Betroffene berichten von der Polizeigewalt am vergangenen Donnerstag: “So sieht also ein ‘friedlicher Protest’ aus”

22.04.2021, Lesezeit 10 Min.
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Bild: Simon Zamora Martin

Vor genau einer Woche fand in Berlin die Demo zum gekippten Mietendeckel statt, an der etwa 15.000 Demonstrierende teilnahmen. Noch vor dem Ende der angemeldeten Redebeiträge wurde die friedliche Demo von Polizist:innen gewaltsam beendet. Betroffene berichten von traumatisierenden Erlebnissen und dem Vertrauensverlust in den Polizeiapparat.

Am vergangenen Donnerstag, den 15. April, fand in Berlin eine spontane Demonstration statt, die der Wut gegen den gekippten Mietendeckel Ausdruck verlieh. An der Demo beteiligten sich etwa 15.000 Menschen. Am Abschlusspunkt der Route, dem Kottbusser Tor, waren mehrere Redebeiträge geplant. Davon konnten jedoch nur zwei gehalten werden, bevor die Polizei die friedliche Demo auflöste und alle Beteiligten aufforderte, schnellstmöglich den Platz zu räumen.

Die Durchsage zur Auflösung der Demo kam plötzlich. Viele der Demonstrant:innen, so berichten uns einige, hatten die Durchsage über die Auflösung gar nicht mitbekommen. Aber auch nach der Aufforderung zeigte sich eines: Viele Berliner:innen blieben wütend. Wütend darüber, keine faire Mieten bekommen zu können, wütend über die Justiz und die Ohnmacht sozialer Reformen, und vor allem wütend darüber, ihrer Wut keinen Ausdruck verleihen zu können. Wenige Minuten später trieben bewaffnete Polizist:innen die Menschen auseinander. Wer der Aufforderung der Polizei nicht nachkam, bekam harte Konsequenzen zu spüren.

Es gibt zahllose Videos und Berichte von der Polizeigewalt: Unbewaffnete Demonstrant:innen, die ohne Vorwarnung oder Provokation geschlagen und niedergetreten werden, grundlose Verhaftungen von Menschen, die vermeintliche “Gewalt gegen die Polizei” ausübten und jetzt vor einem juristischen Prozess stehen. Im Falle der Anklage steht Wort gegen Wort, Demonstrant:in gegen Polizist:in.

Bei einer solchen Anschuldigung freigesprochen zu werden, ist mehr als unwahrscheinlich. Polizist:innen für ihre maßlose Gewalt anzuklagen, ist beinahe aussichtslos. 93 Prozent der Ermittlungen gegen Polizeibeamt:innen wurden 2018 eingestellt. Kam es doch zu einer Anklage, folgte einer Studie der Ruhr-Universität Bochum zufolge nur in sieben von 3.400 untersuchten Fällen eine Verurteilung. Juristisch gegen Polizist:innen vorzugehen, ist in Deutschland nahezu unmöglich, weil sich der Polizeiapparat und die Justiz selbst schützen. Dadurch wird die Macht und der Spielraum für Polizist:innen nur vergrößert. Und die Realität? Sie ist oft grausam und verstörend. Vorfälle wie auf der Demo am vergangenen Donnerstag zerstören das letzte Vertrauen der Bürger:innen in den Polizeiapparat.

Die Polizei: Weder Freund, noch Helfer

Einige Teilnehmer:innen der Demo haben uns von ihren Erfahrungen des letzten Donnerstags erzählt und berichten über das Ausmaß des Machtmissbrauches von Polizist:innen. Ihre Namen haben wir auf ihren Wunsch hin geändert.

„Ich war mit einer Freundin auf der Demo. Ja, sie hat Polizist:innen angemacht, als sie uns aufgefordert haben den Platz zu räumen, aber wir waren wütend. Die Polizist:innen sind sofort auf sie losgegangen. Ich habe noch versucht, mich vor sie zu stellen und sie zu beschützen. Polizist:innen haben mir die Kapuze über den Kopf gezogen und mich auf den Boden geworfen und mich mehrmals getreten. Ich konnte mich aber nach hinten wegziehen und mir wurde von anderen Teilnehmer:innen aufgeholfen. Ich habe immer noch aufgeschrammte Arme und Knie davon.

Meine Freundin wurde von der Polizei gewürgt und über den halben Platz gezogen, bis Menschen aus der Demo sie wegziehen konnten. Sie hat eine chronische Lungenkrankheit und hat ewig keine Luft bekommen und musste sich übergeben. Wir haben uns danach verloren und wussten nicht, was den anderen passiert ist. Zum Glück wurden wir nicht verhaftet, aber viele Menschen in meinem Umfeld wurden heftig geschlagen, auch mit Knien auf den Kopf. Da haben wir noch Glück gehabt, aber es war heftig.“ – Lukas (22)

„Wir sind Donnerstag ziemlich spontan auf der Demo gewesen. Wir hatten das Gefühl, dass alles sehr spontan und kurzfristig organisiert war. Wir haben viele Polizist:innen gesehen, die Menschen hinterher gerannt sind, als die Demonstration per Durchsage beendet wurde. Viele Menschen sind ruhig da geblieben, und haben mit Abstand voneinander gewartet. Sehr kurz nachdem die Durchsage kam, wurden schon Menschen auf den Boden gezerrt und sich auf deren Nacken und Rücken gekniet.

Ein Mann neben mir wurde niedergezerrt und auf den Boden fixiert. Er schien absolut friedlich, er hatte nur ein Fähnchen dabei. Viele Menschen wollten dazwischengehen, aber die Polizei ließ sie nicht. Die Polizei ist durch die Menge gerannt und hat Menschen geschubst, uns haben sie auch immer näher zusammengedrückt. Als sich Menschen gewehrt haben, haben sie mit Pfefferspray auf uns gesprüht. Zwei meiner Freunde wurden direkt aus dem Nichts im Gesicht getroffen und haben das Spray nicht mehr wegbekommen, weshalb wir Sanitäter:innen gesucht haben. Die waren sichtlich überfordert, weil so viele Menschen getroffen wurden.“ – Timo (25)

„Nach der Demo waren wir wieder am Kotti, wo die Demo dann abgesagt wurde. Die Polizei war klar in der Unterzahl, da, wo wir standen, wurde gerade die Sitzblockade gebildet. Es wurden Flaschen geworfen, jedoch nicht direkt auf die Polizei und auch niemand in unserem direkten Umfeld. Wir haben auch nichts getan, außer zu bleiben. Uns ist aufgefallen, dass die Polizei sehr aggressiv aufgetreten ist. Ein Teil der Hundertschaft kam uns entgegen, wir sind extra aus dem Weg gegangen! Aber einer der Polizist:innen ist aus der Gruppe ausgebrochen, um Menschen aus unserer Gruppe anzurempeln und zu schubsen, obwohl wir ihnen extra Platz gemacht haben.

Schon da haben sie eine klare Gewaltbereitschaft gezeigt, ohne dass wir irgendetwas provoziert haben. So ging das eine Weile weiter, bis immer mehr Polizei kam. Wir standen irgendwann vorne, vor der Polizeifront. Wie aus dem Nichts kam Bewegung in die Menge und ich habe aus dem Nichts eine Faust kassiert und habe nicht mehr viel gesehen. Ich hatte mehrere Tage Schmerzen davon. Meine Freunde habe ich in dem Moment verloren.

Eine Freundin habe ich wiedergefunden, aber mein Freund war weg. Alles, was wir mitbekommen haben, war, dass eine Person, die auf die Beschreibung passt, am Boden lag und getreten wurde. Mein Freund hat sich danach nicht mehr gemeldet, und wurde tatsächlich in Polizeigewahrsam genommen. Wir haben nichts provoziert und sind die ganze Zeit ruhig geblieben und trotzdem ist es so eskaliert.“ – Jonas (21)

„Es war alles ruhig und friedvoll, bis die Polizei schwer bewaffnet aufgetaucht ist. Ein Polizist hat mich rassistisch beleidigt und die ganze Situation ist sehr provokativ geworden. Ich wollte filmen, um hinterher Beweise zu haben, aber Polizist:innen haben versucht mir mein Handy wegzunehmen und es mir aus der Hand zu schlagen. Deshalb musste ich es wegnehmen und konnte nichts aufzeichnen. So sieht also ein ‘friedlicher Protest’ aus.“ – Benno (25)

„Meine Freunde standen an den Barrikaden am Kotti. Die Polizei ist immer wieder an ihnen vorbeigerannt und wir wussten nicht, was passieren würde. Sie haben sich vor den Barrikaden formiert und sind auf ein Signal auf alle losgegangen und haben auf meine Freunde eingeschlagen. Mein Freund hat sich aus Fluchtinstinkt nach hinten über die Barrikaden gelehnt, aber Polizist:innen haben von hinten auf ihn eingeschlagen.

Ein weiterer Freund hat sich gewehrt, bis die Polizist:innen zu zehnt auf ihn losgegangen sind. Das ist auch auf Videos zu sehen, wie die Polizist:innen versucht haben, sich abzuschirmen, damit die Gewalt nicht gefilmt werden kann. Menschen mit Kamera wurden von ihnen beleidigt und zurückgeschubst und ihre Handys aus den Händen geschlagen. Demonstrant:innen haben versucht die Polizei zu beschwichtigen, und sie aufgefordert, unseren Freund loszulassen. Aber sie haben sich mit den Knien auf seinen Körper gesetzt und weiter auf ihn eingetreten. Erst als er mehrmals gesagt hat, dass er nicht atmen kann, sind sie von ihm runtergegangen. Sie haben ihn gewaltsam festgenommen und in den Polizeiwagen geprügelt. Sehr viel davon ist auf Videos, was es leichter machen wird, ihn vor der Justiz zu verteidigen. Meine Freunde sind sehr traumatisiert von dem, was passiert ist.“ – Laura (23)

Und was macht eigentlich die Regierung?

Die Berichte sind gewaltvoll und schrecklich. Gemeinsam mit den Videos, die auf Social Media kursieren, zeichnen sie ein klares Bild: Polizist:innen, die ihre Macht missbrauchen und auf schutzlose Mieter:innen losgehen. Auf einer Demo für bezahlbare Mieten und für eine Stadt, in der Mieter:innen wohnen können.

All das passiert im Kontext einer rot-rot-grünen Regierung, die von sich selbst behauptet, für das Wohl der Berliner Mieter:innen zu kämpfen. Unter dem Narrativ “Wir haben doch alles für die Berliner:innen versucht” weist sie aktuell die Schuld am gekippten Mietendeckel von sich. Die Regierungsparteien beteiligten sich sogar selbst an den Demonstrationen.

Die Politiker:innen des Senats geben sich betroffen. Aber ist es nicht dieselbe Regierung, die tagtäglich Hausprojekte räumt, für die sich Bürger:innen engagieren? Die Menschen auf die Straße schickt, die wohnungslose Menschen vertreibt? Die Hausprojekte und alternative Räume, wie das Syndikat und die Meuterei, erbarmungslos räumt? Die die Privatisierung von Wohnungen fördert? Für wen kämpft diese Regierung wirklich? Die Polizei folgt den Befehlen der Regierung. Sie führt aus, was von Politiker:innen beschlossen wird.

Der gekippte Mietendeckel beweist einmal mehr, dass Versuche, sich auf rein parlamentarischer Ebene gegen das Kapital zu stellen, scheitern werden. All diejenigen, die ihre Hoffnung in eine rot-rot-grüne Regierung auch auf Bundesebene setzen, sollten diese Beispiele ins Grübeln bringen. Auch eine “linke” Regierung wird sich den Kapitalinteressen und Wirtschaftsmächten beugen. Egal wie gut ihre Intention sind, sie wird sich nicht gegen das Kapital auflehnen können, das beweisen Grüne und SPD schon seit Jahrzehnten. Die Bundestagswahl in diesem Jahr wird die Probleme, vor denen wir als Mieter:innen, als Beschäftigte, als Studierende und als prekär Lebende stehen, nicht lösen.

Wenn wir eine Wohnungspolitik wollen, die uns hilft, wenn wir Räume fordern, in denen wir leben können, müssen wir diesen Kampf selbst in die Hand nehmen. Wir brauchen Initiativen wie “Deutsche Wohnen und Co. enteignen”, um selbstwirksam Räume zurückzugewinnen und Wohnraum unter die demokratische Kontrolle von Mieter:innen zu bringen. Wir müssen uns mobilisieren und uns vernetzen. Dieser Kampf beginnt nicht mit der Bundestagswahl, und endet auch nicht mit ihr. Dieser Kampf findet jeden Tag statt und wir kämpfen ihn selbst.

Werde aktiv!

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Wenn du wütend bist und dich organisieren willst, komm in unseren Telegram-Chat “Entschädigungslos Enteignen”, in dem wir weitere Organisationen planen: https://t.me/EnteignenEntschaedigungslos

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