Revolutionären Internationalistischen Sommerakademie in Südfrankreich begann eine spannende Debatte rund um das Manifest für einen „Feminismus für die 99%“. Andrea D'Atri betonte die beginnenden Tendenzen zur Entwicklung eines antikapitalistischen Feminismus in mehreren Ländern, die das Manifest aufnehmen will. Gleichzeitig zeigte sie die strategische Schwammigkeit des Manifests auf." /> Revolutionären Internationalistischen Sommerakademie in Südfrankreich begann eine spannende Debatte rund um das Manifest für einen „Feminismus für die 99%“. Andrea D'Atri betonte die beginnenden Tendenzen zur Entwicklung eines antikapitalistischen Feminismus in mehreren Ländern, die das Manifest aufnehmen will. Gleichzeitig zeigte sie die strategische Schwammigkeit des Manifests auf." />

Strategische Debatten mit dem „Feminismus für die 99%“ in Südfrankreich

12.07.2019, Lesezeit 8 Min.
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Am letzten Tag der Revolutionären Internationalistischen Sommerakademie in Südfrankreich begann eine spannende Debatte rund um das Manifest für einen „Feminismus für die 99%“. Andrea D'Atri betonte die beginnenden Tendenzen zur Entwicklung eines antikapitalistischen Feminismus in mehreren Ländern, die das Manifest aufnehmen will. Gleichzeitig zeigte sie die strategische Schwammigkeit des Manifests auf.

Von Polen bis Argentinien, über den Spanischen Staat, die USA und Brasilien waren Frauen in den letzten Jahren an vorderster Front im Kampf für ihre Rechte und gegen ihre reaktionären Regierungen. Nicht umsonst spricht man über eine neue feministische Welle weltweit.

In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer massiven Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt – unter oft prekären Bedingungen. Das hat erlaubt, die Kämpfe um ihre Rechte zunehmend mit arbeitsbezogenen Forderungen zu verbinden. Dabei kommt immer wieder die enge Verbindung zwischen Kapitalismus und patriarchaler Unterdrückung ans Licht.

Ein politisches Manifest der neuen feministischen Welle

Vor einem Publikum, das sich besonders aus Aktivistinnen der internationalen Frauenorganisation Brot und Rosen, sowie arbeitenden Frauen aus verschiedenen Sektoren und Ländern zusammensetzte, erinnerte Andrea D’Atri in ihrem Workshop zunächst an diese neue feministische Welle. Denn in ihren Konntext kann das von drei Akademikerinnen aus den USA geschriebene und am 8. März dieses Jahres veröffentlichte Manifest für einen „Feminismus für die 99%“ klar eingeordnet werden. Als Ergebnis der massiven Mobilisierungen der internationalen Frauenbewegung kristallisiert dieses Manifest einige Tendenzen.

Erstens handelt es sich dabei um einen gewissen Verlust der ideologischen Vorherrschaft des neoliberalen Feminismus, der die strukturellen Kürzungspläne des Neoliberalismus unterstützte. Indem er den Kampf gegen Unterdrückung durch das Werben für mehr Inklusion der „Vielfalt“ ersetzte, hat dieser Feminismus versucht, die Prekarisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Frauen zu legitimieren. Dabei hat er sich mit dem Establishment verbündet und die Ankunft von Frauen wie Angela Merkel oder Hillary Clinton in Machtpositionen als feministischen Sieg aller Frauen dargestellt.

Als nächstes betrachtete Andrea die Entstehung des „Frauenstreiks“ als Methode des Kampfes. Gleichwohl ist der Frauenstreik zu einem sehr weit gefassten Konzept geworden, weil die Gewerkschaftsbürokratien selten echte Streikaktionen zugelassen haben und der Feminismus seinerseits mit diesem Begriff eine Reihe von Praktiken benennt – von Arbeitsniederlegungen bis hin zur Verweigerung von Konsum oder den Demonstrationen selbst. Dennoch fragte Andrea, ob die Wiederaufnahme des Begriffs „Streik“ durch die feministische Bewegung nicht die zunehmende Integration von Frauen in die weltweite Arbeiter*innenklasse ausdrückt, von der sie aktuell 47% ausmachen.

Ein antikapitalistisches Manifest, das nicht über die linken Reformismen spricht

Was das Manifest selbst betrifft, so betonte Andrea D’Atri zunächst einige Übereinstimmungen mit diesem Text, besonders in der Beschreibung der Beziehung zwischen dem patriarchalen Kapitalismus und Rassismus, der Gewalt gegen Frauen oder dem Heterosexismus.

Dennoch, so hob Andrea hervor, sagt das Manifest mehr dadurch aus, worüber es schweigt, als dadurch, worüber es spricht. Mit dieser Bemerkung bezog sich Andrea auf den folgenden Absatz des Manifest: „In dem Vakuum, das durch den Niedergang des Liberalismus enstanden ist, haben wir die Möglichkeit, einen anderen Feminismus aufzubauen…“. Dabei erklärte sie, dass es in der Politik niemals ein „Vakuum“ im engeren Sinne gibt und fragte die Anwesenden, welche Kräfte in Europa aktuell dieses angebliche „Vakuum, das durch den Niedergang des Liberalismus enstanden ist“, ausfüllen.

Genauso ging sie mit der These II des Manifests vor. Sie las den Absatz vor, der alle antikapitalistischen Bewegungen dazu aufruft, einen Feminismus der 99% aufzubauen, der sagt: „Dieser Weg konfrontiert uns direkt mit den beiden wichtigsten politischen Optionen, die das Kapital heute anbietet. Wir lehnen nicht nur den reaktionären Populismus ab, sondern auch den fortschrittlichen Neoliberalismus.“ Anschließend fragte Andrea den Saal: „Wen benennt das Manifest nicht, indem es sich nur auf zwei Optionen beschränkt?“

Die anwesenden Genoss*innen antworteten: Syriza, die als linke Machtoption präsentiert wurde und die griechischen Massen ins Elend stürzte, und Podemos, die sich als Vertreterin der Bewegungen präsentierte und schließlich mit der socialimperialistischen PSOE koalierte. Auch La France Insoumise von Mélenchon wurde angesprochen, der sich als linker Populismus präsentiert, aber genauso souveränistisch und anti-migrantisch ist wie die Rechte. Das heißt, das Manifest schweigt über diese links- bzw. neoreformistischen Sektoren, natürlich einschließlich Bernie Sanders in den USA, den die Autorinnen des Manifests in den Vorwahlen der Demokratischen Partei – eine der historischen Parteien der US-Bourgeoisie und des Imperialismus – kritisch unterstützten.

Eine breite Konzeption der Arbeiter*innenklasse und ihrer Bündnisse

Das Manifest verweist in verschiedenen Abschnitten auf die Zentralität der Arbeiter*innenklasse, die zunehmend weiblich und nicht-weiß zusammengesetzt ist. Die Autorinnen, unterstützt von der „Theorie der sozialen Reproduktion“, sagen zwar klar, dass sie nicht nur die industriellen Lohnarbeiter*innen zur Arbeiter*innenklasse zählen, benutzen jedoch verschiedene unklare Definitionen der Klasse.

Andrea D’Atri bemerkte ausgehend von der Perspektive von Brot und Rosen, dass wir ebenso die nicht-lohnabhängigen Hausfrauen, die zur sozialen Reproduktion der Arbeitskraft beitragen, als Teil der Arbeiter*innenklasse sehen. Dennoch ist unsere Aufgabe – auch wenn dieser Sektor eine große Wichtigkeit in der soziologischen Analyse hat – nicht nur analytisch und beschreibend, sondern politisch. Wenn wir die kapitalistische Gesellschaft revolutionär umwandeln wollen, müssen wir sagen, dass – strategisch gesehen – die Lohnarbeiter*innen an den zentralen Knotenpunkten der Produktion und der Dienstleistungen, die die Profitakkumulation, die Warenzirkulation etc. ermöglichen, eine herausragende Rolle in einem möglichen Aufstand haben. Andrea benannte ebenso, dass diese zentrale Rolle, die ihr eine strategische Position in der kapitalistischen Gesellschaft zuweist, nicht ausreicht, wenn die Arbeiter*innenklasse es nicht schafft, ein Bündnis mit anderen unterdrückten Sektoren aufzubauen, inklusive der verarmten Mittelschichten.

Im Endeffekt wird die Arbeiter*innenklasse trotz ihrer zentralen Rolle in dem Manifest in einem breiten „Alle zusammen“ vermischt – die 99% –, das auch die höheren Sektoren der kleinen Bourgeoisie beinhaltet, oder auch die nationalen Bourgeoisien der halbkolonialen Länder, die zwar manchmal Widersprüche mit dem Imperalismus haben können, aber dennoch die Arbeitskräfte ihrer eigenen Länder ausbeuten. Indem er diese Fraktionen der herrschenden Klassen unsichtbar macht, neigt der „Feminismus der 99%“ zu einer populistischen Logik, die nur auf die Konfrontation mit dem 1% des konzentriertesten Reichtums abzielt. So schlägt uns der „Feminismus der 99%“ letztlich ein geradeso antineoliberales Programm statt ein antikapitalistisches Programm vor.

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Antikapitalistischer Feminismus ohne Strategie?

Wenn das Manifest also in allen seinen Positionen gegen den Heterosexismus und den Rassismus sowie in seiner Benennung antiimperialistischer Kämpfe sehr fortschrittlich ist und sich für den Internationalismus ausspricht, kommt Andrea D’Atri zu dem Schluss, dass sein Schweigen zu den erwähnten Fragen in Frage gestellt und diskutiert werden muss, um einen Feminismus aufzubauen, der uns eine Strategie geben kann, die fähig ist, dem patriarchalen Kapitalismus ein Ende zu setzen.

Dem Vortrag folgte eine intensive Diskussion mit dem Publikum. Lucía, eine Aktivistin aus Pan y Rosas in Spanien, stimmte mit Andrea D’Atri über die strategische Unbestimmtheit des Feminismus für die 99% überein und verwies auf die Gespräche, die sie mit Nancy Fraser während ihrer Spanien-Tournee geführt hat, bei der diese widersprüchlicherweise die Notwendigkeit bekräftigt hatte, ein feministisches Übergangsprogramm zu entwickeln und gleichzeitig reformistische Organisationen zu unterstützen. Ein Genosse aus Frankreich verdeutlichte auch die Unklarheiten zwischen einem „Feminismus für die 99%“ – wie im Titel des Manifests –, der mit einer Konzeption vereinbar sein kann, die sich mit der Zentralität und Hegemonie der Arbeiter*innenklasse verbindet, und einem „Feminismus der 99%“ – wie im Manifest ebenfalls mehrmals vorkommt –, der in eine populistische Perspektive eingeschrieben ist.

Zum Abschluss las Andrea D’Atri den letzten Absatz des Manifests vor: „… der Feminismus für die 99% setzt sich zum Ziel, die existierenden und zukünftigen Bewegungen in einem globalen Aufstand mit breiter Basis zu vereinen.“ Sie lud dazu ein, einen Absatz zu finden, der erklären würde, wie wir uns auf diesen globalen Aufstand vorbereiten können – doch so etwas findet sich im Manifest leider nicht. Wie Josefina aus dem Spanischen Staat gut mit einer Umschreibung von Rosa Luxemburg hervorhob: „Was die Reformist*innen von den Revolutionär*innen unterscheidet, ist nicht das was, sondern das wie.“

Nach zweistündiger Diskussion waren sich die Teilnehmer*innen über die Wichtigkeit einig, mit all denen zu diskutieren, die einen antikapitalistischen Feminismus fordern – nicht nur, um sich über das „Wofür“ einig zu werden, sondern auch, um die unterschiedlichen „Wie“ gegenüberzustellen, wie wir das erreichen können, das heißt, um eine strategische Debatte zu führen. Die internationale Frauenorganisation Brot und Rosen in Europa nimmt sich vor, einen revolutionären, antirassistischen, antikapitalistischen und antiimperialistischen Feminismus aufzubauen – genauso wie unsere Genossinnen in Lateinamerika.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei IzquierdaDiario.es.

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