„Dem kapitalistischem Gesundheitssystem geht es nicht um die Menschen, sondern um das Geld“

09.03.2021, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Boyloso / shutterstock.com

Lisa arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer Intensivstation in München. Im Interview berichtet sie von den problematischen Bedingungen in den Krankenhäusern, deren Ursache und von ihrer Perspektive für Veränderungen.

Lisa, woran merken du und deine Kolleg:innen, dass ihr in einem profitorientierten Gesundheitssystem arbeiten müsst?

Ich arbeite auf einer Intensivstation und da muss ich schon sagen, dass wir da im Gegensatz zu anderen Stationen etwas bessergestellt sind, weil Intensivmedizin auch viel Geld für die Klinik erwirtschaftet. Aber der Druck ist ständig da und spürbar, so viele Patient:innen wie möglich betreuen zu können. Deswegen ist es auch ein enormer ökonomischer Verlust, wenn Betten gesperrt werden müssen.
Auch wenn die Kapazitäten ausgeschöpft sind, kommt es zum Beispiel häufig vor, dass die Intensivstationen so genannte „Zwangsbelegungen“ haben. Das heißt, dass alle Intensivbetten in der Umgebung belegt sind und der Rettungsdienst die nächstgelegene Klinik anfahren muss, damit die Patient:innen versorgt werden können. Das bedeutet natürlich für die Pflege und die Ärzt:innen über der Kapazitätsgrenze zu arbeiten und für die Patient:innen keine bestmögliche Behandlung. Dieses Szenario ist eines der größten Symptome des kaputtgesparten Gesundheitssystems.

Meine Kolleg:innen spüren das natürlich auch. Es gibt kaum Ressourcen in Form von Personal. Es gibt Strategien, das abzupuffern mit verschiedenen Formen von Aushilfspersonal. Das verringert die Qualität, sodass einzelne Mitarbeiter:innen auch fachlich viel kompensieren müssen. Das ist natürlich anstrengend und das Gefühl ist immer da, dem eigentlichen Job nicht gerecht zu werden.

Wie hat sich die Situation in der Pandemie verändert?

Während der Corona-Pandemie hat sich dieses schon genannte Ressourcenproblem sehr zugespitzt. Plötzlich mussten noch mehr Patient:innen versorgt werden und dafür mussten oder müssen teilweise immer noch andere medizinische Eingriffe oder Therapien verschoben werden.

Das schadet natürlich einem wirtschaftlichen Unternehmen, wie es eine Klinik ist. Operationen oder andere Eingriffe sind ökonomisch viel attraktiver, als die Betreuung von Coronapatient:innen. Viele Kliniken haben deswegen weiterhin „verschiebbare“ Operationen durchgeführt, um weiter wirtschaftlich arbeiten zu können. Um das nicht falsch zu verstehen: Es ist sehr problematisch Operationen zu verschieben, um Ressourcen frei zu halten, weil viele Patient:innen darunter gelitten haben, wie onkologische Patient:innen zum Beispiel. Aber wenn es keine Ressourcen gibt und der Arbeitsaufwand sich verdoppelt, obwohl er vor der Krise schon für viele kaum schaffbar war, ist es natürlich fatal. Auf solche Situationen gibt es keine Antworten in unseren Gesundheitssystem.

Das große Problem ist einfach, dass es dem kapitalistischem Gesundheitssystem nicht um die Menschen geht, sondern um das Geld.

Als Arbeiterin, die direkt an der Front mit den Coronapatient:innen arbeitet: Was sagst du zu den Lockerungen und der Gefahr der dritten Welle und der Mutationen?

Aktuell haben sich die Zahlen der Patient:innen in den Kliniken etwas beruhigt. Es ist also gerade ein Punkt, an dem wir etwas durchatmen können und die Hoffnung mitschwingt, dass es so bleibt. Doch realistisch gesehen stehen wir vor einer dritten Welle, es ist nur die Frage, wie schlimm sie ausfällt. Ich denke, um eine dritte Welle deutlich abschwächen zu können, müssten wir jetzt konsequent auch die Wirtschaft herunterfahren. Was bringt ein kompletter Einschnitt im Privatleben, wenn alle weiter in die Arbeit laufen müssen? Die Mutationen sind nicht zu unterschätzen, wie wir in Großbritannien oder Portugal sehen können.

Von Anfang an wurde in der Pandemie nicht der Mensch geschützt, sondern die Wirtschaft. Auch deswegen hängen wir seit einem Jahr in einem Lockdown oder Teillockdown voll von privaten Einschränkungen, sozialer Isolierung und Existenzverlusten. Während Lufthansa und Co. Milliarden bekommen, trotzdem Menschen entlassen werden und gleichzeitig andere ihre Miete nicht mehr zahlen können, läuft hier Einiges schief.

Wie ist die Impfkampagne bei euch gelaufen und wie denkst du ist die gesamtgesellschaftliche Situation diesbezüglich?

Die Impfungen sind in der Klinik, in der ich arbeite, in erster Linie gut gelaufen. Die Organisation war gut und die Aufklärungsarbeit auch. Ich konnte auch bemerken, dass immer mehr Kolleg:innen überzeugt wurden, sich impfen zu lassen.

Gesamtgesellschaftlich finde ich, ist das Problem mit der Impfstoffknappheit selbst gemacht. Ich denke, die erste Priorität in so einer Pandemie sollte es sein, die Produktion eines Impfstoffes auf Hochtouren laufen zu lassen, damit jeder Mensch schnellstmöglich eine Impfung erhält. Doch auch dort wird Geld gespart und die Rechte für die Impfstoffe bleiben bei privaten Unternehmen. Impfstoffproduktion sollte staatlich geregelt sein und keine Profite einstreichen. Die reichsten Länder auf der Welt erhalten als erstes Impfstoffe und die ärmeren erstmal keinen oder zu wenig.

Sogar Der Spiegel sagt, die gescheiterte Impfkampagne sei ein Versagen der Regierung. „Lasst die Profis ran!“ sagen sie und fordern mehr Entscheidungen im Umgang mit der Krise durch Expert:innen der Wirtschaft, Logistik und Organisation.

Wie denkst du sollte dieses Problem angegangen werden und wer sollte Entscheidungen treffen?

Ich bin überzeugt davon, dass die Profis die Arbeiter:innen sind, die auch trotz aller Einschränkungen weiter arbeiten müssen. Ich denke, alle Entscheidungen, die die Pandemie betreffen, sollten auch die fällen, die am meisten davon betroffen sind. Vor allem müssen auch die Bosse, die auf dem Geld sitzen, die Pandemie bezahlen und nicht wir, die eh schon ohne Pandemie um ihre Existenzen kämpfen müssen.

Das ist auch bei der Impfstoffbeschaffung- und vergabe so.

In was für einem Gesundheitssystem willst du eigentlich arbeiten?

Ein Gesundheitssystem darf in erster Linie nicht profitorientiert sein, es muss gemeinnützig sein. Der Mensch und die Gesundheit müssen im Vordergrund stehen und nicht das schnelle Geld. Ich denke, ein gutes Gesundheitssystem kann nicht isoliert von allen anderen gesellschaftlich notwendigen Veränderungen erkämpft werden. Wir brauchen eine komplette Veränderung. Wie schon erwähnt macht der Kapitalismus uns krank und bringt keine Lösungen.

In allen Bereichen sollten die, die auch jeden Tag in der Basis arbeiten, entscheiden wie der Betrieb laufen soll. Kein:e Betriebswirt:in dieser Welt hat eine Ahnung, wie Patient:innen gut versorgt werden können und wie die Grenze der Arbeitsbelastung aussieht. Außerdem gibt es keine gesundheitliche Prävention. Wie schon gesagt, die permanente Arbeitsbelastung in allen Branchen macht krank. Das ist bewiesen! Außerdem müssen Vorsorgeuntersuchungen oder auch Zahnmedizin zum Beispiel selber gezahlt werden. Gesund sein und bleiben ist teuer oder bald nur noch ein Privileg für Reiche.
Wir brauchen ein Gesundheitssystem für alle!

Und wie kann man diese Art von Gesundheitssystem erkämpfen?

Wie schon erwähnt kann das nicht isoliert erreicht werden. Wir sind alle abhängig von der öffentlichen Daseinsversorgung und jede:r Arbeiter:in leidet unter den kapitalistischen Arbeitsbedienungen. Es braucht gewerkschaftliche Organisierung für solidarische Kämpfe. Alle Arbeiter:innen müssen sich zusammentun, um z.B. gegen Privatisierungen und für bessere Lebensbedienungen zu streiken. Ohne Kitaplätze, freie Krankenhausbetten, oder öffentlichen Nahverkehr kann das öffentliche Leben nicht funktionieren und all diese Sektoren werden kaputtgespart, privatisiert und es wird Profit daraus geschlagen. Unser Leben wird immer prekärer, während ein paar andere immer reicher werden.
Nur mit einer geschlossenen Einheit aus Arbeiter:innen können wir für eine gerechtere und sozialere Gesellschaft kämpfen, denn ohne uns Arbeiter:innen kann das alles auch nicht funktionieren.

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