Deutschlandticket in Gefahr

19.09.2023, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Jaz_Online / Shutterstock

Das letzte große Prestigeprojekt der Bundesregierung steht in seiner jetzigen Form vor dem Aus. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) will an der Finanzierung sparen. Das Ticket könnte in Zukunft also deutlich teurer werden.

Seit dem ersten Mai können Kund:innen für 49 Euro in ganz Deutschland den Nah- und Regionalverkehr nutzen. Auch wenn es deutlich teurer ist, als das von der Bundesregierung wieder eingestampfte 9-Euro-Ticket, zeigte diese Maßnahme bereits positive Wirkung: Die Zahl der Fahrgäste in Regionalzügen erhöhte sich bis Ende Juli bereits um 25 Prozent. Während das Ticket auf dem Land wegen häufig schlechter ÖPNV-Anbindungen bisher wenig gekauft wird, ist es vor allem in Großstädten ein voller Erfolg. Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) verzeichnet beispielsweise seit Einführung des Deutschlandtickets bereits 280.000 Neukund:innen. Vor allem Pendler:innen werden dadurch finanziell entlastet. Denn das Ticket ist deutlich günstiger als die bisher üblichen Monatstarife und es kann obendrein überall in Deutschland genutzt werden. Das Ticket ist also sowohl eine sozialpolitische als auch eine klimapolitische Maßnahme, denn es macht den Nahverkehr gegenüber dem Auto attraktiver.

All diese positiven Ansätze stehen aber jetzt bereits wieder auf der Kippe. Denn um die zukünftige Finanzierung des Tickets ab 2024 wird zwischen Bund und Ländern heftig gestritten. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) rechnet zwar auch in Zukunft mit hohen Verkaufszahlen für das Deutschlandticket, aber er erwartet gleichzeitig deutliche Mindereinnahmen durch diese Vergünstigung. Dies würde dazu führen, dass die Verkehrsbetriebe zukünftig mit Verlusten rechnen müssten und als Ausgleich an anderen Stellen, zum Beispiel dem Streckenausbau oder beim Personal sparen müssten. Eigentlich hatten Bund und Länder für diesen Fall eine sogenannte „Nachschusspflicht“ vereinbart, um die durch die Vergünstigung entstehenden Verluste der Bahnbetreiber:innen zu gleichen Teilen zu bezuschussen. Die Länder hatten bereits im August erklärt, ihren Teil der Abmachung einhalten zu wollen, doch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) stellt sich quer. Er möchte mit Verweis auf die „angespannte Haushaltslage“ keine weiteren Mehrkosten als die Hälfte der für 2024 vereinbarten 3 Milliarden Euro tragen. Der VDV rechnet aber bereits mit rund 4,09 Milliarden Euro Mehrkosten. Die Gewinne der Verkehrsunternehmen wären somit nicht mehr gesichert. Der VDV reagierte auf die Weigerung des Verkehrsministers mit einem Papier, in welchem er feststellt, dass es 2024 ohne „“ausreichend dotierte haushalterische Vorsorge oder eine Nachschusspflicht“ nicht länger möglich sein werde, das Deutschlandticket in seiner jetzigen Form auszugeben und anzuerkennen. Man könne diese Finanzierungslücke nur ausgleichen, indem der Ticketpreis auf 59 Euro angehoben werde.

Mit dieser Sperre setzt der Finanzminister das einzige tatsächlich erfolgreiche sozial- und klimapolitische Projekt der sogenannten „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP aufs Spiel. Eine Preiserhöhung wäre fatal und würde das Projekt effektiv begraben. Verkehrsexpert:innen betrachten das Ticket bereits in seiner jetzigen Form als zu teuer. Neukund:innen würde man mit diesem Preis zu wenig gewinnen und damit weniger Menschen als möglich den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV ermöglichen. Mit einer Verteuerung würde das Ticket das Budget vieler Menschen wieder übersteigen und zu einem Einbruch der Nutzungszahlen führen. Und während Volker Wissing beim Nah- und Regionalverkehr knickrig ist, pumpt der deutsche Staat jährlich ungebremst bis zu 5,5 Milliarden Euro öffentlicher Gelder in das Dienstwagenprivileg, eine indirekte Subvention an die fossile Autoindustrie. Im Angesicht der sich beschleunigenden Klimakrise, ist die Weigerung der Ampelregierung die Ausfinanzierung des Deutschlandtickets sicherzustellen, geschweige denn irgendwelche anderen Maßnahmen für eine soziale und ökologische Verkehrswende zu ergreifen, nicht weniger als kriminell. Laut der NGO „Allianz pro Schiene“ sind „bislang keine Bestrebungen der Koalition zu erkennen, umwelt- und klimaschädliche Subventionen im Verkehrsbereich abzubauen.” Und das obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart war, „überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben abzubauen.“ Insgesamt würden sich die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland pro Jahr auf über 65 Milliarden Euro belaufen.

Die Privatisierung der Deutschen Bahn in den 1990er Jahren und ihre zunehmende Zersplitterung auf mehrere regionale Verkehrsunternehmen, die alle gewinnorientiert wirtschaften, hat das Problem in den letzten Jahrzehnten nur noch verstärkt. Streckenabbau, marode Infrastruktur und chronischer Personalmangel sind die Folge. Doch die Bundesregierung begnügt sich damit, alle paar Jahre einen symbolischen Betrag aufzubringen, der gerade eben den Kollaps des deutschen Schienennetzes abwendet. Und während der marode Bahnkonzern dauerhaft rote Zahlen schreibt und nur durch Steuergelder am Leben erhalten wird, schlucken die absurden Gehälter seiner Spitzenfunktionär:innen riesige Mengen öffentlicher Mittel, die dann bei den Löhnen der Beschäftigten oder bei der Streckenwartung fehlen. Laut Geschäftsbericht für das Jahr 2022 lag die Vergütung des Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz bei insgesamt 2,24 Millionen Euro. Sein Grundgehalt lag bei fast 970.000 Euro. Hinzu kam ein Bonus von mehr als 1,26 Millionen Euro.

Statt den Bahnkonzern und alle anderen privaten Unternehmen im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr zügig zu verstaatlichen und in einer öffentlichen Gesellschaft zusammenzufassen, damit das Profitinteresse der Bosse zu eliminieren und die rationale Planung des Verkehrs möglich zu machen, sichert die Regierung den Verkehrsunternehmen lieber ihre Gewinne und verhindert durch chronische Unterfinanzierung, dass die Mehrheit der Menschen einen Zugang zum ÖPNV hat. Das zeigt: Auf die Worte der Regierung können wir uns nicht verlassen. Einen gut ausgebauten und kostenlosen ÖPNV kann es nur geben, wenn die Beschäftigten im öffentlichen Nah-, Regional- und Fernverkehr, in den Werkstätten, am Gleis und in den Bahnhöfen die Aufgabe der Verstaatlichung und Ausfinanzierung selbst in die Hand nehmen und sie gegen den erbitterten Widerstand der Bosse und der Regierung durchsetzen.

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