Die deutsche Regierung positioniert sich als nächste „Führung der westlichen Welt“

30.05.2017, Lesezeit 5 Min.
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Nach dem G7-Gipfel am Wochenende auf Sizilien vertieft sich der Konflikt zwischen Deutschland und den USA. Während Merkel dazu aufrief, das "Schicksal wirklich in unsere eigene Hand" zu nehmen – ohne auf die USA zu vertrauen –, spricht Außenminister Gabriel von einem "Ausfall der Vereinigten Staaten als wichtige Nation". Die deutsche Regierung bereitet sich auf ihre Führungsrolle in der Welt vor.

Am Sonntag sprach Bundeskanzlerin Merkel (CDU) bei einer Bierzeltrede in München über ihre Schlussfolgerungen vom G7-Treffen in Sizilien, bei dem die Spaltung zwischen den USA und den restlichen G7-Mitgliedern offen zutage trat. Merkel betonte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Sie beeilte sich, nicht alle Verbindungen zu den USA zu kappen, aber wiederholte auch: „Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.

Am Montag betonte Regierungssprecher Steffen Seibert die Wichtigkeit der transatlantischen Beziehungen, aber die Diskussion lief unvermindert weiter. Außenminister Gabriel (SPD) ging soweit, zu konstatieren, dass beim G7-Gipfel ein „Ausfall der Vereinigten Staaten als wichtige Nation“ sichtbar wurde. „Das ist leider ein Signal für die Veränderung im Kräfteverhältnis der Welt„, sagte Gabriel. „Der Westen wird gerade etwas kleiner.“ SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warf der US-Regierung „politische Erpressung“ vor.

Auch wenn die SPD damit rhetorisch versucht, die CDU zu überholen, vertritt sie damit doch dasselbe Ziel: Deutschland soll ein „starkes Europa“ anführen. Selbst die Linkspartei-Chefin Katja Kipping blies ins selbe Horn: Als Antwort auf Trump müsse Europa stärker zusammenrücken.

Dieser Ruf nach mehr europäischer Eigenständigkeit – der nichts anderes bedeutet als den Führungsanspruch des deutschen Imperialismus über die gesamte Welt, auch gegen die USA – ist natürlich nicht neu. Seit Jahren ist von „mehr Verantwortung“ die Rede, die vor allem Deutschland in der Welt übernehmen müsse. Verantwortung für Kriege, für imperialistische Ausplünderung, für die Abschottung Europas. Nicht umsonst macht das deutsche Verteidigungsministerium immer größere Schritte in Richtung des Aufbaus einer „europäischen Armee“.

Dennoch ist die Diskussion nach dem G7-Gipfel deutlicher als je zuvor. Sie ist eine Kampfansage an den Anspruch der USA, der Hegemon der „westlichen Welt“ zu sein. Die Trumpsche Präsidentschaft – zugleich Zeichen der tiefgreifenden Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse der USA und willkommener Anlass für eine größere Distanzierung – bietet den perfekten Zeitpunkt für das deutsche Kapital, mit Sieben-Meilen-Stiefeln eine von den USA unabhängige Allianz aufzubauen.

Dazu will die Bundesregierung auch den Nachbarn Frankreich in die Pflicht nehmen: Der neue neoliberale Präsident Emmanuel Macron versucht zwar, Deutschland zu Investitionen zu drängen, um für die gesamte Eurozone als „Wirtschaftslokomotive“ zu fungieren. Doch sein erneuter Vorschlag einer Fiskalunion, die die Debatte um Eurobonds erneut hat aufflammen lassen – auch wenn er sich selbst von dieser Forderung distanzierte –, wird in dieser Form an der harten Kante der deutschen Austeritätspolitik scheitern. Stattdessen wird Finanzminister Schäuble (CDU) die Debatte nutzen, um einen europäischen Finanzminister unter deutscher Vorherrschaft durchzusetzen, wie auch die FAZ spekuliert:

Die Abwehrreflexe, die das Thema auslöst, können der Kanzlerin für künftige Verhandlungen gleichwohl nützen: Alles, was die Staats- und Regierungschefs unterhalb der Ebene von Eurobonds an Vergemeinschaftung beschließen, wird Kritikern als harmlosere Option erscheinen.

Im Kern geht es um einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone, verbunden mit einem gemeinsamen Finanzminister. […] Die Rede ist von einer Belohnung für jene Länder, die Strukturreformen durchführen, oder vom Abfedern wirtschaftlicher Schocks. Ein Gerhard Schröder, der in der Krise daheim den Arbeitsmarkt reformiert, müsste dann womöglich gar nicht mehr um eine Aufweichung der Maastricht-Kriterien betteln. Das Geld käme aus Brüssel.

Das Ziel ist eindeutig: eine noch härtere Durchsetzung der deutschen Austeritätspolitik – inklusive scharfer Einschnitte in soziale und Arbeitsrechte – mittels europäischer Institutionen. Oder anders gesagt: die endgültige Unterwerfung Europas unter deutsche Vorherrschaft.

Ein solcher Plan würde indes die Europäische Union nicht „retten“, sondern im Gegenteil wäre die forcierte Unterordnung unter das deutsche Diktat nur der Nährboden für neue Konflikte unter den herrschenden Klassen in Europa – und zwischen den herrschenden und beherrschten Klassen.

Die Alternative zur US-Hegemonie kann deshalb nicht die „Stärkung Europas“ im Sinne der Stärkung der EU bedeuten. Im Gegenteil: Die Stärkung der EU würde die soziale Misere in Europa nur noch vertiefen. Die einzige progressive Alternative für die Arbeiter*innen und die Jugend Europas ist die internationale Solidarität im Klassenkampf und die Zerschlagung der EU und ihre Ersetzung durch eine Perspektive der Vereinten Sozialistischen Staaten von Europa.

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