CDU und FDP wollen Axt ans Streikrecht legen

13.02.2024, Lesezeit 8 Min.
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Eisenbahner:innen im Streik: Schreckgespenst von Liberalen und Konservativen. Bild: Radowitz / Shutterstock.com

Politiker:innen aus CDU und FDP schlagen Maßnahmen zur Einschränkung des Streikrechts vor. Sie geben vor, die Bevölkerung schützen zu wollen. Der Angriff richtet sich aber gegen die Gewerkschaften und die Grundrechte von Beschäftigten.

Im Zuge des vergangenen Bahnstreiks der GDL ist eine Debatte um eine mögliche Einschränkung des deutschen Streikrechts entbrannt. Ende Januar hatte die Lokführer:innengewerkschaft GDL für fünf Tage große Teile des deutschen Schienenverkehrs lahmgelegt. Auch im öffentlichen Nahverkehr und auf den Flughäfen wurde zuletzt im ganzen Land gestreikt. Nun fordern Unternehmer:innen und ihre Unterstützer:innen in der Politik, das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht stärker als bisher zu begrenzen. 

Allen voran Politiker:innen der CDU und der FDP unterstützen diese Forderung. Am lautesten äußerte sich bisher Gitta Connemann (CDU), Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, einer CDU-internen Interessenvertretung der Kapitalist:innen. Aber auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz steht Connemann zufolge einem Eingriff in das Streikrecht nicht im Weg. Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schloss sich dem Vorstoß ebenfalls an und behauptete gar, der letzte Arbeitskampf der GDL „grenzt an Erpressung“.

Die Bundesregierung ist sich in dieser Frage wieder einmal nicht einig. Die FDP begrüßt den Vorstoß grundsätzlich. So sagt der Sprecher für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der FDP-Fraktion, Pascal Kober, es sei „sinnvoll zu diskutieren und zu prüfen, ob die Einhaltung von Verhältnismäßigkeit besonders im Bereich der kritischen Infrastruktur durch gesetzliche Vorgaben sichergestellt werden sollte“.

Der sozialpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Martin Rosemann, wirft der CDU derweil vor, die Rechte von Arbeiter:innen „beschneiden“ zu wollen. Auch die Bundestagsfraktionen der Grünen äußert sich ablehnend zu den neuerlichen Vorschlägen. Und auch in der CDU regt sich Opposition. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) fordert im Handelsblatt: „Finger weg vom Streikrecht.“

Wieso sollen Einschränkungen kommen?

Die jetzige Offensive gegen das Streikrecht wird vor allem mit dem Bedarf nach klaren gesetzlichen Regelungen begründet. Das Recht auf Streik leitet sich im Grundgesetz von dem Recht, Vereinigungen zu bilden, ab. Andererseits sei auch Rechtssicherheit in Arbeitskämpfen wichtig. Insbesondere Streiks in der kritischen Infrastruktur müsste man daher genauer gesetzlich kontrollieren, damit die „Willkür“ der Gewerkschaften keine unvorhersehbaren Schäden für die breite Bevölkerung anrichtet, so die Unterstützer:innen der Grundrechtseinschränkung.

Bei ihrem Angriff auf den Handlungsspielraum der Gewerkschaften gehe es deren Kritiker:innen aber keineswegs bloß um die Geschäftsinteressen der Arbeitgeber:innen, das betonen sie immer wieder. Vielmehr treibt sie die Sorge um die Armen und die Alten an, die unter Streiks im Nahverkehr und in der öffentlichen Daseinsvorsorge besonders zu leiden hätten. Das wollen sie uns jedenfalls glauben machen.

Außerdem appellieren sie an den hohen Wert der Gewaltenteilung. Sie wollen den Gesetzgeber:innen nur die Kompetenzen zukommen lassen, die ihnen zustehen: Wer wozu und wie streiken darf, wurde in Deutschland bisher vor allem durch Gerichte entschieden. Diese seien in den letzten Jahrzehnten immer „arbeitnehmerfreundlicher“ geworden, beklagt zum Beispiel Der Spiegel, und deshalb soll nun endlich das Parlament ein Gesetz verabschieden, das dem Handeln der Gewerkschaften klare Grenzen setzt.

Welche Einschränkungen schlagen sie vor?

Bisher liegt kein fertiger Gesetzesentwurf vor, der die geforderten Einschränkungen deutlich ausformuliert. Es geistern aber einige Maßnahmen durch den Raum, die verschieden stark in die Autonomie der Gewerkschaften eingreifen würden.

Eine Maßnahme könnte eine Ankündigungspflicht für Streiks sein. Sie würde Gewerkschaften dazu verpflichten, Streiks künftig eine bestimmte Zeit vor Beginn des Ausstandes anzukündigen. So soll zum Beispiel vermieden werden, dass Streiks wie zuletzt im ÖPNV so kurzfristig angekündigt werden, dass die Suche nach einer Alternative für Kund:innen nur schwer möglich ist.

Erwogen wird außerdem, einen Notdienst in besonders kritischen Bereichen der Wirtschaft verpflichtend zu machen. Dann wären Streikende in Bereichen wie Krankenhäusern, Strom- und Wasserbetrieben dazu verpflichtet, ein Mindestmaß an Versorgung auch während des Streiks sicherzustellen. So soll sichergestellt werden, dass lebenswichtige Dienste auch während Arbeitskämpfen zur Verfügung stehen. In den genannten Branchen ist so eine Notversorgung jedoch ohnehin bereits gängige Praxis. Strittig ist, ob auch Bereiche wie Zug- und Nahverkehr „kritische Infrastruktur“ darstellen und zur Notversorgung verpflichtet werden sollten.

Die radikalste Forderung stellt derzeit ein allgemeiner Schlichtungszwang dar. Dann wären Gewerkschaften und Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, in Schlichtungsverfahren eine Beilegung ihrer Konflikte anzustreben. In einem Schlichtungsverfahren schaltet sich eine dritte, „neutrale“ Instanz in die Auseinandersetzung ein und versucht, einen Kompromiss zwischen Arbeiter:innen und Kapitalist:innen zu vermitteln.

Wie strikt so eine Zwangsschlichtung durchgesetzt werden sollte, ist auch unter ihren Befürworter:innen umstritten. So spricht Connemann davon, die Gewerkschaften zu verpflichten, ein Schlichtungsverfahren einzugehen, bevor sie in einen Streik treten. Eine Schlichtung wirklich erzwingen will sie bisher aber nicht.

Angriff auf unsere Rechte

In Wirklichkeit geht es den Gewerkschaftsfeind:innen in CDU und FDP freilich nicht um die Bedürfnisse von Patient:innen, deren OPs wegen Streiks verschoben werden, oder um Pendler:innen, die rechtzeitig zum Bahnstreik kein Mietauto mehr finden. Es geht darum, den Arbeiter:innen die wichtigste Waffe aus der Hand zu schlagen, die sie haben: den Streik.

Wenn die Gewerkschaften ihre Streiks immer Tage im Voraus ankündigen würden, wäre das ein riesiger Trumpf in der Hand der Bosse. Dabei geht es nicht um Kund:innen und Patient:innen. Es geht darum, den Unternehmen Zeit zu verschaffen, um Streikbrecher:innen zu organisieren. Das sind Arbeiter:innen, die während des Ausstands die Arbeit der Streikenden übernehmen und damit den Streik sabotieren. Die Kampfkraft der Gewerkschaften würde das erheblich schwächen.

Auch ist es absurd, den deutschen Gewerkschaften Willkür und Erpressung zu unterstellen. Wer einmal auf die Gewerkschaften anderer europäischer Länder schaut, kann darüber nur müde lächeln. Das deutsche Streikrecht ist schon viel zu stark beschränkt. So darf man hierzulande nur für „tarifierbare“ Forderungen streiken, also für alles, was in einen Tarifvertrag aufgenommen werden könnte – keinesfalls aber für politische Forderungen.

Zwischen 2010 und 2019 kamen in Deutschland jährlich etwa 17 Streiktage auf 1000 Beschäftigte. In Norwegen und Finnland waren es jeweils mehr als 50 Streiktage. Ganz andere Dimensionen haben die Arbeitskämpfe in Frankreich, wo 1000 Beschäftigte im Durchschnitt 127 Tage pro Jahr gestreikt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint die Panikmache eines Jens Spahn als vollkommen lächerlich.

Wer das Land wirklich in Geiselhaft nimmt, das sind die Kapitalist:innen und ihre Freund:innen im Parlament. Zuerst sparen sie die Schiene kaputt, dann machen sie Druck, zu privatisieren. Wenn sich die Arbeiter:innen gegen diese Zustände wehren, verleumden sie diese und bringen die Bahnkund:innen gegen die Lokführer:innen auf. Mit ihnen kann es keinen guten Schienenverkehr geben, keine ausfinanzierten Schulen, keine intakten Krankenhäuser oder Pflege im Interesse von Patient:innen und Beschäftigten. Das alles nur, weil unsere öffentliche Versorgung ihren Profiten im Weg stehen würde.

Eine Probe für den Ernstfall

Derzeit ist es unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung dem Druck gegen die Gewerkschaften weicht. SPD und Grüne sprechen sich gegen den Vorstoß der CDU aus. Das Bundesarbeitsministerium verteidigt das bisherige System von Regelungen für Arbeitskämpfe und warnt, in dieses „sollte nicht durch Sonderregelungen für bestimmte Bereiche eingegriffen werden“.

Die CDU und die FDP meinen es aber ernst. Sie tasten sich jetzt vor und beobachten, wie die Gewerkschaften reagieren. Ihre Perspektive ist klar: Nach der kommenden Bundestagswahl wollen sie eine CDU-geführte Regierung stellen und dann zum Schlag gegen die Arbeiter:innen ausholen. Dafür erproben sie heute schon, ob sie dann mit heftigem Widerstand zu rechnen haben.

Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Gewerkschaften ihnen heute den Gegenwind bieten, der sie davon abhält, künftig an die Rechte der Arbeiter:innen Hand anzulegen. Sie müssen Streiks wie den der GDL kompromisslos verteidigen. Arbeitskämpfe müssen über Gewerkschaftsgrenzen hinaus zusammengeführt werden und der Kampf um politische Streiks muss auf die Tagesordnung kommen. Nur durch eine solche Machtdemonstration können die Bosse und ihre Parteien in die Schranken gewiesen werden.

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