Der GDL-Streik ist nicht überzogen, sondern notwendig

11.03.2024, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Maxi Schulz

Die Deutsche Bahn verklagt die GDL, um den kommenden Streik zu verhindern. Warum den Streiks unsere vollste Solidarität gelten sollte.

Der aktuelle Arbeitskampf der Gewerkschaft der Lokführer:innen (GDL) sorgt für riesige Empörung. Die GDL, die ankündigte, zum sechsten Mal in der aktuellen Tarifauseinandersetzung die Arbeit niederzulegen und „Wellenstreiks” für diese Woche plant, wird von der bürgerlichen Presse und Politiker:innen mit Hetze überzogen. Insbesondere der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky, dem unterstellt wird, eine „unverantwortliche und unverhältnismäßige Egoshow” abzuziehen, ist eine beliebte Zielscheibe. 

Die BILD titelte „Wellenstreik [als] die neue Folter”, auch Die Zeit behauptete der Streik sei „unangemessen” und forderte Gesetze, um „die Macht der Gewerkschaften zu begrenzen”.

Bei den Politiker:innen dürfte sie damit auf offene Ohren stoßen. CDU und FDP sprachen sich schon im Februar für eine Einschränkung des Streikrechts aus, etwa durch eine verpflichtende Schlichtung und Ankündigungsfrist.

Die mediale Hetze scheint Erfolg zu zeigen: In Umfragen im März gaben 65 Prozent der Befragten an, kein Verständnis für die Streiks der GDL zu haben. 59 Prozent befürworteten verpflichtende Schlichtungsverfahren und Ankündigungen. Die Auseinandersetzung wird oft so dargestellt, als gäbe es eine kleine Gruppe, die mit Egoismus und Sturheit Millionen von Menschen schadet. Das stimmt tatsächlich, aber bei dieser Gruppe handelt es sich nicht um die Lokführer:innen, sondern um den Vorstand der Deutschen Bahn.

Der DB-Vorstand ist das Problem

Für die marode Schieneninfrastruktur und die massiven Verspätungen und Ausfälle ist der DB-Vorstand verantwortlich, gemeinsam mit der Sparpolitik der Regierung. Währenddessen zahlte sich der DB-Vorstandsvorsitzende Richard Lutz 2023 einen Bonus in Höhe von 1,3 Millionen aus. Auch die Gehälter des Infrastrukturvorstands Berthold Huber und des Personalvorstands Martin Seiler wurden auf je etwa 1,4 Millionen Euro verdoppelt.

Diese Bereicherung findet auf dem Rücken der Bahn-Beschäftigten statt. Der letzte Tarifvertrag zwischen GDL und DB wurde 2021 abgeschlossen und beinhaltete eine Lohnerhöhung um lediglich 3,3 Prozent. Angesichts der hohen Inflation, die zwischenzeitlich bei fast 10 Prozent lag, bedeutet das, dass die Bahn-Beschäftigten in den letzten Jahren von einem krassen Reallohnverlust getroffen wurden. Dazu kommen die drastisch gestiegenen Mietpreise, die bei der Berechnung der Inflationsrate nicht berücksichtigt werden. Auch die von der Regierung umgesetzten Preissteigerungen, etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Restaurantbesuche und die Abschaffung der Energiepreisbremse, tragen zu einem noch höheren Reallohnverlust bei.

Für die Lokführer:innen bedeutet ihr Job eine hohe körperliche und psychische Belastung. So haben sie oft nur einen freien Tag pro Woche und müssen aufgrund des Schichtdienstes starke Einschnitte im Privatleben hinnehmen. Die Forderungen der Beschäftigten nach 555 Euro mehr Lohn, einer Inflationsprämie von 3.000 Euro, einer Erhöhung der Azubi-Gehälter und einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden sind also mehr als gerechtfertigt. 

Die bürgerliche Presse bemüht sich, den Bahnvorstand als vernünftig und entgegenkommend darzustellen. Dabei weigert er sich seit Monaten, ernsthaft auf die Belange der Beschäftigten einzugehen. Sein im Januar vorgelegtes Angebot ist ein Schlag ins Gesicht der Lokführer:innen. Es sieht eine Arbeitszeitverkürzung auf lediglich 37 Stunden vor, unter dem Vorbehalt, dass die Beschäftigten, die sich dafür entscheiden, Lohneinbußen hinnehmen müssen, wodurch die Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden sollen. Zudem soll dieses Modell erst ab 2026 greifen. Anstatt ein besseres Angebot zu unterbreiten, hat sich der Bahnvorstand nun dazu entschieden, juristisch gegen die kommenden Streiks vorzugehen und verklagt die GDL. Es bleibt zu hoffen, dass er mit diesem schmutzigen Manöver nicht durchkommt.

Schlichtungen sind keine Lösung

Im Zuge der Tarifauseinandersetzung zwischen GDL und DB wurden Rufe nach einer Schlichtung laut. Das bedeutet, dass externe Schlichtungspersonen, häufig Politiker:innen, herangezogen werden, um zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft zu vermitteln und so eine Einigung erzielen sollen. Während dieser Zeit ist es der Gewerkschaft verboten, zum Streik aufzurufen. 

Es handelt sich bei solchen Verfahren keineswegs um eine Berücksichtigung der Interessen von Beschäftigten. Vielmehr geht es darum, die Kampfkraft der Beschäftigten zu schwächen und Ergebnisse auszuhandeln, die zu ihren Lasten fallen. Das hat die Schlichtung zwischen der DB und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) letztes Jahr gezeigt, die zu einem Reallohnverlust führte. Der eigentliche Skandal ist also nicht, dass die GDL solche faulen Kompromisse ablehnt, sondern dass viele Gewerkschaftsführungen sich überhaupt auf Schlichtungen einlassen und somit die Interessen ihrer Basis hintergehen. 

Der GDL-Streik ist im Interesse aller Arbeiter:innen

Die Streiks der GDL zeigen, welche Macht Arbeiter:innen entfalten können, wenn sie sich organisieren und konsequent streiken. Die panische Reaktion der Politiker:innen und der bürgerlichen Presse macht deutlich, wie groß ihre Angst vor dem Erstarken der Arbeiter:innenbewegung ist. Durch sektorübergreifende, unbefristete Streiks könnten weitreichende Forderungen nach umfassenden Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen, aber auch gegen die unsoziale, militaristische und umweltschädliche Regierungspolitik durchgesetzt werden.

Die Hetze gegen die GDL dient also vor allem dazu, die Arbeiter:innenklasse zu spalten und den zentralen Konflikt in der Gesellschaft — den zwischen Kapital und Arbeit — zu verschleiern, indem suggeriert wird, die Streiks würden allen schaden. Leider tragen auch die Gewerkschaftsführungen, Claus Weselsky eingeschlossen, zu dieser Spaltung bei, indem sie sich vor allem auf die höheren Lohngruppen fokussieren, getrennt voneinander streiken und immer wieder Kompromisse gegen die Interessen der Beschäftigten aushandeln. 

Wir treten für Gewerkschaften ein, die konsequent auf der Seite der Arbeiter:innen stehen und in denen alle Beschäftigten demokratisch über Forderungen und Führung von Streiks bestimmen können. Mehr dazu, wie wir die Gewerkschaften zurückerobern können, könnt ihr in diesem Artikel lesen.

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