Die Parteitage der Koalition bestätigen ihren menschenverachtenden Kurs

16.12.2015, Lesezeit 6 Min.
1

Direkt hintereinander fanden die Parteitage der SPD und CDU statt. Beide Parteivorsitzende, Sigmar Gabriel (SPD) und Angela Merkel (CDU), brachten ihre Parteien wieder auf Kurs. Trotz Umfrageschwächen geht die Große Koalition damit gestärkt aus dem Jahr 2015 heraus, auch wenn die latente Regimekrise noch längst nicht überwunden ist.

„Angela Merkel führt. Die Partei folgt.“ Passender hätte die Süddeutsche Zeitung den Auftritt der Bundeskanzlerin und CDU-Parteivorsitzenden Angela Merkel beim CDU-Parteitag am Montag in Karlsruhe kaum beschreiben können. In ihrer Rede „packte sie die Partei an der Seele“, kommentierte auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nach der Rede stehende Ovationen, eine wiedervereinte Partei also?

Die letzten Monate wirken jetzt wie weggewischt. Ständig hatte Merkel von Seiten des rechten Parteiflügels und der Schwesterpartei CSU in der Kritik gestanden. Unvergessen ihre Demütigung beim CSU-Parteitag im November. Und auch im Vorfeld des Karlsruher Parteitags wurde über eine harsche Debatte spekuliert. Die Junge Union, die Mittelstandsvereinigung und die Kommunalpolitische Vereinigung der Partei wollten die Forderung nach einer Obergrenze von Geflüchteten in den Leitantrag zum Parteitag aufnehmen. Ein Kunstgriff der Parteiführung verhinderte schließlich das Wort „Obergrenze“ im Leitantrag, doch eine massive „Reduzierung“ von Geflüchtetenzahlen soll es geben.

Dass das eigentlich keinen Unterschied macht, stellte ausgerechnet Merkels innerparteilich schärfster Kritiker, Horst Seehofer (CSU), am Dienstag fest: „Kontingent, Obergrenze, Rückführung, Reduzierung – da können wir jetzt Sprachwissenschaftler einsetzen, die uns genau den Unterschied erläutern.“

Parteiinterne Krise überwunden?

Nichtsdestotrotz gilt Merkel nun als große Versöhnerin – mal wieder. Die sogenannte Flüchtlingskrise hatte sie zum ersten Mal in ihrer zehnjährigen Kanzlerinnenschaft ins Wanken gebracht, und auch international bröckelte ihr Image als Lenkerin Europas. Mit dem Parteitag brachte sie all ihre Kritiker*innen hinter sich: Von 1000 Delegierten stimmten gerade einmal fünf gegen den Leitantrag.

Merkel hat damit die Oberhand zurück und sieht ihren Kurs gestärkt – trotz der (weitaus leiseren) Kritik Seehofers bei seiner Rede. Doch was die Medien nun als Erfolg eines „humanitären Kurses“, als Durchsetzung des „Wir schaffen das“ feiern, ist nichts anderes als die Fortführung der menschenverachtenden und geflüchtetenfeindlichen Politik der letzten Monate, angereichert mit der Androhung weiterer Verschärfungen.

Seit Mitte letzten Jahres wurde das Asylrecht in Deutschland viermal (!) verschärft, eine weitere Verschärfung wird gerade diskutiert und könnte Anfang des Jahres beschlossen werden. Die „Reduzierung“ kann in der Praxis gar nichts anderes heißen als die noch stärkere Verstärkung von Abschiebungen, die Befestigung der Grenzen und die Fortsetzung der menschenverachtenden Zustände in Lagern und Behörden.

Und während Merkel pathetisch die Verpflichtung zur „Würde des einzelnen Menschen“ von der Bühne flötet, sorgt ihr Bluthund Schäuble für die richtige Einordnung: Familiennachzug muss begrenzt werden. Keine „Menschenwürde“ also für die Familienangehörigen von Geflüchteten.

Merkels „Wir schaffen das“ ist deshalb nur im Diskurs, keinesfalls jedoch in ihren Fundamenten von den Forderungen der Parteirechten zu unterscheiden. „Wir schaffen das“ müsste eigentlich ergänzt werden: „Wir schaffen das, euch die Repression gegen Geflüchtete als humanitäre Hilfe zu verkaufen.“

Gabriel: zugleich geschwächt und gestärkt

Der SPD-Parteitag am Wochenende wurde von der Presse mit weniger Lorbeeren bedacht. „Merkel kann mit ihrer Partei umgehen, Gabriel nicht“, so wiederum die Süddeutsche. Ein „Fiasko“ sei der Parteitag sogar gewesen.

Ja, Wirtschaftsminister Gabriel wurde nur mit 74,3 Prozent wieder zum Parteivorsitzenden gewählt, und in der Partei rumort die Kanzler*innenfrage. Auch Auseinandersetzungen mit der Parteijugend der JuSos waren zu hören. Sigmar Gabriel ist keineswegs so unangefochten wie Angela Merkel.

Doch diese oberflächliche Betrachtung verkennt das eigentliche Ergebnis des Parteitags: Die Leitanträge zur Zustimmung zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA wurden scheinbar mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist für Gabriel der Weg für seine zentralen politischen Vorhaben für den Rest der Legislaturperiode frei. Unter keinen Umständen dürfe die SPD Zweifel an ihrer Regierungsfähigkeit aufkommen lassen, war seine wichtigste Botschaft.

Diese Logik der Alternativlosigkeit hat schon bei der Agenda 2010 die parteiinterne Kritik am Rechtskurs der Parteiführung hinweggefegt. Anträge zur Sicherstellung der Rechte von Arbeiter*innen – außerhalb der vagen Formel der „Mindeststandards“ – kamen deshalb auch nicht durch. Diese „Mindeststandards“ sind wie faule Kompromisse, mit der sich der linke Parteiflügel abspeisen ließ. Warum? Weil auch sie keine Zweifel an der Regierungsfähigkeit aufkommen lassen will. Die SPD wird nun also mit TTIP und CETA einen weiteren Angriff auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innenklasse anführen. Gabriel hat sich durchgesetzt.

Die latente Regimekrise schwelt weiter

Obwohl die Parteispitzen personell und inhaltlich bestätigt wurden, bedeutet das nicht, dass die latente Regimekrise in Deutschland überwunden wäre. Weder sind die parteiinterne Debatten endgültig vorbei, noch wurden Lösungen – nicht mal im Sinne der Bourgeoisie – für die strukturellen Ursachen dieser Krisen gefunden.

Auch wenn die Eurokrise durch die Kapitulation der griechischen Regierung im Sommer einigermaßen eingedämmt wurde, kann sie jederzeit wieder aufbrechen, wenn die griechische Arbeiter*innenbewegung ihre Mobilisierungen und Streiks der letzten Wochen verstärkt.

Doch vor allem wird die Geflüchtetenkrise weiter andauern. Die rassistischen und nationalistischen Mobilisierungen, die von AfD und Pegida angeführt werden, gehen unvermindert weiter. Die rassistischen Zustände in Lagern und Behörden, die geplanten Massenabschiebungen und die Ankunft hunderttausender weiterer Geflüchteter in den nächsten Monaten, sowie der offizielle Eintritt der Bundeswehr in den Syrien-Krieg werden die Situation noch stärker anheizen.

Die Politik der Regierung ist das Fundament zur Stärkung der radikalen Rechten. Damit diese nicht noch weiter in die Offensive gehen, müssen wir eine große Bewegung gegen die Kriegs- und Abschottungspolitik, gegen die Beschneidungen von demokratischen Rechten und gegen den Rassismus aufbauen.

Mehr zum Thema