Die Ängste der Jugendlichen sind nicht individuell, sondern kapitalistisch!

12.05.2022, Lesezeit 6 Min.
1
Liam von KGK am 1. Mai in München. Foto: Simon Zinnstein

Die Jugend leidet seit Jahren unter einer Krise nach der nächsten. Hierbei bekommen sie weder Unterstützung, noch Aufmerksamkeit oder Hilfe von einem System, das allein auf ihre Produktivität zählt. Deshalb ist es wichtig Jugendliche zu organisieren und sie in den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung mit einzubeziehen.

Stress, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit. Ein großer Anteil der Jugendlichen in Deutschland wird von diesen Gefühlen überrannt und mit ihnen alleine gelassen. Das zeigt die Trendstudie aus dem Sommer 2022. Simon Schnetzler und Klaus Hurrelmann haben im Rahmen dieser Studie insgesamt 1021 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren befragt. Die Studie zeigt, dass die aufeinander folgenden Krisen die Jugend seit Jahren massiv beeinflussen. 68 Prozent der Befragten machen sich Sorgen um den Krieg, 55 Prozent über den Klimawandel, über 40 Prozent über Inflation und die Spaltung der Gesellschaft. Bei all diesen Sorgen und Problemen ist vor allem ein Gefühl übermächtig: die Kontrolllosigkeit. Die Krisen geben den Jugendlichen das Gefühl, ihr eigenes Leben oder ihre Umwelt nicht mit beeinflussen zu können.

„Wir werden ja eh nicht gefragt. Weder wie es uns geht, noch was wir machen möchten oder würden. Wir müssen mit den Entscheidungen leben und weiter Aufgaben erfüllen, egal ob wir noch können oder nicht.” – die 14-Jährige Schwester einer Authorin

Die Sorgen der Jugend sind groß: Immer mehr Kinder wachsen in Armut auf, was nicht zuletzt an den steigenden Mieten in Großstädten liegt. Oftmals gibt es auch keine Möglichkeit, bei den Eltern auszuziehen, was besonders dann zum Problem wird, wenn die Eltern in irgendeiner Form gewalttätig sind. Im schlimmsten Fall ist Obdachlosigkeit die einzige Alternative. Diese Perspektive beängstigt viele Jugendliche, da dadurch die Abhängigkeit vom Elternhaus vergrößert wird.

Während der Pandemie fühlte sich die Jugend von der Politik und den Erwachsenen verlassen. “Viele Lehrer:innen kümmerten sich im Lockdown nicht um den Unterricht. Sie gaben uns nur häppchenweise Aufgaben und dann eine Woche später die Lösungen. Das gab dann einen Berg an Aufgaben, der immer größer wurde.”, so Lissy Eilers, Schülerin der siebten Klasse in Berlin. Dass aufgrund der schwierigen Bedingungen viele Schüler:innen und auch Studierende (weiter) psychisch erkrankten, wurde von der Politik nicht ernst genommen: Therapieplätze sind besonders für gesetzlich Versicherte immer noch schwierig zu bekommen. Der Druck in der Schule zu den Abschlussprüfungen wurde immer weiter aufrechterhalten während der letzten zwei Jahre. Da sich nichts änderte, obwohl die Politiker:innen immer wieder bekannten, den Ernst der Lage zu kennen, wurden viele Schüler:innen in die Politikverdrossenheit getrieben.

In Punkto Klimapolitik gab es natürlich 2019 große Bewegungen und darauf folgend große Bekenntnisse der Politik, die aber nie wahr wurden. Die Fridays For Future Bewegung wurde eingelullt mit Versprechungen und vermeintlich fescheren Grünen-Politiker:innen, die Diskussionen um das Thema fehlgeleitet. So wurde den Protestierenden meistens gesagt, sie sollten lieber in die Schule, als auf Demonstrationen gehen. Jugendlichen wurde immer weiter klar, dass ihre Forderungen nicht ernst genommen werden, obwohl allen klar ist, dass Flutkatastrophen, wie in NRW im Sommer 2021, sich häufen werden und dass auch schon bis zum heutigen Tag Millionen Menschen an den Folgen der Klimakatastrophe gestorben sind.

Nun ist seit mehr als zwei Monaten Krieg in Europa. Der Angriffskrieg Russlands und die Kriegsstimmung der NATO-Staaten, die nun weiter aufrüsten, verkörpert eine zusätzliche Angst vieler Jugendlicher. Überall um uns herum werden Kriege auf Kosten der zivilen Bevölkerung geführt, wie auch gerade im Falle des NATO-Staates Türkei, der die kurdische Bevölkerung unter anderem mit deutschen Waffen bombardiert.

Doch im Zuge dieser Kriege und besonders des russischen Angriffskriegs sehen wir eine immense Aufrüstung des deutschen Militärs mit 100 Milliarden für die Bundeswehr. 100 Milliarden für Waffen und Panzer. Viele Jugendliche fragen sich zurecht, wo dieses Geld bei der Bekämpfung der Klimakrise und der Armut bleibt, wo es während der Corona Pandemie war, als Menschen wegen des Pflegenotstands starben und Beschäftigte konstant am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten.

Darüber hinaus erhöhte bereits die Pandemie und nun der Krieg die Inflation in Deutschland auf 7,3 Prozent (Stand: März 2022). Lebensmittel, Kraftstoff- und Energiekosten schnellen in die Höhe und das bei ohnehin schon hohen Lebenskosten. Das  diese Inflation sich erstmal so halten wird und die Kosten auf die Verbraucher:innen, die Jugend und Arbeiter:innen abgeladen werden, ist klar. Dadurch werden noch mehr Jugendliche in eine prekäre Lage rutschen. Für diese Probleme sind dann keine 100 Milliarden da, was das Gefühl erzeugt, nicht mitbestimmen zu können.

Diese Ängste werden zu oft als individuelles Problem dargestellt, als müsste man nur selber mehr auf einen klimafreundlichen Verbrauch achten, sparen oder die Ängste mit sich selbst ausmachen. Jugendlichen wird meist gesagt, sie sollten sich selbst finden und ihren “Traumberuf” machen und dass die Ängste nur aus Unsicherheit in der Jugendzeit hervorgehen. Erwachsene erkennen nicht die mögliche Handelsmacht an, etwas zu verändern, die bei Jugendlichen liegt. Denn es sind nicht nur Ängste, es sind berechtigte Sorgen und Probleme, die aus einer Krise dieses Systems hervorgehen. Viele Jugendliche verfallen deswegen in Ohnmacht und Politikverdrossenheit, da diese ihnen “eh nicht zuhört”. Es geht aber nicht darum, die Politiker:innen bürgerlicher Parteien zum Zuhören zu bewegen, sondern es muss unserer Perspektive sein eine unabhängige Kraft der arbeitenden Menschen, der Jugend und der Unterdrückten aufzubauen, um für die Überwindung dieses Systems zu kämpfen, das die Wurzeln für unsere Ängste darstellt.

Auch für organisierte Erwachsene sollte der Fokus auch darauf liegen, auf Jugendliche zuzugehen und ihnen zuzuhören.

Mehr zum Thema