Jüdischer FU-Student: „Palästinensische Freund:innen verteidigen mich gegen Antisemitismus“

01.01.2024, Lesezeit 3 Min.
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Hörsaalbesetzung an der FU Berlin, Foto: Karam

Die Besetzung an der Freien Universität Berlin am 14. Dezember wird von bürgerlichen Medien als antisemitisch diffamiert. Dabei haben sich jüdische Studierende ganz aktiv beteiligt. Ein Interview mit Hugo (Name geändert).

KGK: Am 14. Dezember haben mehr als 100 Studierende einen Hörsaal der Freien Universität Berlin besetzt. Wie hast du den Tag erlebt?

Hugo: Die Besetzung hat mehrere Stunden gedauert. Den ganzen Tag über gab es ein volles Programm mit intelligenten, nachdenklichen und leidenschaftlichen Redner:innen unterschiedlichster Herkunft, darunter auch Jüd:innen. Ich war erstaunt über die Menge an Informationen, die zusammengetragen worden waren.

Eine Handvoll Unterstützer:innen der israelischen Regierung griffen die Besetzung an. Was taten sie?

Die Zionist:innen rissen Plakate herunter und wurden zunächst am Einlass gehindert. Nachdem sie sich den Weg nach drinnen gebahnt hatten, begannen sie, die Redner:innen zu stören. Ich stand bei den „Ordner:innen“, die versuchten, mit der Situation umzugehen. Ich habe versucht, die Plakate, die sie von israelischen Gefangenen aufgehängt hatten, behutsam zu entfernen, weil ich es als respektlos empfand, sie als Rechtfertigung für einen Völkermord zu benutzen.

Du warst auch in rechten Medien zu sehen. Wie wurdest du dargestellt?

Es kursiert jetzt ein Video von mir, auf dem mein Gesicht deutlich zu sehen ist. Die Rechten versuchen, mich zu verleumden – und das alles nur, weil sie angeblich Jüd:innen und Meinungsfreiheit so sehr lieben. Zahlreiche Medien versuchen, das Judentum mit dem Zionismus in einen Topf zu werfen. Das ist eine ekelhafte, rassistische, antisemitische Prämisse, die zurückgewiesen werden muss.

Ich habe versucht, zu vermeiden, was die rechten Medien über mich sagen, aber auf den ersten Blick werde ich ungünstig und auch inkorrekt dargestellt. In einem Kommentar auf Twitter wurde mir „toxische Männlichkeit der Linken“ vorgeworfen, was sich wohl darauf bezieht, dass ich größer bin als der Provokateur. Leute, ist es toxisch, groß zu sein?

Welche Erfahrungen hast du als jüdischer Student in Deutschland in den letzten zwei Monaten gemacht?

Meine Erfahrung als jüdischer Student in den letzten zwei Monaten war eine beispiellose, landesweite Gaslighting-Erfahrung. Zu beobachten, wie Deutschland die muslimische und arabische Bevölkerung offen verunglimpft und sogar Trauer kriminalisiert, während man Migrant:innen zum Sündenbock für den tief verwurzelten Antisemitismus in Deutschland macht, war erschreckend. Das zynische Totschweigen von bundistischen Jüd:innen1 ist Antisemitismus wie aus dem Lehrbuch.

Seit mehr als zwei Monaten sind meine palästinensischen Freund:innen die ersten, die antisemitische Aggressionen lautstark anprangern, mich trösten und verteidigen. Ich erwarte das nicht von ihnen, aber sie haben sich stets an vorderster Front für mich eingesetzt. Wenn ich höre, wie Deutsche über ihre Ängste vor gewalttätigen, judenhassenden Arabern sprechen, kommt mir die Galle hoch.

Die Zukunft dieser Nation erschreckt mich zutiefst. Nie wieder ist jetzt – was immer du vor einem Jahrhundert getan hättest, tust du in diesem Moment.

Fußnote

1. Bundismus bezieht sich auf den Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland, kurz der Bund, der von 1897 bis Mitte der 1930er Jahre aktiv war. Der Bund war die größte sozialistische Organisation jüdischer Arbeiter:innen und bekämpfte den Zionismus zugunsten eines revolutionären Kampfes für den Sozialismus in den Ländern, wo Jüd:innen lebten. Der Bundismus bleibt eine Inspiration für junge jüdische Aktivist:innen heute.

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