Brot und Rosen und die neue feministische Welle

13.07.2019, Lesezeit 8 Min.
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Anfang Juli versammelten sich mehr als 350 Menschen im südfranzösischen Aveyron zu einer internationalistischen und revolutionären Sommerakademie. Eine Gelegenheit für Aktivistinnen der internationalen sozialistischen Frauenorganisation Brot und Rosen, über die neue feministische Welle und die Rolle, die Revolutionärinnen in ihr spielen müssen, zu diskutieren.

Die letzten Jahre waren von der Entstehung einer neuen Welle von Frauenkämpfen auf globaler Ebene geprägt: für Emanzipation, gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für das Recht auf Kontrolle des eigenen Körpers. Von der „grünen Welle“ für das Recht auf Abtreibung in Argentinien bis hin zu massenhaften Mobilisierungen gegen Trump und Bolsonaro; von den großen Frauenstreiks im Spanischen Staat und der Schweiz über die Rolle der Frauen bei Mobilisierungen in Frankreich bis hin zu revolutionären Prozessen in Algerien und Sudan: Frauen stehen an der Spitze der internationalen Kämpfe. In diesem Zusammenhang stand die Frage des Feminismus im Mittelpunkt der Diskussionen, die im Rahmen der von Klasse Gegen Klasse und den anderen europäischen Gruppen des Netzwerks La Izquierda Diario organisierten Sommerakademie stattfanden.

Die Sommerakademie bot Gelegenheit zu einem Treffen und zentralen Diskussionen zwischen den verschiedenen Gruppen von Brot und Rosen aus Italien, dem Spanischen Staat, Deutschland und Frankreich. „Feminismus und Intersektionalität“, „Weder Abolitionismus noch Regulationismus: Eine dritte Position in der Debatte über die Prostitution“, „Debatte mit dem Feminismus für die 99%“, ein Austausch mit den Arbeiterinnen von Brot und Rosen, die Präsentation des Buches Un féminisme décolonial mit der Autorin Françoise Vergès… so viele Workshops und Debatten, die diese Sommerakademie, die mit einem Treffen über die neue feministische Welle auf internationaler Ebene eröffnet wurde, bereicherten.

Andrea d’Atri, eine bekannte argentinische Feministin, Autorin des Buches Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus und Gründerin der Frauenorganisation Pan y Rosas in Argentinien, war einer der Gäste und führte unter anderem eine Diskussion über das Manifest eines Feminismus für die 99%. Dieser Workshop ermöglichte es, die neue feministische Welle zu charakterisieren, wobei das Manifest mehrere Debatten auf den Punkt bringt. Denn auf internationaler Ebene hat die starke Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt in den letzten Jahren, vor allem in den prekärsten Stellen, zu einer Welle heftiger Kämpfe geführt, die eine enge Verbindung zwischen kapitalistischer Ausbeutung und Geschlechterunterdrückung herstellt. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Aneignung der Streikmethode durch die Frauenbewegung. Jene markiert eine große Veränderung im Vergleich zu der langjährigen Vereinnahmung der feministischen Bewegung durch die Institutionen der bürgerlichen Demokratie.

In diesen Diskussionen um das Manifest und die Entstehung einer antikapitalistischen Strömung innerhalb der neuen feministischen Welle, deren es ein Ausdruck ist, wurden auch bestimmte strategische Grenzen aufgezeigt. Tatsächlich erklärt der Feminismus für die 99% nicht die Mittel, die eingesetzt werden müssen, um Ausbeutung und Unterdrückung zu besiegen, und bleibt schwammig in Bezug auf das soziale Subjekt, das in der Lage sein wird, in diesem Kampf an vorderster Front zu stehen.

Genau diese Fragen versuchen die verschiedenen europäischen Sektionen der internationalen Frauenorganisation Brot und Rosen in ihrer Praxis zu beantworten, indem sie vollständig in dieses Phänomen des feministischen Kampfes eingreifen. Schon am ersten Abend brachte ein feministisches Podium Andrea d’Atri und Aktivistinnen von Pan y Rosas aus dem Spanischen Staat, Il Pane e le Rose aus Italien, Brot und Rosen aus Deutschland und Du Pain et des Roses aus Frankreich zusammen. Und am nächsten Tag bot ein Treffen zwischen den verschiedenen Sektionen dieser internationalen Frauenorganisation die Gelegenheit, sich intensiv über die unterschiedlichen politischen Erfahrungen in jedem dieser Länder auszutauschen.

Insbesondere Eisenbahnerinnen aus Frankreich, aber auch prekäre Arbeiterinnen aus dem Spanischen Staat, Arbeiterinnen aus Krankenhäusern in Deutschland und die Kämpferinnen des Onet-Streiks nahmen an diesem Austausch teil. Der von Révolution Permanente produzierte Dokumentarfilm über diesen Streik, der ihren Kampf gegen Prekarisierung und für Würde nachzeichnet, wurde vor einem großen Publikum in Anwesenheit der Streikenden gezeigt. Ein exemplarischer Kampf, der zeigt, dass es möglich ist, erhobenen Hauptes den Kampf gegen Prekarisierung zu führen – mit arbeitenden Frauen in der ersten Reihe.

Im Spanischen Staat sind in den letzten Jahren als Reaktion auf die Angriffe auf das Recht der Frauen, über ihre eigenen Körper zu entscheiden, insbesondere in Bezug auf Abtreibung, große Mobilisierungen entstanden. Sie organisierten große Streiks am achten März, die das ganze Jahr über bei landesweiten Frauentreffen und in Kommissionen vorbereitet wurden. Die Aktivistinnen von Pan y Rosas verteidigen eine völlige Unabhängigkeit von den Institutionen und versuchen, die Forderungen der Arbeiter*innenbewegung und der arbeitenden Frauen zu vereinen, um das System auf ganzer Linie anzugreifen.

In Italien setzt sich Il Pane e le Rose, das in diesem Jahr gegründet wurde, für die Verteidigung der Grundrechte der Frauen (Recht auf Abtreibung, Scheidung usw.) in einem Kontext zunehmender rechter Polarisierung und angesichts wiederholter Angriffe der Regierung von Salvini und der Kirche ein. Die Aktivistinnen des Kollektivs verbinden den feministischen Kampf eng mit dem antirassistischen und dem gegen den Imperialismus, der den Feminismus für rassistische Zwecke instrumentalisiert, indem er die Verantwortung für Gewalt gegen Frauen auf Migranten und nicht-weiße Menschen überträgt.

Der deutsche Imperialismus verwendet die gleiche Rhetorik und versucht, sich ein soziales und feministisches Bild zu geben, während er gleichzeitig Frauen mithilfe eines demagogischen und tief antimuslimischen Diskurses zunehmend prekär macht und Migrant*innen stigmatisiert. Die Genossinnen von Brot und Rosen kämpfen gegen diese Heuchelei der Regierung und stehen in Verbindung mit den prekärsten, an meisten ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren der Arbeiter*innenklasse in Deutschland.

In Frankreich, wo es noch keine massiven Mobilisierungen von Frauen wie im Spanischen Staat gibt, leiden arbeitende Frauen unter den neoliberalen Angriffen der Regierung. Aber wenn die Prekarität ein weibliches Gesicht hat, dann auch der Kampf dagegen – und das ist es, was die Bewegung der Gelbwesten hervorgehoben hat, bei der die Frauen auf die politische Bühne getreten sind. Eine Bewegung, in die die Aktivistinnen von Du Pain et des Roses gemeinsam eingriffen.

Auch wenn die Situationen offensichtlich unterschiedlich sind, kämpfen die Feministinnen von Brot und Rosen heute in diesen Ländern dafür, revolutionäre Strömungen in dieser neuen feministischen Welle zu entwickeln: indem sie den Kampf gegen das Patriarchat mit dem Kampf gegen das kapitalistische System verbinden und sich mit den prekärsten Sektoren von Frauen verbinden, die aber auch am entschlossensten sind, der Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende zu setzen. Und indem sie dafür kämpfen, die Kämpfe der Frauen mit der Arbeiter*innenbewegung zu vereinen – gegen die reformistischen und bürokratischen Führungen, die diese Verbindung um jeden Preis vermeiden wollen.

Denn wie Françoise Vergès in einem Workshop sagte, den sie während der Sommerakademie leitete: „Ohne die Frauen, die sie reinigen, würde sich die Welt nicht mehr drehen.“ Um einen klassenkämpferischen Feminismus aufzubauen, der entschlossen internationalistisch, antiimperialistisch und revolutionär ist, rufen wir, die Aktivistinnen der internationalen Frauenorganisation Brot und Rosen in Europa, die Frauen auf der ganzen Welt auf, sich unserem Kampf anzuschließen.

Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Version zuerst auf Französisch bei Révolution Permanente.

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