CFM: Schlichtung statt Arbeitskampf – wie kann der Streik verteidigt werden?

23.11.2020, Lesezeit 8 Min.
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Über den Kopf der Streikenden hinweg wurde bei der CFM vergangene Woche eine Schlichtung eingeleitet und sämtliche Kampfmaßnahmen beendet. Damit wird von ver.di-Hauptamtlichen und Teilen der Streikleitung der Kurs in Richtung eines faulen Kompromiss fortgesetzt.

Am vergangenen Donnerstag wurde zwischen der ver.di-Verhandlungskommisison und der CFM-Geschäftsführung eine Schlichtung vereinbart. Das geht aus einer Tarifinfo hervor. Damit begeben sich beide Parteien in Gespräche unter der Leitung des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. Vorgebliches Ziel der Schlichtung soll ein Kompromiss sein, den beide Seiten akzeptieren. Sollte auch beim Abschluss der Gespräche noch keine Einigkeit herrschen, kommt dem Schlichter jedoch eine besondere Rolle zu: Seine Stimme ist das Zünglein an der Waage, wenn es um die Abstimmung über das Ergebnis geht.

Mit diesem Schritt stellt die aktuelle Führung des Streiks unter Leitung von Gewerkschaftssekretär Marco Pavlik sämtliche Arbeitskampfmaßnahmen ein. Richtige Streiks hatten ohnehin schon seit Wochen nicht mehr stattgefunden. Aber auch die Mahnwachen, bei denen einzelne Streikende zunächst vor dem Virchow-Klinikum im Wedding und zuletzt vor dem Roten Rathaus ausgeharrt hatten, sind damit Geschichte.

Die Einstellung der Mahnwachen und der Verzicht auf weitere Streiks wird damit begründet, dass eine Friedenpflicht während der Schlichtung „in Deutschland so üblich“ sei. Doch das unterstreicht nur das grundlegende Problem an der Idee der Schlichtung in einem Arbeitskampf: Beide Seiten haben völlig entgegengesetzte Interessen. Die Belegschaft kann ihre Interessen dabei nur durchsetzen, wenn sie die Gegenseite durch Streiks und Öffentlichkeitsarbeit zu Zugeständnissen zwingt. Jeder „Kompromiss“ aus einer Schlichtung wird dagegen die Seite bevorteilen, die ohnehin in der stärkeren Ausgangsposition ist – die Geschäftsführung.

Auch die Person Matthias Platzeck wird als Schlichter nichts daran ändern. Er gehört selbst der SPD an, die als Berliner Regierungspartei de facto den Streikenden in den Verhandlungen gegenübersitzt. (Auch wenn sie sich hinter der Geschäftsführung der Charité und der CFM versteckt, deren Auftraggeberin die Regierung ist.) In seiner Zeit als Ministerpräsident in Brandenburg verteidigte Platzeck auch Schröders Agenda 2010 und setzte sie in seinem Bundesland um. Er wird in der Schlichtung seine bisherigen Überzeugungen nicht plötzlich über Bord werfen und der Berliner SPD die Rückführung der CFM in die Charité aufdrücken. Von der ganzen Schlichtung ist also nichts anderes zu erwarten als ein schlechter Kompromiss. Möglicherweise in Form eines Tarifvertrags – aber weiterhin mit Armutslöhnen und voraussichtlich mit einer Laufzeit, die weitere Streiks auf Jahre verhindert.

Für die Streikenden der CFM gibt es also eigentlich keinerlei Vorteil, für den sie sich auf die Schlichtung einlassen sollten. Warum findet sie trotzdem statt?

Die ver.di-Führung setzt auf Demobilisierung

Eine unter den Streikenden kursierende Begründung für die Schlichtung lautet, dass ihre Kampfkraft aktuell nicht mehr ausreiche, um die Forderung nach einem Tarifvertrag in Höhe des TVöD durchzusetzen. Und tatsächlich ist die Beteiligung an Streiktagen über den Verlauf des Jahres deutlich gesunken – aber der Grund dafür lag in der Streikstrategie der ver.di-Führung, die aktiv auf eine Demobilisierung abzielte.

Im Februar und März hatte die neue Runde im Arbeistkampf der CFM vielversprechend begonnen: Hunderte neue ver.di-Mitglieder waren über Monate und Jahre von Aktiven der Betriebsgruppe gewonnen worden. Und so gelang es, insgesamt zwischen 400 und 500 Kolleg:innen in den Streik zu holen – eine deutliche Steigerung gegenüber früheren Jahren. Und es gab durchaus die Aussicht, noch weitere Kolleg:innen zu mobilisieren. Doch bevor der Streik richtig in Fahrt kommen konnte, war er wieder vorbei. Am 2. März wurde die Nachricht vom ersten Corona-Patienten in Berlin von ver.di dafür genutzt, den Streik bis in den Sommer auszusetzen. Und das gegen den erklärten Willen vieler Streikender: Weil es keine offene Diskussion und keine Abstimmung über die Fortsetzung des Streiks gab, sammelten Kolleg:innen vor Ort Unterschriften. Über 200 bezeugten mit ihrem Namen, dass der Streikabbruch nicht in ihrem Interesse war.

Viele Kolleg:innen fühlten sich betrogen und in der Folge sank die Streikbeteiligung, als Monate später wieder aufgerufen wurde. Ende August wurde dann immerhin fast zwei Wochen am Stück gestreikt – aber am 4. September wiederholte sich das Schauspiel aus dem März: Diesmal war es nicht Corona, sondern die angebliche Friedenspflicht während der Verhandlungen, die als Begründung für den Streikabbruch diente. Die Regierung habe sich endlich bereiterklärt, zu verhandeln, deswegen müsse der Streik beendet werden. Wieder gab es keine Diskussion, geschweige denn eine Abstimmung unter den Streikenden. Als Kolleg:innen laut ihren Unmut äußerten, sprang Tarifkommissions-Mitglied Daniel Turek seinem Gewerkschaftssekretär zur Hilfe, um die Lage zu beruhigen. Wie schon im März stellte er den Abbruch als einzig mögliche Option dar – obwohl klar war, dass das am Willen der Streikenden vorbeigeht.

Der ver.di-Apparat sah und sieht seine Aufgabe offensichtlich darin, den Kampf bei der CFM zu bremsen, damit er nicht zum Problem für die Koalitonsregierung aus SPD, Linkspartei und Grünen wird. Und um diese Linie durchzusetzen, wurden systematisch demokratische Entscheidungen umgangen. Aus den Kreisen der Tarifkommission war zu hören, dass bereits im März die Entscheidung über Streiktage weder in der 20-köpfigen Tarifkommission selbst, noch in der kleineren Streikleitung abgestimmt wurden. Stattdessen wurde vom Zweiergespann aus Sekretär Marco Pavlik und TK-Mitglied Daniel Turek bestimmt, wann und wie lang gestreikt wird.

Ebenso undemokratisch ist auch die Entscheidung für eine Schlichtung gefallen. Selbst Tarifkommissionsmitglieder erfuhren erst von dem Vorhaben, als es öffentlich war. Und eine Abstimmung der Streikenden oder der ver.di-Mitglieder über diesen weitreichenden Schritt stand zu keiner Zeit zur Debatte.

Der Streik kann nur gegen die ver.di-Führung gewonnen werden

Mit dem Beginn der Schlichtung geht ein weiters Kapitel in einem mittlerweile fast zehnjährigen Arbeitskampf dem Ende entgegen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es marginale Verbesserungen geben aber das eigentliche Ziel des TVöD rückt in weite Ferne – es sei denn, die ver.di-Mitglieder lehnen das Ergebnis der Schlichtung in einer Abstimmung ab. Aber angesichts des bisherigen Vorgehens der ver.di-Führung ist es unwahrscheinlich, dass überhaupt eine Abstimmung stattfindet.

Obwohl viele Mitglieder der TK und der Streikleitung bereits 2017 erlebt haben, wie ihr Kampf vom ver.di-Apparat abgewürgt wurde, haben sie daraus nicht die Lehre gezogen, dass ihr Streik im Zweifelsfall auch mit dem demokratischen Druck der Basis gegen die Hauptamtlichen der eigenen Gewerkschaft verteidigt werden muss.

Die Normalität der Sozialpartnerschaft in Deutschland, in der große Gewerkschaftsapparte die völlige Kontrolle darüber haben, wann eine Belegschaft streiken kann und darf, ist natürlich eine denkbar schwierige Ausgangslage. Gewerkschafsmitglieder aus den Betrieben trauen sich selten, der Gewerkschaftsbürokratie etwas entgegenzusetzen. Oft auch aus Angst, den Kampf ohne die Unterstützung der Hautpamtlichen gar nicht führen zu können. Doch mit der Unterstütztung des Hauptamtlichen-Apparats stößt der Arbeitskampf regelmäßig an eine Grenze, wie es mehrfach bei der CFM zu sehen war. Immer, wenn der Streik drohte, tatsächlich ein Problem für die Charité zu werden und damit die Berliner Regierung unter Druck zu setzen, wurde er von oben abgebrochen. So war es 2011, als die Pfleger:innen ihren Streik abbrechen sollten, obwohl es noch kein Angebot für die CFM-Beschäftigten gab. So war es 2017, als die Vivantes-Tochter VSG und die CFM gemeinsam streikten aber nach zwei Tagen ohne jede Begründung gestoppt wurden. Und so war es auch dieses Jahr im März.

Solange diese Politik des ver.di-Apparats aus den Reihen der Streikenden unwidersprochen bleibt, kann die ver.di-Führung noch weitere zehn Jahre so tun, als würde sie gegen die Armutslöhne bei der CFM kämpfen, während sie diesen Kampf in Wirklichkeit bremst.

Die Antwort darauf ist nicht, außerhalb der Gewerkschaft zu kämpfen oder von ver.di zu einer anderen Gewerkschaft zu wechseln. Vielmehr muss innerhalb von ver.di darum gekämpft werden, Streiks so zu führen, dass sie nicht undemokratisch von oben gestoppt werden können. Angesichts der Stärke des Apparats und der Stärke der Sozialpartnerschaft, kann dieser Kampf allerdings nicht spontan geführt und gewonnen werden. Es muss eine anti-bürokratische und revolutionäre Strömung innerhalb der Gewerkschaften aufgebaut werden, die sich zum Ziel setzt, die bisherige Gewerkschaftsführung zu entmachten und die Entscheidung über Arbeitskämpfe wieder in die Hände der Mitglieder zu legen.

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