„DIE LINKE wird noch weiter in den Staat integriert als ohnehin schon“

03.12.2021, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: C.Suthorn / commons.wikimedia.org

Am Montag wurde der neue Berliner RRG-Koalitionsvertrag vorgestellt. Sollten Linke der Regierungsbildung zustimmen? Wir haben Dan, Landessprecher von Solid Berlin, und Tom, Mitglied von Solid Berlin Nord, nach ihrer Meinung gefragt. Interview: Stefan Schneider.

Hallo Tom, hallo Dan. Ihr seid beide aktiv bei der Linksjugend Solid in Berlin. Was haltet ihr von dem am Montag präsentierten Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und LINKEN in Berlin?

Tom: Ich denke, dass dieser Koalitionsvertrag nicht nur dafür sorgt, dass DIE LINKE noch weiter in diesen Staat integriert wird als ohnehin schon, sondern dass dieser dazu auch noch dazu konzipiert ist, dasselbe mit der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen zu tun und ihre Kernforderungen zu untergraben. Folglich bewerte ich diesen Koalitionsvertrag sehr negativ. Abseits vom Ausbremsen des Mietenkampfs finde ich besonders katastrophal, dass Berlins unmenschliche Abschiebepolitik fortgesetzt wird, und dass staatliche Repressionsorgane wie die Polizei sogar noch gestärkt werden.

Dan: Ich bin revolutionärer Sozialist und so sollte es auch keine Überraschung sein, dass ich eine Regierungsbeteiligung mit kapitalistischen und bürgerlichen Parteien ablehne. Allerdings ist es schon so, dass die Linkspartei in Berlin ganz besonders sozialdemokratisch ist, beziehungsweise schon immer sozialdemokratisch geprägt war. Das ist ja auch durch die Geschichte bedingt: Anders als in den West-Bundesländern, wo die Partei nicht so tief im Staat integriert ist, ist die Linkspartei in Berlin schon seit PDS-Zeiten sehr staatstragend. Das heißt, dass diese Parteibürokratie und die Parteifunktionär:innen – und auch Teile der Basis –, sich nur auf die nächste Regierungszeit vorbereiten, selbst wenn sie in die Opposition gehen. Ihr Überleben und ihre Existenz hängt vom Regieren ab. Ihre ganze politische Strategie und ihre Ziele basieren auf der Logik des kleineren Übels.

In der letzten Legislaturperiode wurde der Regierungsantritt mit dem Mietendeckel begründet. Da gab es zwar auch Bedenken, aber in viel geringerem Ausmaß als heute. Diesmal macht die Partei ganz offen eine verräterische Politik, die zu echten Verschlechterungen innerhalb der Arbeiter:innenklasse führt. Zum Beispiel wird der massive Ausbau der Polizei, also des repressiven Staatsapparats, mitgetragen. Und das wird alles liberaler Symbolpolitik geopfert, wie zum Beispiel Straßenumbenennungen und so weiter. Damit wird ja nichts für die multiethnische Arbeiter:innenklasse, die es in Berlin gibt, getan, während man gleichzeitig eine rassistische Politik mitträgt.

Was sollten LINKE-Mitglieder und die Linke im Allgemeinen angesichts des Koalitionsvertrags eurer Meinung nach nun tun?

Dan: Das ist eine gute Frage. Wir bauen jetzt eine Gegenmacht auf. Ich bin bei Solid, aber kein Mitglied der Linkspartei und werde es auch nie werden. In Berlin-Neukölln hat man ja schon versucht, eine Art Gegenmacht aufzubauen, die unabhängiger von der Parteibürokratie ist. Und das erkennen die Leute in Neukölln ja auch an, dass diese Partei dort vor Ort in der Arbeiter:innenschaft und der Community verwurzelt ist und sich nicht auf das Parlament beschränkt. Sie nutzen natürlich schon auch die Bezirksversammlung als Bühne. Aber wenn die LINKE nun offen den Volksentscheid verrät, ist natürlich schon die Frage, welche Konsequenzen der radikale Teil der Partei dann daraus zieht.

Tom: Wir sollten ganz klar Widerstand leisten, und das am besten als organisierter marxistischer Flügel. Ich begrüße es sehr, dass sich aktuell Parteimitglieder aus verschiedensten Strömungen zusammenfinden, die traditionell nicht so eng zusammengearbeitet haben. Wichtig ist, dass wir unsere Gemeinsamkeiten, wie konsequenter Antirassismus, Klassenkampf, Antirepressionsarbeit, Antimilitarismus etc. in Zukunft in den Vordergrund stellen, damit wir der eindeutig sehr gut organisierten Sozialdemokratie etwas entgegenzusetzen haben.

Und was tut ihr, wenn der Koalitionsvertrag dennoch eine Mehrheit findet und DIE LINKE in eine Koalition mit SPD und Grünen eintritt?

Dan: Wir wissen ja schon, dass der Vertrag höchstwahrscheinlich durchgeht. Meist wird das Für oder Wider des Koalitionsvertrags ja mit roten Haltelinien argumentiert. Mit dieser Strategie bin ich nicht einverstanden. Als Sozialist argumentiere ich aus einer grundsätzlicheren Position heraus: Ich lehne eine Regierungsbeteiligung mit kapitalistischen Parteien in einem imperialistischen Staat völlig ab. Andere in der LINKEN weichen das auf und sagen, dass es auf die Inhalte ankommt. Also wir müssen erstmal im linken Flügel dieses Argument gewinnen, damit es eine klare marxistische Strategie gibt, auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus. Das haben wir zum Beispiel auch bei Solid jetzt versucht, wo es auf unserer Landesmitgliederversammlung eine positive Bewegung gab.

Tom: Wir müssen weiter dafür kämpfen, dass der marxistische Flügel in der Linkspartei wächst und vor allem besser organisiert auftritt. Wenn man sich anschaut, mit welchen Problemen die Menschen in dieser Gesellschaft konfrontiert sind, ist klar, dass wir im Gegensatz zu den Sozialdemokrat:innen Antworten und Perspektiven bieten können. Ich bin deshalb sehr optimistisch und habe auch allgemein ein sehr positives Gefühl in Bezug auf Linkspartei und die Linksjugend, weshalb ich mich aufgrund einer kurzfristigen Niederlage auch nicht aus der Ruhe bringen lassen würde.

Dan: Es geht ja darum, dass dieser radikale Flügel der LINKEN gestärkt wird. Es ist ja schon jetzt der Fall hier in Berlin, dass viele soziale Bewegungen immer mehr die Grenzen der Linkspartei erkennen und sehen, dass die Regierungsbeteiligung die Bewegungen hemmt. Aber bevor man austritt, muss man zuerst die radikalen Kräfte in der Partei aktivieren, sonst läuft das alles ins Leere. Unsere Aufgabe ist es in dem Sinne erst einmal, dafür zu sorgen, dass AKL, SAV, SOL und so weiter sich stärker zusammenschließen und ihre Stärke zeigen. Das könnte dann vielleicht auch dazu führen, dass man dann in fünf Jahren vielleicht eine unabhängige Kandidatur in Berlin organisieren kann.

Vielen Dank für eure Zeit!

Mehr zum Thema