Arte zur Landbesetzung in Argentinien

08.01.2021, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Youtube

Der deutsch-französische Fernsehsender Arte veröffentlichte gestern, am 7. Januar, eine kurze Dokumentation zu den Landbesetzungen in Argentinien, die sich in den letzten Monat entwickelten. Am Beispiel von Guernica zeigt die Dokumentation die Lage der Besetzer:innen, sowie die Gründe, die sie zu dieser Maßnahme führten. Wir wollen alle Leser:innen dazu einladen, sich die Dokumentation anzuschauen. Was gezeigt wird und – viel wichtiger – was nicht gezeigt wird, wollen wir  an dieser Stelle kommentieren.

Seit Oktober 2020 prägen Landbesetzungen die nationale Lage in Argentinien sowie im Rest der lateinamerikanischen Region. Das exemplarische Beispiel dafür ist Guernica. In der Dokumentation von Arte gibt es Interviews mit Besetzer:innen, einer Repräsentantin der Regierung von Alberto Fernandez, einem Vertreter der Front der Linken Claudio Dellecarbonara und einer Großgrundbesitzerin.

Wer sind die Besetzer:innen bzw. die Bewohner:innen Guernicas?

Wie es die Dokumentation in den zahlreichen Interviews zeigt, sind es Arbeiter:innen, die aus ihren Wohnungen gedrängt wurden. „Sie sind Hausangestellte, Arbeiter, Bauarbeiter, Köche“, so heißt es in der Dokumentation. Viele sind durch die Pandemie und die katastrophale Politik der Regierung in die Arbeitslosigkeit verfallen. Die Verzweiflung, Angst und Perspektivlosigkeit bezüglich der Regierung, sowie die absolut verfaulten Lebensverhältnisse, in den diese Menschen leben müssen, sind in jedem Wort der Bewohner:innen und in den Bildern der Besetzung zu hören und zu sehen.

Wie steht die linksliberale Regierung dazu?

Die Bürgermeisterin der Provinz, Blanca Cantero, zeigt sich weniger besorgt über die in die Obdachlosigkeit gedrängten Menschen, sondern um das Privateigentum der Fläche. Als eifrige Verteidiger:innen des Besitzes versteht sie sich als Hüterin der Ordnung, gegenüber der Anarchie der Armen. Die politischen Kräfte, die auf der Seite der Bewohner:innen der besetzten Gebiete stehen, seien Krimminelle. Das ist die Position der Regierung von Alberto Fernandez, eine Regierung, die hierzulande sogar die Unterstützung der Linkspartei bekommt.

Wieso ist die Besetzung illegal und wer steht auf der Seite der Bewohner:innen?

Wie die Dokumentation verrät, sollen auf den besetzten Terrain eigentlich sogenannte gated communities für Wohlhabende gebaut werden. Das ist, was die Regierung verteidigt. Was die Dokumentation gekonnt ignoriert, ist, dass das 360 Hektar große Gebiet einer Investorengruppe namens Bellaco S.A. gehört. Dort sollen vier Wohnsiedlungen, 30 Tennisplätze, sechs Fußballplätze, ein Fitnessstudio, ein Spa und drei künstliche Seen für Wassersport entstehen. Die völlige Verachtung der Besitzenden gegenüber der Bewohner:innen wird symbolisch auch in der Dokumentation gezeigt. Eine Landbesitzerin hat – in einem bürgerkriegs-ähnlichen Manöver – einen Schützengrab vor ihrem Grundstück hat machen lassen.

Die politische Unterstützung –  die von der Regierung als kriminell abgestempelt wird und in der Dokumentation als linksextrem geschimpft wird – kommt allerdings in der Dokumentation zu Worte. Claudio Dellecarbonara, ein Abgeordneter der PTS in der Front der Linken und früher U-Bahn-Fahrer, betont die Legitimität des Kampfes und auf welcher Seite seine Partei steht. „Wir stellen uns gegen die Regierung in Argentinien. Sie behandelt diese Familien, die Gebiete besetzen, um dort zu wohnen, weil sie keine Wahl haben, nämlich wie Verbrecher. Diese Regierung begünstigt Immobilienspekulanten, sie begünstigt Konzernbosse und übergeht die Arbeiter:innen, die ärmeren Schichten. Genau deshalb ist es so wichtig, hierher zu kommen und uns Gehör zu verschaffen.“, so Dellecabonara.

Selbstorganisierung und gewaltvolle Räumung

Eines der wichtigesten Element der Besetzungen wird nur nebensächlich dargestellt: die Solidarität und die demokratischen Entscheidungen der Bewohner:innen.

Die Volksküche, die als eine moralisch gute Sache präsentiert wird, ist eine bewusst gewählte Form der Selbstorganisierung unter den Bewohner:innen. Sie tun dies nicht aus einer kulturellbedingten Form des Miteinanders, sondern als eine entschlossene Form, sich angesichts der unzureichenden Unterstützung der Regierung gegenseitig zu Unterstützen. In der gleichen Form haben sich die Bewohner:innen, von denen viele Alleinerziehende sind, untereinander organisiert. Mit einem Frauentreff, welches durch Versammlungen entstanden ist, konnten sich die Frauen, die in ihrer prekären Lage oft mit Sexismus konfrontiert sind bzw. in ihrer Vergangenheit bereits schlimmste Erfahrungen machten, voneinander lernen und ein politisches Verständnis dieses Problems entwickeln.

Diese Form der Selbstorganisierung sehen wir in der Selbstverteidigung der Bewohner:innen und auch am Abend eines Gerichtsbeschlusses. Es ist auch an dieser Stelle, wo die größte Unvollständigkeit der Dokumentation zu beobachten ist. Die Aussetzung der Räumung wie, sie in der Dokumentation positiv beleuchtet wurde, wurde einige Tage später widerlegt und die Regierung räumte skrupellos unter Tränengas und Gummigeschoss die Besetzung.

Die Polizei verbrannte die selbsterbauten Hütten und verhaftete mehrere Personen, die versuchten das einzige zu verteidigen, was ihnen übrig bleibt.

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