„Block Fascism!“ – aber wie?
// Rezension von „Block Fascism!“, Broschüre von Linksjugend-Solid und Linke.SDS //
Im Rahmen der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch in Dresden erschien die Broschüre „Block Fascism“[1] von der Linksjugend-Solid und Linke.SDS (Jugendorganisation bzw. Studierendenverband der Linkspartei). Wir begrüßen, dass diese Broschüre 1) zu Massenblockaden gegen den Naziaufmarsch aufruft und 2) den Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus anspricht – besonders zu begrüßen ist, dass die Publikation ausgerechnet aus dem Umfeld der Linkspartei kommt, deren Strategie eindeutig auf die friedliche Verbesserung des Kapitalismus durch parlamentarische Reformen – und eindeutig nicht auf Massenmobilisierungen zum Sturz des Systems – ausgerichtet ist.
Dennoch möchten wir uns kritisch mit einigen Inhalten der Broschüre auseinandersetzen. Denn wir brauchen eine breite Debatte innerhalb der Linken (auch innerhalb der „LINKEN“, also der Linkspartei) darüber, welche Strategie notwendig ist, um den Faschismus zu bekämpfen. Wir möchten also die HerausgeberInnen nicht beschimpfen und schon gar nicht ihre Mobilisierungsarbeit gegen den Naziaufmarsch klein reden, sondern konstruktiv einige programmatische Schwächen in der Broschüre ansprechen. Hierbei wollen wir uns auf die Dinge beschränken, die wir für eine revolutionäre, antikapitalistische Perspektive als am problematischsten ansehen.
Was ist Faschismus? Sollten wir ihn verbieten lassen?
Der Einleitungsartikel mit der Überschrift „Was ist Faschismus?“[2] beschränkt sich auf eine Beschreibung der typischen Erscheinungsformen des Faschismus, ohne die Klassenkräfte, die hinter ihm stehen, zu untersuchen , d.h. ohne eine materialistische Analyse. Warum tritt der Faschismus gerade in bestimmten historischen Momenten in Erscheinung? Die faschistischen Umstürze in Italien 1922 oder in Deutschland 1933 waren eine Reaktion auf tiefe Verwertungskrisen des Großkapitals: Die wachsenden Industriemächte fanden in der späten Kolonialzeit und in der Protektionismuswelle nach der Weltwirtschaftskrise keine ausreichenden Rohstoff- und Absatzmärkte und mussten deswegen auf neue gewaltsame Eroberungskriege setzen. Die ArbeiterInnenbewegung radikalisierte sich entsprechend, z.B. mit der Welle von Fabrik- und Landbesetzungen in Italien in Folge des ersten Weltkrieges, so dass das kapitalistische System in Gefahr war.
Doch diese Klassenkonflikte werden im Artikel nicht analysiert. Durch die rein ideologiekritische Herangehensweise erwägt der Artikel sogar, ob der Peronismus (also die Bewegung unter dem argentinischen Präsidenten Juan Perón) ebenfalls als faschistisch gelten könnte[3]. Es stimmt zwar, dass Perón während des zweiten Weltkrieges eher auf Seite der Achsenmächte stand und persönlich dem deutschen Faschismus zugeneigt war, doch eine genaue Klassenanalyse lässt die Gegensätze zwischen seinem Populismus und dem Faschismus deutlich werden: während der Faschismus auf der völligen Zerschlagung aller ArbeiterInnenorganisationen basiert, konnte der Peronismus große Teile der ArbeiterInnenbewegung ins Regime integrieren.
Der Artikel über die Frage eines möglichen NPD-Verbots[4] beschränkt sich auf ein Aufzählen von Argumenten dafür und dagegen, ohne selber klar Position zu beziehen. Der Autor schreibt am Ende sogar, dass V-Männer zwar nicht im NPD-Parteivorstand, aber sehr wohl in den Kameradschaften einzusetzen wären[5] und legitimiert damit den staatlichen Geheimdienst der BRD. Die Frage des NPD-Verbots wird insgesamt so gestellt, ob ein staatliches Verbot effektiv wäre oder nicht – doch es gibt keine Spur von dem Gedanken, dass der bürgerliche Staat ein Klassenstaat und damit ein prinzipieller Gegner jeder linken, antikapitalistischen Bewegung ist.
Aus dieser Überlegung schlussfolgern wir, dass jede Ausweitung der Befugnisse des staatlichen Repressionsapparates abzulehnen ist [6]. Gerade die bundesdeutsche Geschichte zeigt, dass jegliche Gesetze, die angeblich nur gegen Nazis verabschiedet werden, sich in Wirklichkeit gegen alle Arten von „ExtremistInnen“ richten, worunter der Staat in erster Linie Linke zählt. Das bedeutet nicht, dass wir Rede- und Organisationsfreiheit für FaschistInnen unterstützen – im Gegenteil denken wir, dass die ArbeiterInnenbewegung und die Linke ihnen ihr „Rederecht“ am Besten selbst, also durch organisierte Selbstverteidigung, Blockaden ihrer Aufmärsche etc., unterbinden müssen.
Lehren aus Deutschland
Den Artikel über den Kampf gegen den Faschismus in Deutschland[7] finden wir am kritikwürdigsten. Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklung bis zur Machtübertragung an die Nazis ist im Ganzen zutreffend, aber die Analyse der Politik der Linken bleibt im entscheidenden Detail zu ungenau. Es wird zu Recht argumentiert, dass eine Einheitsfronttaktik zwischen allen ArbeiterInnenparteien (in erster Linie der SPD und der KPD) zum Kampf gegen die Nazis das Gebot der Stunde war und es wird sehr gut ausgemalt, wie diese Taktik auszusehen hätte[8]. Es wird sowohl die Haltung der SPD angeprangert, wonach die KommunistInnen „rot lackierte Faschisten“ seien, als auch die Haltung der KPD, für die die SozialdemokratInnen „Sozialfaschisten“ waren.
Weil die SPD in einer Reihe von Regierungen das kapitalistische Elend mitverwaltete, konnte sie keine Antwort auf dieses Elend anbieten, wie der Artikel unter der Zwischenüberschrift: „SPD: Staatstragend bis zum Untergang“ gut ausführte. Trotzdem war es notwendig für RevolutionärInnen, Absprachen mit der SPD-Parteiführung zu treffen, um gemeinsam mit den Millionen ArbeiterInnen in der SPD kämpfen zu können. Gleichzeitig war es notwendig, die sozialdemokratische Parteiführung aufs Schärfste zu kritisieren und, mehr noch, in der gemeinsamen Mobilisierung aufzuzeigen, dass die SPD-FührerInnen größeren Wert auf die bürgerliche Legalität als auf die Verteidigung ihrer Mitglieder gegen die Nazigefahr legten.
Doch im vorletzten Abschnitt: „Vergebliches Ringen um die Einheitsfront: Die sozialistischen Zwischengruppen“ bezieht er sich unterschiedslos positiv auf alle „sozialistischen Zwischengruppen“: die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), die KPD-Opposition (KPO) und die Linke Opposition der KPD (LO, also die TrotzkistInnen) Diese „Zwischengruppen“ waren sich tatsächlich einig in der Forderung nach einer antifaschistischen Einheitsfront. Aber während die SAP, eine linke Abspaltung von der SPD, und die KPO, eine rechte Abspaltung von der KPD, vielleicht als „Zwischengruppen“ gelten könnten, hieß die trotzkistische Organisation nicht zufällig „linke Opposition“ der KPD.
Denn hinter diesem einheitlichen taktischen Vorschlag steckten völlig verschiedene Strategien. Für die SAP war die Einheitsfront ein gesamtes politisches Programm, sprich: SPD- und KPD-ArbeiterInnen sollten sich im Kampf vereinigen und dann würde sich alles von alleine lösen. Die Einheitsfront wurde Selbstzweck. Doch die Wirtschaftskrise, die gut ein Drittel der ArbeiterInnen in Deutschland in die Arbeitslosigkeit und ins Elend warf, erforderte eine radikale Antwort: Die Zerschlagung des bürgerlichen Staates durch eine ArbeiterInnenrevolution und die Etablierung einer demokratischen Planwirtschaft. Eine bloße Abwehr des Faschismus würde die Probleme nicht lösen.
Für Trotzki ist die Einheitsfront eine Taktik, um die sozialdemokratischen ArbeiterInnen für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen. Weil die SAP über keine solche Perspektive verfügte, bezeichnete er sie als „ZentristInnen“, d.h. zwischen den RevolutionärInnen und den ReformistInnen schwankend. Er wollte die SAP-Basis für eine solche Perspektive gewinnen, während er klarmachte, dass die SAP-Führung aus enttäuschten Sozialdemokraten bestand. Doch „[e]in verzweifelter Sozialdemokrat ist noch kein Revolutionär“[9].
Gerade deswegen passt der Begriff der „Zwischengruppen“ für die TrotzkistInnen so schlecht. Trotzki schreibt selbst dazu: „Die Revolutionäre stehen durchaus nicht zwischen SPD und Kommunistischer Partei, wie Rosenfeld und Seydewitz [von der SAP] es wünschen.“ Trotzki fährt fort: „Nein, die sozialdemokratischen Führer bilden die Agentur des Klassenfeindes im Proletariat. Die kommunistischen Führer sind verwirrte, schlechte, ungeschickte, vom Wege abgekommene Revolutionäre oder Halbrevolutionäre. Das ist nicht ein und dasselbe. Die Sozialdemokratie muß man zerstören. Die Kommunistische Partei korrigieren.“[10]
Zentrismus heute
Auch heute erfordert die kapitalistische Krise eine Antwort in Form eines klaren Programms zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus – eine abstrakte Einheit hilft nicht im Geringsten. Im Gegenteil kann es für die revolutionäre Linke sehr schädlich sein, wenn wir uns in eine Front einreihen mit PolitikerInnen, die eine neoliberale und rassistische Politik mittragen, ohne uns politisch von ihnen abzugrenzen.
Insofern fehlt in der Broschüre von Linksjugend-Solid und Linke.SDS eine Distanzierung von den „GenossInnen“ im Berliner Senat, der Naziaufmärsche schützen lässt und „LinksextremistInnen“ rücksichtslos bekämpft. (Und Berlin ist hier auch keine Ausnahme: Die Linkspartei geht bis jetzt jedes Mal in eine kapitalistische Regierung, wenn sie die Möglichkeit dazu hat.)
Der Aufruf zur Einheit ohne eine weitergehende Perspektive dient, um mit Trotzki zu sprechen, der „Verwischung der Gegensätze zwischen den verschiedenen Tendenzen“[11], also Reformismus auf der einen und Revolution auf der anderen Seite. Für Trotzki war diese Verwischung „die wesentliche Funktion des Zentrismus“. Das Programm der Linke.SDS-Broschüre kann in weiten Teilen durchaus als zentristisch bezeichnet werden, d.h. es enthält Versatzstücke eines revolutionären Programms, jedoch ohne eine klare Kritik am Reformismus und ohne eine offen revolutionäre Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus.
Wir wollen in der Mobilisierung nach Dresden den vorherrschenden Reformismus bekämpfen und den Aufbau einer revolutionären Organisation vorantreiben – dazu ist es notwendig, die sozialdemokratische Führung der Linkspartei ideologisch zu bekämpfen und auch die Schwächen der linkeren Linkspartei-Jugendorganisationenen solidarisch zu kritisieren. Wir laden alle ein, mit uns darüber weiter zu diskutieren.
Fußnoten:
[2] Ebd. S. 4-15.
[3] Ebd. S. 12.
[4] Ebd. S. 49-52.
[5] Ebd. S. 52.
[7] „Block Fascism!“. S. 16-26.
[8] Edb. S. 21.
[9] Leo Trotzki: Was Nun? Schlüsselfragen des deutschen Proletariats. Kapitel 9 über die SAP.. Siehe auch den RIO-Reader Nr. 1: „Der Kampf gegen den Faschismus in Deutschland.“
[10] Ebd.
[11] Ebd.