtlich nichts als heiße Luft.

Von überall her prasselt es auf Hengameh Yaghoobifarah ein. Die taz, die sich selbst als links und unabhängig rühmt, knickte unter dem Shitstorm weg und gab krachend nach. Stand der Veröffentlichung dieses Artikels wurden ganze drei Folgeartikel veröffentlicht, in denen die taz sich unter dem Schleier interner Diskussionskultur aktiv gegen Hengameh und die Kolumne stellt. Die Chefredakteurin, Barbara Junge, schwenkte hin und her im Sturm und schießt gegen die Kolumne aber auch gegen Seehofer im verzweifelten Spagat zwischen dem linken Image und dem Kuschelkurs mit dem “Status quo” und entschuldigte sich sogar bei der Polizei

Würde eine wirklich unabhängige und “linke Tageszeitung derartig vor dem Innenminister einknicken? Würde sie gegenüber der Polizei solidarischer sein als gegenüber ihren eigenen Journalist*innen?

Wo der Satire die Analyse fehlt

In ihrer Kolumne fragt Hengameh Yaghoobifarah was passiert: “Wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht, in welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen?“ Ihre Antwort lautet nirgendwo, weil man jemandem mit „autoritärer Persönlichkeit“ und „Fascho-Mindset“ keine Verantwortung geben kann, noch nicht mal zu Briefkästen oder Mülltonnen.

Warum aber tummeln sich in der Polizei so viele „autoritäre Persönlichkeiten“ mit „Fascho-Mindset“? Folgte man der Argumentation von Hengameh Yaghoobifarah, würde es ausreichen, mit einem Test die psychologische Eignung von Bullen für den Polizeidienst zu überprüfen. Das ist jedoch trotz all der Kritik des Liberalismus an der „Pauschalisierung“ genau die Illusion in eine liebe „politisch korrekte“ Form der kapitalistischen Herrschaft.

Es kommt aber nicht ohne Grund zu so einer relativen Häufung von „autoritären Persönlichkeiten“ mit „Fascho-Mindset“ in der Polizei. Sicherlich suchen sich Rassist*innen gezielt Posten in Repressivapparaten aus und bauen dort Strukturen auf. Doch die Polizei ist nicht deswegen rassistisch, weil ihr mehr oder weniger Rassist*innen beitreten, sondern es ist gerade die strukturelle Rolle der Polizei, die den Rassismus vorantreibt. Bullen werden Rassist*innen, weil sie Bullen sind.

Die Begriffe „autoritäre Persönlichkeit“ und „Fascho-Mindset“ verweisen auf die Faschismus-Analyse der Frankfurter Schule, die Faschismus mit dem „autoritären Charakter“ erklärten. Das ist eine idealistische Kritik, die annimmt, das Bewusstsein bestimme das Sein, im Gegensatz zum materialistischen Ansatz von Marx und Engels, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Der Faschismus wird, wie auch die Polizei, durch seinen Klassencharakter bestimmt. Die Polizei sichert die kapitalistische Herrschaft oder besser gesagt, das kapitalistische Privateigentum. Sie stellt die Besitzlosigkeit der großen Mehrheit sicher und dadurch die Existenz einer besitzlosen Klasse, das Proletariat, das aufgrund seiner Besitzlosigkeit dazu verdammt ist, seine Arbeitskraft an die besitzende Klasse, die Bourgeoisie, zu verkaufen.

Es ist nicht zu leugnen, dass der Polizeidienst Spuren im Bewusstsein hinterlässt. Als Stoßtrupp zum Schutz des Privateigentums hat man täglich mit Anfeindungen von bestimmten Sektoren zu kämpfen. Der Hass auf die Polizei ist dabei gerechtfertigt. Ihre Rolle ist der Schutz des kapitalistischen Systems, das einen Großteil der Bevölkerung zu Armut verdammt. Zum Schutz des Privateigentums stellen sich auch den Arbeiter*innen entgegen, die mit militanten Mitteln für ihre Interessen kämpfen.

Aktuelle Beispiele dafür liefern die Auseinandersetzungen in Stuttgart, deren Auslöser die Schikane von Jugendlichen war, die auf Drogendelikte kontrolliert wurden. Die nach den anschließenden Randalen aus ganz Baden-Württemberg zugezogenen Polizist*innen hatten die Aufgabe, die Plünderungen und Zerstörung von Privateigentum zu verhindern. Aber auch beim Streik der rumänischen Erntehelfer*innen zur Corona-Hochzeit wurde die Polizei gerufen, als sie sich weigerten, auf die Felder zu gehen. Die Rolle, Streiks zu brechen, nimmt die Polizei bei vielen härteren Arbeitskämpfen ein, wenn sie von den Bossen gerufen wird, um ihre Interessen durchzusetzen. So zum Beispiel bei Neupack in Hamburg im Jahr 2013, wo sie den Streikbrecher*innen den Weg bahnten oder bei den Streiks bei Halberg-Guss in Leipzig oder Voith in Sonthofen zur Erhaltung des Werks, wo sie zur Auflösung der Blockade des Werkstors eingesetzt wurden.

Damit kommen wir zur eigentlichen Frage von Hengameh Yaghoobifarah: Wohin mit den Bullen? Weil also das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt und nicht das Bewusstsein das Sein, wäre es also durchaus hilfreich, Bullen eine nützliche Tätigkeit zuzuweisen. Statt Obdachlose von Bahnhöfen zu drängen, könnten sie die Bahnhöfe reinigen. Wenn sie nicht länger zum Schutz des Privateigentums eingesetzt werden, verändert sich mit ihrer gesellschaftlichen Stellung auch ihr Bewusstsein.

Zerschlagen statt Recyceln

Der Angriff auf Hengameh Yaghoobifarah durch Seehofer, ist ein zutiefst zynischen Manöver. Seehofer fährt zur Verteidigung des Privateigentums alle Geschütze auf und kann sich dabei auf die Feigheit der taz und seine Schergen der Polizei verlassen.

Da das kapitalistische Privateigentum und die gesellschaftliche Stellung der Polizei, die „autoritäre Persönlichkeit“ und „Fascho-Mindset“ hervorruft, muss das kapitalistische Privateigentum abgeschafft werden, also der kapitalistische Staat insgesamt überwunden und die Bourgeoisie als herrschende Klasse abgelöst und die Produktion vergesellschaftet werden.

Die Forderung nach der Zerschlagung der Polizei geht somit mit der Abschaffung des kapitalistischen Systems einher. Ansonsten würde es nur eine Erneuerung der Polizei kommen, die neue Angriffe auf die Ausgebeuteten und Unterdrückten mit neuem Personal durchführt, um das kapitalistische Privateigentum zu schützen.

Daher fordern wir: die Polizei zu zerschlagen anstatt zu recyceln, den Rücktritt von Horst Seehofer und Solidarität mit Hengameh Yaghoobifarah!

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