Bundeswehrskandal: Militarismus und Rassismus als „Leitkultur“ der herrschenden Klasse

06.05.2017, Lesezeit 5 Min.
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Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen schreitet am 05.04.2017 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) beim Dienstappell des neuen Generalleutnant Ludwig Leinhos die Mitglieder des neuen Kommando Cyber- und Informationsraum ab. Der militärischen Organisationseinheit sollen etwa 13 500 Soldaten und zivile Mitarbeiter angehören. Die neue Einheit soll nach Darstellung des Verteidigungsministeriums die Informationsnetzwerke, aber auch die Waffensysteme der Bundeswehr schützen, die digital gesteuert werden. Foto: Ina Fassbender/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Während die Ausmaße des Skandals um den Oberleutnant Franco A. immer deutlicher werden, überbieten sich die etablierten Parteien in einer Verteidigung der Bundeswehr. Die Unionsparteien nehmen den Skandal sogar zum Anlass, ein noch härteres Vorgehen gegen Geflüchtete zu fordern.

Am Freitag kündigte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) an, 2.000 Asylanträge aus Syrien und Afghanistan erneut zu prüfen. Laut Bamf-Präsidentin Jutta Cordt geht es bei dieser Maßnahme darum, zu überprüfen, ob „systematische Mängel“ bei der Gewährung von Asyl vorlägen. Zudem kündigte sie an, Handy-Daten der Geflüchteten auszuwerten und mit Sprachanalyse-Software die Identität genauer festzustellen. In der aktuellen Situation des Rechtsrucks laufen alle politischen Lösungsversuche des Establishments auf eine zunehmende Entrechtung von Geflüchteten und Migrant*innen hinaus.

Kein Einzellfall

Mit jedem Tag der Ermittlungen wird immer deutlicher, dass es sich bei Franco A. nicht um einen Einzelfall handelt. Nicht nur waren seine Vorgesetzten seit 2014 von seinem rechtsextremen Gedankengut informiert und vertuschten es, um eine Entlassung zu verhindern. Sondern auch die Indizien dafür, dass es ein ganzes neonazistisches Netzwerk um A. herum gab, werden immer deutlicher. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass andere Soldat*innen die Nazi-Symbole in seinem Zimmer nicht gesehen haben. Zudem wurde ein 24-jähriger Komplize festgenommen, der die Liste von möglichen Anschlagszielen schrieb, die vom ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, Claudia Roth von den Grünen, Justizminister Heiko Maas bis zu Mitgliedern der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus und den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow reicht. Bei Franco A. wurden außerdem Handgranaten, Handfeuerwaffen und 1.000 Schuss Munition gefunden. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung berichtete ein Soldat mit Bezug auf den Standort Illkirch (wo Franco A. stationiert war), dass eine Gruppe von Soldat*innen Waffen und Munition sammeln würde, um „im Falle eines Bürgerkriegs auf der richtigen Seite zu kämpfen“.

Rechte Instrumentalisierung

Nichtsdestotrotz wollen die Behörden ein solches fremdenfeindliches Netzwerk offenbar nicht weiter aufdecken. Im Gegenteil wurde Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für ihre Kritik an dem „falsch verstandenen Korpsgeist“ und der „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ hart angegangen. Besonders aus Reihen von CDU und CSU wurde sofort versucht, den Fokus von Problemen innerhalb der Bundeswehr auf die angeblich unkontrollierte Gewährung von Asylaufenthalten zu lenken. CSU-Spitzenkandidat Joachim Hermann sagte dazu: „das Ganze [ist] ein makabrer Beleg, dass seit 2015/2016 zeitweise Asylbewerber ohne ernsthafte Prüfung ihrer Identität anerkannt wurden“. Auch Markus Söder (CSU) warnte davor, dass es jetzt zu einer „allgemeinen Kritik an der Bundeswehr“ komme. Sie lenken nicht nur von den offensichtlichen Tatsachen ab, sondern benutzen den Fall sogar für ihre eigenen politischen fremdenfeindlichen Ziele.

Genauso reagiert auch die Bundeswehr: Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, begründete den Skandal in einem Interview mit dem ARD-Morgenmagazin mit Personalmangel und einer Überlastung der Offiziere, die dazu führe, dass sie die Soldat*innen nicht mehr genau verfolgen könnten. Deshalb forderte er eine teilweise Rückkehr von der Bundeswehr-Reform. Tatsächlich war jedoch nicht nur den Vorgesetzten, Soldat*innen und dem Geheimdienst der Bundeswehr, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), die offen faschistischen und rassistischen Ansichten von Franco A. bekannt.

Eine „bessere“ Armee?

„Bei der Transformation der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- in eine Berufsarmee hätte die innere Führung und eine neue Führungskultur absolute Priorität haben müssen“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann am vergangenen Donnerstag. Daran lässt sich deutlich erkennen, was der Standpunkt der SPD zum aktuellen Skandal ist. Sie kritisiert Von der Leyen und die Verantwortungstragenden in der Bundeswehr dafür, die Armee nicht vor solchen Problemen bewahrt zu haben – jedoch nicht, um gegen den in der Bundeswehr grassierenden Rassismus vorzugehen, sondern um das Antlitz einer „freiheitlich-demokratischen“ Verteidigungsarmee zu bewahren.

Doch die Hoffnungen auf eine demokratische oder gar antirassistische Armee ist nur eine Illusion, die die tatsächlichen Ziele der Bundeswehr verdeckt. Sie ist das militärische Instrument, mit dem der deutsche Imperialismus seine wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen auf der Welt verteidigt, ob im Kosovo, in Mali, Syrien oder Afghanistan. Dies ist ein Nährboden für nationalistische und fremdenfeindliche Ideen, die von den Vorgesetzten unterstützt, geduldet oder verheimlicht werden. Alleine im letzten Jahr wurden 63 „besondere Vorkommnisse“ in Bezug auf rechtsextreme Soldat*innen gemeldet, der MAD untersucht aktuell 275 Verdachtsfälle. Die Tatsache, dass der nun entdeckte Franco A. auf keiner dieser Listen stand, deutet auf eine weit darüber liegende Dunkelziffer hin.

Der seit 2014 vom politischen Establishment geäußerte Ruf nach „mehr Verantwortung“ hat nach der Übernahme von Donald Trump als Präsident der USA an Bedeutung gewonnen. Nicht nur fordert er seine Bündnispartner auf, mehr Geld für Sicherheit und Militär auszugeben. Die Ungewissheit, wie er mit dem Verfall der US-Hegemonie umgehen wird, lässt auch Spielraum für ein offensiveres Auftreten des deutschen Imperialismus, wie man aktuell an den zahlreichen Regierungsbesuchen von Merkel im Rahmen der G20-Präsidentschaft sehen kann. Der Kampf gegen den deutschen Militarismus, der Nährboden für faschistische Netzwerke und rassistische und sexistische Unterdrückung ist, steht wenige Wochen vor dem G20-Gipfel auf der Tagesordnung für die antiimperialistische Linke.

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