Argentiniens Linke und Arbeiter:innen zeigen uns, wie wir die extreme Rechte bekämpfen können

01.02.2024, Lesezeit 8 Min.
Übersetzung:
1
Foto: Luigi Morris

Zeitgleich zur Debatte über einen arbeiter:innenfeindlichen Gesetzentwurf des rechtsextremen Präsidenten im argentinischen Kongress leisteten linke Organisationen und Arbeiter:innen Widerstand gegen die Polizeirepression vor dem Nationalkongress. Wir beobachten in Echtzeit, wie eine revolutionäre Linke gegen die extreme Rechte und eine mitschuldige linke Mitte kämpfen kann.

„Einheit der Arbeiter:innenklasse, und wem das nicht gefällt, der kann uns mal.“

Das skandierten tausende Menschen am 31. Januar vor dem Nationalkongress in Argentinien. Bei über 30 Grad Hitze verurteilten die Demonstrant:innen das arbeiter:innenfeindliche Omnibusgesetz des rechtsextremen Präsidenten Javier Milei. Während der Kongress über das Gesetz debattierte, umstellte die Militärpolizei die Demonstranten und stellte sich zum Angriff bereit.

„Nieder mit Milei! Nieder mit dem Omnibusgesetz!“, skandierten die Demonstrierenden.

Nur sechs Tage nach dem landesweiten Streik gegen Mileis Politik am 24. Januar, an dem sich 1,5 Millionen Arbeiter:innen beteiligten, stimmt der argentinische Kongress über ein regressives und autoritäres „Omnibus-Gesetz“ ab, das vom Präsidenten und seinen Verbündeten entworfen wurde. Das Omnibusgesetz enthält ein Paket von Gesetzen, die die Rechte der Arbeiter:innen, das Recht auf Protest, Umweltvorschriften, die Rechte indigener Völker und andere unterdrückte Gruppen angreifen. Im Falle seiner Verabschiedung würde das Gesetz die Renten kürzen, Tausende von Arbeiter:innen aus dem öffentlichen Dienst entlassen, große Teile der Wirtschaft privatisieren und weite Teile der Ressourcen des Landes für die imperialistische Ausbeutung öffnen. Der Gesetzesentwurf ist eine Säule von Mileis rechter Agenda und ein neoliberales Experiment zum Ausverkauf Argentiniens an die multinationalen US-Konzerne, das Kapitalist:innen und Rechtsextreme auf der ganzen Welt aufmerksam verfolgen.

Nach der Machtdemonstration am 24. Januar haben viele der Mitte-Links-Organisationen der Peronisten – darunter auch die Bürokratie des größten Gewerkschaftsverbands -, die zu dem Streik aufgerufen und sich daran beteiligt haben, die Menschen angewiesen, den Debatten im Kongress zu vertrauen. Diese Debatten waren jedoch größtenteils ein Zirkus. Der Gesetzentwurf wird drei Tage lang debattiert und mehrfach überarbeitet. Bislang liegt der vollständige Text den Abgeordneten im Kongress noch nicht einmal zur Einsicht vor, und die Abstimmung beginnt erst Minuten nach den Überarbeitungen. Nur die fünf trotzkistischen Abgeordneten der Front der Arbeiterlinken (FIT-U) – zu der auch die Schwestergruppe von KlasseGegenKlasse, die Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS), gehört – haben diese Farce angeprangert.

Während der Debatten über das Gesetz forderte die PTS-Abgeordnete Myriam Bregman alle Abgeordneten im Kongress auf, „zu ihren Leuten zu gehen und ihr Gesicht zu zeigen, denn wir werden dafür sorgen, dass jeder weiß, wer für dieses Gesetz gestimmt hat“. Neben ihrer scharfen Kritik im Kongress schlossen sich die Abgeordneten der Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit (FIT-U) den Demonstrierenden auf der Straße an.

Draußen setzten die Polizist:innen Tränengas und Pfefferspray gegen die Demonstrierenden ein. Die Polizisten setzten sogar Pfefferspray gegen Alejandro Vilca ein, ein weiterer Abgeordneter der FIT-U und führendes Mitglied der PTS. Ein indigener Müllarbeiter, der die Provinz Jujuy vertritt, die im Herzen des sogenannten „Lithiumdreiecks“ liegt, einer der größten Lithiumabbauzonen der Welt. Jujuy würde durch das Omnibus-Gesetz, das die größtenteils indigene Provinz für weitere imperialistische Abbauprojekte öffnen soll, in besonderer Weise geschädigt werden.

Bei seiner Rückkehr in den Kongress, um sich gegen die Repression auszusprechen, erklärte Vilca:

Es ist unmöglich, die Diskussion über ein Gesetz dieser Größenordnung mit all den Einwänden fortzusetzen, die wir vorgebracht haben, und mit dieser repressiven Maßnahme ist es unmöglich [weiterzumachen]. Es ist beschämend, drei Bundesstreitkräfte, die Gendarmerie, die Marinepräfektur und die Bundespolizei [zur Unterdrückung der Demonstranten] zu schicken. Ich bin ein gewähltes Mitglied des Kongresses, ich kann nicht zulassen, dass sie uns schlagen und mit Tränengas beschießen.

Eine revolutionäre Linke und der wachsende Klassenkampf

Dies geschieht nach einem Monat des wachsenden Klassenkampfes in Argentinien. Zunächst kam es zu einer Mobilisierung der argentinischen Linken und der sozialen Bewegungen, bei der das trotzkistische Wahlbündnis FIT-U eine zentrale Rolle spielte. Die Peronisten, die Milei während des Wahlkampfs einen Faschisten nannten, argumentierten, dass die Menschen die Ergebnisse von Mileis Regierung abwarten sollten. Doch noch in der gleichen Nacht gingen Tausende im ganzen Land auf die Straße, um sich den cacerolazos anzuschließen, einer historischen Protestform in Argentinien, bei der die Menschen mit Töpfen und Pfannen auf die Straße gehen. Die Menschen skandierten „landesweiter Streik“ und „Wo sind sie? Ich kann sie nicht sehen! Wo ist die CGT?“, womit der größte Gewerkschaftsverband Argentiniens gemeint war. Die Untätigkeit der Gewerkschaftsführung ist besonders beschämend, wenn man bedenkt, wie viele Beschäftigte sie organisiert – in Argentinien liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei etwa 40 %.

Aufgrund des Drucks von unten wurde am 24. Januar ein landesweiter Streik ausgerufen. Während die Gewerkschaftsführung, die mit den Peronisten verbunden ist, den Streik auf 12 Stunden begrenzte und dafür sorgte, dass der öffentliche Nahverkehr weiterlief – damit die nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten weiterarbeiten -, legten 1,5 Millionen Menschen im Land die Arbeit nieder – in einem Land mit rund 46 Millionen Einwohnern. Mit anderen Worten: Es kam zu einem massiven landesweiten Streik, und das trotz der Versuche der Gewerkschaftsführungen, den Kampf einzudämmen.

Ein Großteil des landesweiten Streiks wurde in den Betrieben organisiert, wo die Beschäftigten, darunter Krankenpfleger:innen, Ärzt:innen, Lehrer:innen, Lkw-Fahrer:innen und andere, Versammlungen abhielten, um über die nächsten Schritte zu beraten. In vielen Teilen des Landes wurden Stadtteilversammlungen organisiert, in denen gewerkschaftlich organisierte und nicht gewerkschaftlich organisierte Teile der Arbeiter:innenklasse zusammenkamen, ebenso wie Studierende und Arbeitslose. Viele dieser Nachbarschaftsversammlungen mobilisierten, um sich den Protesten vor dem Kongress am Mittwoch anzuschließen.

Eine Lektion im Kampf gegen die extreme Rechte

Als die Nacht über Buenos Aires hereinbrach, blieben die Menschen auf den Straßen. Die Cacerolazos begannen und die Linke fing an, mit ihren riesigen Bannern die polizeilichen Einschränkungen und Drohungen zurückzudrängen. Als die Linken vorrückten, mussten sich die Polizist:innen, die zahlenmäßig unterlegen waren, zurückziehen. Sie skandierten: „Ole, ole, ole ola, was mit den Nazis passiert ist, wird auch mit euch passieren. Egal, wo ihre euch versteckt, wir werden euch finden“, in Anlehnung an die historischen Rufe, die soziale Bewegungen gegen die Militärdiktatur des Landes richteten.

Nicolas del Cano, Vizepräsidentschaftskandidat der FIT-U, stellte klar: „Die Gewerkschaftsbürokratie, die am Mittwoch zum nationalen Streik aufgerufen hat, muss erneut einen nationalen Streik ausrufen.“

Aus dem Herzen der imperialistischen Zentren sind wir solidarisch mit dem Kampf der argentinischen Arbeiter:innen gegen Milei – und all diejenigen, die seine Agenda unterstützen. Und während wir uns auf ein Wahljahr zubewegen, in dem uns wieder einmal gesagt wird, dass wir uns die Nase zuhalten und für Biden stimmen sollen, zeigt die Linke in Argentinien den Weg gegen die Rechte auf. Der Kampf gegen die Rechten findet immer auf der Straße statt, an unseren Arbeitsplätzen, wo wir die Gewerkschaftsführung auffordern, unsere enormen Kräfte zu mobilisieren und den „Business as usual“ zu stoppen. Dieser Kampf, der in Versammlungen in den Stadtvierteln und an den Arbeitsplätzen organisiert wird, bildet die Grundlage für den Sieg über Milei, aber auch die Grundlage für den Kampf für den Sozialismus.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch bei Left Voice am 31. Januar 2024 und wurde für die deutsche Übersetzung leicht angepasst.

Mehr zum Thema