Die neuen Klimaziele des grünen Kapitalismus

11.12.2020, Lesezeit 4 Min.
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Roschetzky Photography / shutterstock.com

Der EU-Gipfel hat sich nach langem Ringen geeinigt, die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Mit den neuen Zielen soll die Wirtschaft für die grüne Erneuerung ausgerichtet werden.

Die Verhandlungen in Brüssel gingen die ganze Nacht. Am morgen verkündeten die Staats- und Regierungschefs die neuen Klimaziele der Europäischen Union. Mit der Verschärfung soll die Erderwärmung gebremst und das Abkommen von Paris umgesetzt werden. Die EU hatte sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein, d.h. weniger Treibhausgase zu produzieren als durch Wälder und andere CO2 Speicher ausgeglichen werden kann.

Die Europäische Union möchte mit den neuen Zielen die Umstrukturierung der Wirtschaft hin zu einem grünen Kapitalismus vorantreiben. So soll die Entwicklung erneuerbarer Technologien beschleunigt werden, um den Anteil von Ökostrom am gesamten Verbrauch bis 2030 auf 38 bis 40 Prozent zu steigen. Um das zu erreichen, sollen Kohlekraftwerke durch eine höhere CO2-Steuer weniger rentabel gemacht werden. Auch die Autoindustrie soll mehr Tempo bei der Umstellung auf Elektroautos machen. Außerdem wollen einige Staaten unter der Formulierung „Technologieoffenheit“ die Atomkraft ausbauen, um ihren CO2-Verbrauch zu senken. Mitgliedstaaten wie Polen und Tschechien forderten aufgrund ihrer starken Abhängigkeit von der Kohle mehr Unterstützung bei der Umstellung ihrer Wirtschaft.

Umweltverbände wie Greenpeace kritisieren den Beschluss. Sie fordern eine Begrenzung auf 65 Prozent um die Erderwärmung rechtzeitig zu stoppen. Außerdem werfen sie der EU vor, ihre Ziele zu verfälschen, indem sie Klimagase einberechnen, welche in Wäldern gespeichert werden. 

Die Kritik der NGOs zeigt, dass die Ziele selbst für die ökonomischen und humanistischen Maßstäbe der Europäischen Union zu niedrig sind. Zum Schutz einzelner Kapitalgruppen, wie der deutschen Automobilindustrie, werden die Klimaziele gedämpft. Für den kurzfristigen Profit werden Millionen Menschen geopfert, denen die Klimakrise schon heute die Existenzgrundlage entzieht.

Allerdings können wir den EU-Gipfel als ein Zeichen der Anstrengung im Wettlauf um die grüne Erneuerung verstehen. So schreibt der Chef des Europäischen Rats Charles Michel am Freitagmorgen auf Twitter: „Europa führt den Kampf gegen den Klimawandel an“. Was er damit meint, ist das Streben der Europäischen Union, den grünen Kapitalismus anzuführen. Deutschland und Frankreich haben sich zu den Pionieren der grünen Erneuerung erklärt. In einer Allianz aus Reformer:innen mit florierenden Unternehmen soll die europäische Wirtschaft für den Strukturwandel ausgerichtet werden. Der Aufschwung von Parteien wie „Bündnis 90 die Grünen“ ist mitunter darauf zurückzuführen, dass sie das Versprechen der grünen Erneuerung zu ihrer politischen Identität gemacht haben.

Der grüne Kapitalismus ist der Versuch, eine Mischform zwischen Neoliberalismus und Ökologie zu schaffen. Das Ziel ist die Begrenzung der Umweltzerstörung durch eine partielle Umstellung der Produktionssysteme, während die Entwicklung neuer Technologien das Wirtschaftswachstum ankurbeln und den Unternehmen weiterhin ihre Stellung auf dem Weltmarkt sichern soll. Das Modell der kapitalistischen Akkumulation und Ausbeutung wird dadurch nicht gebremst, sondern letztlich sogar verstärkt.

Das Wesen des Kapitalismus ist jedoch die Ausweitung von Profit um jeden Preis, auch wenn dies mit der materiellen Zerstörung des Planeten verbunden ist. Das Kapital wird auch im grünen Kapitalismus Mittel und Wege finden, um Profite durch die Ausbeutung von Natur und Arbeitskraft zu maximieren. Wissenschaftler:innen alarmieren schon heute, dass die Herstellung von Batterien für Elektroautos hohe Emissionswerte erzielt. Auch die Gewinnung der notwendigen seltenen Rohstoffe wie Lithium gleicht einem Raubzug auf Kosten der Umwelt und der Arbeiter:innen in den Minen. Begleitet wird die Neustrukturierung der Wirtschaft von einer zunehmenden Militarisierung. So erklärte die Nato den Kampf um Rohstoffe zu einem möglichen Bündnisfall. Auch die Grünen erklärten auf ihrem Parteitag die Notwendigkeit, „humanistische“ Auslandseinsätze als Mittel einzusetzen.

Der einzige Ausweg aus der uns drohenden Katastrophe besteht darin, die Weltwirtschaft grundlegend neu zu organisieren, oder wie Marx sagen würde, durch „die Einführung der Vernunft in den Bereich der Wirtschaftsbeziehungen“. Doch das wird nur möglich sein, wenn die Planung der Wirtschaft nicht an den Profitinteressen der Unternehmen ausgerichtet wird, sondern an dem materiellen Interesse der Menschen, die Katastrophe zu verhindern. Nur mit der Vergesellschaftung und konsequenten Umstrukturierung der gesamten Energiewirtschaft unter demokratischer Kontrolle kann die Krise abwendet werden.

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