Argentinien: Die Frauenbewegung erzwingt die Debatte um die Legalisierung der Abtreibung

02.05.2018, Lesezeit 6 Min.
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Die Frauenbewegung in Argentinien, die regelmäßig Hunderttausende auf die Straßen bringt, hat etwas Historisches vollbracht: Die Legalisierung der Abtreibung wird endlich im Kongress diskutiert. Gerade arme Arbeiterinnen sterben immer wieder an den Folgen heimlicher Schwangerschaftsabbrüche.

Die grünen Halstücher der Kampagne für das Recht auf Abtreibung sind in den letzten Monaten in Argentinien überall zu sehen: Auf Demos tragen sie vor allem junge Frauen, ganze Schulklassen machen Fotos mit ihnen, selbst bekannte Schauspielerinnen lassen sich mit ihnen ablichten. Die Frauenbewegung hat geschafft, was lange Zeit außer Reichweite erschien: Der Gesetzentwurf der nationalen Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibung wird endlich im Kongress diskutiert. In Argentinien ist Abtreibung derzeit verboten und wird nur zugelassen, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist oder die Schwangerschaft das Resultat einer Straftat war. Dabei zeigen Umfragen immer wieder, dass die Bevölkerung dieses Abtreibungsverbot ablehnt.

Die Frauenbewegung erhebt mit Unterstützung der Linken – in den letzten Jahren vor allem der Front der Linken und Arbeiter*innen (FIT) – die Forderung der Legalisierung seit nunmehr 30 Jahren. Der Gesetzentwurf der Kampagne, die seit über 10 Jahren existiert, wurde zuvor bereits sechs Mal präsentiert. Bisher war allerdings die Diskussion blockiert worden, auch unter der vorherigen Regierung von Cristina Kirchner.

Die Regierung Mauricio Macris – schwer geschwächt vom Widerstand der Bevölkerung gegen seine neoliberalen Renten- und Arbeitsreformen – kündigte kurz vorm 8. März an, diese Blockade nun endlich aufzuheben. Neben dem Gesetzesvorhaben der Kampagne wurden auch weitere Entwürfe präsentiert, die eher eine Entkriminalisierung statt einer Legalisierung vorsehen. Erstmal finden allerdings Anhörungen statt, bei denen die Abgeordneten Gäste als Redner*innen einladen können. Myriam Bregman, die in den letzten Jahren als Abgeordnete der PTS (Partei Sozialistischer Arbeiter*innen) in der FIT immer wieder ihren Sitz genutzt hat, um den Kampf der Frauenbewegung im Parlament sichtbar zu machen, warnt davor, dass dadurch die Diskussion verschleppt werden kann. Um dies zu verhindern, ruft sie gemeinsam mit ihren Genossinnen von der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas und vielen anderen Organisationen und Genoss*innen dazu auf, den Druck auf der Straße nicht aufzugeben.

Ein langer Kampf

Dass die Frage der Abtreibung jetzt im Kongress und in der Öffentlichkeit so breit diskutiert wird, ist, wie Myriam Bregman sagt, „das Resultat einer langen Geschichte des Kampfes der Frauenbewegung.“ Es handelt sich dabei um eine Frauenbewegung, die regelmäßig Hunderttausende auf die Straße bringt. Seit der ersten Demonstration unter dem Motto #NiUnaMenos im Jahr 2015 hat sie sich als eine der wichtigsten politischen Bewegungen und Kräfte etabliert. Auch die zweimal wöchentlich stattfindenden Anhörungen im Kongress werden regelmäßig von sogenannten Pañuelazos begleitet, um Druck auszuüben. Dabei werden die grünen Halstücher der Kampagne als Zeichen der Unterstützung des Gesetzesprojekts getragen und in die Luft gehalten. Aber nicht nur vor dem Kongress finden Kundgebungen statt: Im ganzen Land, auf der Straße, in Universitäten, Schulen und Arbeitsplätzen werden Aktionen gemacht.

Während der Fokus der Bewegung 2015 vor allem auf der Frage des Feminizids – des Frauenmords – lag, widmete sie sich schnell auch anderen Formen der Gewalt. Und gerade das Verbot der Abtreibung wurde schnell zum Thema. Wenn Frauen bei heimlichen Abtreibungen sterben, sei das ein Feminizid, der vom Staat begangen wird, so wurde argumentiert. Und in der Tat: Jedes Jahr sterben nach offiziellen Zahlen mindestens 100 Frauen an heimlichen Schwangerschaftsabbrüchen – die tatsächlichen Zahlen liegen sicherlich weit darüber. Die Betroffenen sind in ihrer überwältigenden Mehrheit arme Arbeiterinnen, die sich keine teuren Kliniken oder Reisen ins Ausland leisten können und den Eingriff deshalb unter unhygienischen Bedingungen durchführen lassen müssen. Und gerade diejenigen, die sich gegen die Legalisierung stellen, werden selbst kein Problem haben, sich teure Abbrüche zu leisten.

Solidarität

Deshalb solidarisiert auch die Arbeiter*innenbewegung sich immer wieder mit der Forderung nach Legalisierung der Abtreibung. Am 8. März liefen Arbeiterinnen des Krankenhaus Posadas, die gegen ihre Entlassungen kämpfen, in der ersten Reihe gemeinsam mit den Vertreterinnen der Kampagne. Und auch die Minenarbeiter aus Río Turbio, die ebenso ihre Arbeitsplätze verteidigen, solidarisierten sich, kamen zu einem der Pañuelazos und trugen die grünen Halstücher. Und dies sind nur einige Beispiele.

Linke Stimmen betonen dies auch bei den Anhörungen im Kongress. Sie argumentieren, dass es nicht um eine moralische Fragen geht, sondern um eine Frage der öffentlichen Gesundheit. Es geht nicht darum, ob Frauen abtreiben sollten oder nicht – denn Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. Sondern es geht darum, ob arme Frauen dabei sterben oder nicht. Und sie betonen auch, dass die beste Art Abtreibungen zu verhindern, der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln ist. „Sexualerziehung um zu entscheiden. Kostenlose Verhütungsmittel um nicht abzutreiben. Legale Abtreibung um nicht zu sterben. Das war und ist das Motto unseres Kampfes!“, stellte Andrea D‘Atri, Anführerin der PTS und Gründerin der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas bei einer Anhörung fest.

Die Debatte um Abtreibung steht derzeit nicht nur in Argentinien auf der Tagesordnung. In Irland steht ein Volksentscheid zum Thema an, in Polen mobilisieren Frauen und Verbündete gegen die weitere Verschärfung des Verbots. Und auch in Deutschland ist die Debatte wieder entflammt, durch die Diskussionen um §219a. Eine gute Grundlage für internationale Solidarität. Für eine Veranstaltung in Berlin zum Thema „§218 und 219a wegstreiken!“ schickte Brenda Hamilton, Aktivistin von Pan y Rosas und Vorsitzende des Studierendenzentrums der Philosophie-Fakultät der Universität von Buenos Aires, deshalb eine Solidaritätsbotschaft, in denen sie über den Kampf in Argentinien berichtete. Brenda Hamilton sprach auch bei einer Anhörung im Kongress. Dort schloss sie ihren Beitrag mit den Worten:

Wir organisieren uns in unseren Kursen, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern der Universität und unseren Dozentinnen und Dozenten, um zu kämpfen und das Recht auf Abtreibung auf den Straßen zu erobern. Damit wir eines Tages über unsere eigenen Körper entscheiden können und es keine einzige Frau mehr gibt, die gezwungen wird, Mutter zu werden, und weder ins Gefängnis kommt oder stirbt, weil sie heimlich abgetrieben hat.

 

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