„Es geht um die Frage, wie politisch Lehrer:innen sein dürfen“

30.01.2024, Lesezeit 6 Min.
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Luca unterrichtet an einer Gesamtschule in Frankfurt am Main. Letztes Jahr beendete er sein Lehramtsstudium und wollte nun ins Referendariat einsteigen. Doch dies wird ihm momentan verwehrt. Ein Interview.

Das Gespräch mit Luca führte für Klasse Gegen Klasse Inés Heider, die sich selbst mit Repression zur Genüge auskennt. Für ihre gewerkschaftliche Aktivität wurde sie als Sozialarbeiterin gekündigt. Sie wehrt sich mit der Unterstützung eines Solidaritätskomitees. Die gerichtliche Entscheidung steht nun seit gut zehn Monaten aus, der Gerichtstermin wurde kürzlich verschoben.

InésDir wurde ja eine ganze Palette an Delikten vorgeworfen – vom Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz bis hin zum Landfriedensbruch. Was ist aber eigentlich passiert?

Luca: Geblieben ist davon nur noch, wenn auch nicht zutreffend, der Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Am 1. Mai 2021 soll ich nämlich mit einem achtlos weggeworfenen Rauchtopf einen beziehungsweise eine ganze Gruppe an Polizeibeamten verletzt haben. Vor der ersten Instanz haben aber alle Beamten ausgesagt, dass sie weder verletzt noch dienstunfähig waren – es gibt also keinen Geschädigten. Außerdem hat das Gericht nicht berücksichtigt, dass ich in der Situation mit massiver Polizeigewalt konfrontiert war, meine Gruppe verlor, orientierungslos war und lediglich einer Person helfen wollte, die direkt neben dem Rauchtopf auf dem Boden lag und stark blutete.

Krass, du wirst wegen einer Hilfsaktion an einer verletzten Person vom Staat rechtlich verfolgt.

Auch wenn Staatsanwaltschaft, Gericht und Polizei daraus versuchen jetzt einen „Angriff“ zu konstruieren, den es so nie gab, muss ich sagen: Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mich wieder dafür entscheiden, Hilfe zu leisten.

Klar. Alles andere wäre ja unterlassene Hilfeleistung. Was haben die Prozesse für dich jetzt zur Folge?

Viel gravierender als die hohe Geldstrafe – 3.000 Euro in der ersten Instanz – ist, dass ich mit einer Vorstrafe mein angestrebtes Referendariat nicht antreten darf. Das hessische Kultusministerium und Schulamt haben meine Bewerbung mehrmals abgelehnt. Mir soll auch gekündigt oder zumindest soll mein bestehender Vertrag nicht verlängert werden. Dabei sind alle Kolleg:innen und Eltern mit meiner fachlichen und pädagogischen Arbeit zufrieden. Ich bekomme den Eindruck, dass meine politische, kritische und gewerkschaftliche Stimme aus dem Betrieb gedrängt werden soll.

Für gewerkschaftliches Engagement vom Verfassungsschutz ins Visier genommen zu werden, ist ganz schön heftig. Es erinnert an die 1970er Jahre, oder?

Absolut, Stichwort: Radikalenerlass und Berufsverbote. Diese unfassbaren Geschehnisse waren nie weg aus der deutschen Geschichte, auch nicht nach 1990. Man erinnere sich nur an die Fallbeispiele Kerem Schamberger oder den Lehrer Michael Czakoszy. Es gibt glasklare Parallelen bei einigen, wenigen Unterschieden. Klar ist auch jetzt: An mir wird versucht, ein Exempel zu statuieren. Ich begreife mein Verfahren deshalb als dezidiert politisch und politisch motiviert. Der Verfolgungsdruck der Justiz und die Machenschaften der Staatsanwaltschaft in Eintracht mit dem Kultusministerium sind enorm – obwohl sie, genauso wie Ministerium und Schulamt, nie in meinem Unterricht oder auch nur zu einem Gespräch mit mir bereit waren. Ich halte mich selbst nach wie vor für absolut geeignet, den Lehrberuf auszuführen.

Du wehrst dich ja gerade dagegen. Warum?

Ich kämpfe diesen Kampf weder alleine noch für mich. Es geht um die einfache und wichtige Frage, wie politisch Lehrer:innen sein dürfen – und ob die Teilnahme an einer Demonstration im Zweifel deinen Job und deine berufliche wie private Existenz gefährden kann. Ich bestreite daher neben dem anstehenden Zivilprozess einen aufwändigen und kostenintensiven arbeitsrechtlichen Prozess. Ich klage auf mein Recht auf Einstellung sowie auf mein Grundrecht auf Ausbildung im staatlichen Monopol des Referendariats.

Wenn die Gegenseite gewinnt, kannst du kein Lehrer werden. Das ist für viele schwer zu glauben – deshalb hast du super viel Solidarität erfahren.

Absolut, in Zeiten von einem akuten Lehrkräftemangel ist das unfassbar. Bundesweit fehlen ja jetzt schon Tausende junge, motivierte und gut ausgebildete Menschen. Nach Angaben der Zeitung Die Zeit und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) werden Kinder und Jugendliche 2035 unter einem Mangel von rund 500.000 Lehrer:innen leiden.

Ich denke, dass die Repression gegen uns beide auch mit unserer Kritik an der „GroKo“ und der Ampelregierung zu tun hat. Ich meine: Vor über zwei Jahren wurde in Frankfurt, aber ja auch in Berlin, berechtigte Wut auf die Regierung auf die Straßen unserer Städte getragen. Im Bildungssystem waren damals schon die Folgen der Sparpolitik stark zu spüren. Jetzt gehen mit der Aufrüstung sogar Kürzungen einher. Und bekanntermaßen wird Zwang immer da angewandt, wo die Regierenden keinen Konsens herstellen können – die Mehrheit der Bevölkerung war ja dagegen, dass 100 Milliarden in die Bundeswehr gesteckt werden. Oder woran liegt es deiner Meinung nach, dass der Staat nicht will, dass du Lehrer wirst?

Ich stimme deiner Aussage zu 100 Prozent zu. Meine Schule ist einsturzgefährdet, stark veraltet und unterbesetzt – durch die Arbeitsbelastung werden Dutzende Kolleg:innen Woche für Woche krank. Im Zusammenhang mit der Covid-Zeit, der schweren Krise und der Verteilung der Krisenlasten auf unsere Schultern und die der Kinder, denke ich auch an die Investitionen in Krieg und Armee. Ich habe den Eindruck, dass die Bundeswehr in Zukunft nicht mehr nur zuschauen oder unterstützen soll – dazu braucht es zwingend Ruhe im Inland und Milliarden, die uns an anderen Stellen seit Jahrzehnten fehlen.

Stark, dass du dir das nicht gefallen lässt. Wie kann man dich neben der Petition unterstützen?

Wer einen Euro über hat, kann sich gerne vertrauensvoll an mein Konto der Ettie-und-Peter-Gingold-Erinnerungsinitiative wenden. Die Tochter der beiden antifaschistischen Widerstandsfiguren war selbst jahrelang von einem Berufsverbot betroffen. Wer am Mittwoch, den 31. Januar, um 12 Uhr Zeit hat, ist herzlich an das Landgericht Frankfurt zu einer Kundgebung eingeladen. Am Wichtigsten ist aber: Redet mit eurem Umfeld, macht meinen Fall publik. Zu Veranstaltungen komme ich gerne als Redner. Und: Organisiert euch gegen diese Ungerechtigkeiten!

Danke für das Interview Luca und dir ganz viel Kraft für die kommende Zeit!

Danke dir für die Chance, hier meine Sichtweise auf die absurden Geschehnisse darzustellen.

Kundgebungstermin


Mittwoch, 31. Januar 2023, 12 Uhr, Kundgebung in Solidarität mit Luca
Landgericht Frankfurt am Main, Gerichtsstraße 2

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