150 Menschen diskutieren in Berlin über Abtreibung und Streiks

28.04.2018, Lesezeit 6 Min.
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Die Neuköllner Kneipe Laika war mehr als überfüllt, als Aktivist*innen der TVStud-Kampagne eine Podiumsdiskussion über die Paragraphen 218 und 219a organisierten.

Eine ungewöhnliche Veranstaltung zog am Mittwoch Abend in der Neuköllner Kneipe Laika 150 Menschen an: Streikaktivistinnen aus verschiedenen aktuellen Arbeitskämpfen in Berlin setzten sich mit Feministinnen zusammen, die die Einschränkungen des Abtreibungsrechts bekämpfen wollen.

„Was hat unser Streik mit Abtreibung zu tun?“ Die Frage stellte Sophie Obinger, studentische Beschäftigte an der Freien Universität Berlin und Mitorganisatorin. Mit bisher acht Streiktagen in diesem Jahr kämpfen die studentischen Beschäftigten in Berlin für einen neuen Tarifvertrag (TVStud). Doch im Laika wollte Obinger nicht nur über Löhne und Arbeitsbedingungen reden, sondern die Verbindung zwischen Prekarisierung und Frauenunterdrückung diskutieren – und wie reaktionäre Gesetze wie die Anti-Abtreibungs-Paragraphen 218 und 219a abgeschafft werden können.

„218 und 219a wegstreiken!“ hieß die Veranstaltung. „Arbeiterinnen haben die stärkste Waffe in der Hand“, sagte Moderatorin Lilly Freytag zu Beginn. Sie zeigte auf, dass Prekarisierung zu einem überwiegenden Teil Frauen betrifft – und wie dies auch Auswirkungen darauf hat, wie Abtreibungsverbote sie betreffen. Sie verwies zugleich auf die massenhaften Frauenstreiks am 8. März im Spanischen Staat und in Argentinien. In Buenos Aires zum Beispiel liefen Arbeiterinnen vom Krankenhaus Posadas, die gegen Entlassungen kämpfen, in der ersten Reihe der Demonstration, direkt neben der Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibung im Krankenhaus.

Nicht nur der Hinterraum des Laikas war bis zum letzten Winkel gefüllt. Dutzende Menschen saßen auch im Vorderraum der Kneipe, wo sie das Podium zwar nicht sehen, aber die Redebeiträge noch hören konnten. Das Interesse am Kampf gegen die Abtreibungsverbote – nicht nur mit parlamentarischer Lobbyarbeit, sondern mit Streiks – ist riesig.

Nach einem Video-Gruß aus dem Spanischen Staat sprach Obinger über TVStud. „Wir machen Tätigkeiten für den öffentlichen Dienst, aber wir werden nicht nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst bezahlt“, sagte sie. „Wir sind also Beschäftigte zweiter Klasse.“ Die Debatte über Abtreibungen in Deutschland nannte sie „unverschämt“: „Als ob wir Frauen vor uns selbst geschützt werden müssten.“

Kate Cahoon vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ betonte noch einmal, wo diese Gesetze herkommen: Der Paragraph 219a wurde 1933 von den Nazis eingeführt und verbietet „Werbung“ für Abtreibung. Damit werden Ärzt*innen kriminalisiert, die öffentlich Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen. Weil Abtreibung in Deutschland verboten – und lediglich unter bestimmten Voraussetzungen entkriminalisiert – ist, werden Abtreibungen nicht von Krankenkassen finanziert. Ähnlich ist das Problem mit Verhütungsmitteln – gerade arme Frauen können sich oft teure Verhütungsmittel nicht leisten.

„Viele Sachen, die wir für selbstverständlich halten, sind nicht mehr selbstverständlich“, so Cahoon. Im Rahmen der kapitalistischen Krise und des Rechtsrucks werden bereits erkämpfte Rechte wieder in Frage gestellt. Momentan dreht sich die Debatte in erster Linie um den Paragraphen 219a, aber man sollte auch für die ersatzlose Streichung von 218 kämpfen. „Das Thema Schwangerschaftsabbruch hat im Strafgesetzbuch nichts zu suchen!“, rief Cahoon und bekam riesigen Applaus.

Mina Khani, eine aus dem Iran geflüchtete feministische Aktivistin, diskutierte über das Verhältnis von Rassismus und Sexismus in Deutschland. Die AfD behauptet, Frauen vor Migranten schützen zu wollen – aber damit werden Frauen lediglich „instrumentalisiert“, so Khani, von Parteien die auch Frauenrechte angreifen. Khani forderte einen „Feminismus, der sich fragt, was Frauen und Geflüchtete gemeinsam haben.“

Juliane Hielscher befand sich am Mittwoch schon seit 15 Tagen hintereinander im Streik. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Sterilisationsassistentin im kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes. Aber aufgrund von Outsourcing hat sie keinen Tarifvertrag und verdient deutlich weniger als ihre Kolleg*innen, die dieselbe Arbeit machen. Seit zwei Jahren kämpft die Belegschaft schon, und Hielscher ist die einzige Frau in der Tarifkommission. „Wenn das niemand anders macht, dann mache ich das schon.“ Die Sterilisation ist im Krankenhausalltag wenig sichtbar, „aber wenn wir die Arbeit niederlegen, kann auch kein Arzt operieren“, so Hielscher. So haben ihre Arbeitsbedingungen direkte Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung von Menschen, die abtreiben wollen.

Die Pflegerin Anja Voigt, ebenfalls Vivantes, beschrieb das gleiche Problem: „Leute machen die gleiche Arbeit am gleichen Ort, aber verdienen dafür bis zu 1.000 Euro weniger – und das in öffentlichen Krankenhaus! Das geht gar nicht.“ Seit Jahren kämpfen die Kolleg*innen dieser Tochterunternehmen für gleiche Löhne und Wiedereingliederung. Voigt gab auch ein Beispiel für Sexismus in der Arbeitswelt. Die meisten ihrer Kolleg*innen sind Frauen, aber fast die ganze Führungsriege besteht aus Männern. Das führt dazu, dass in der Pflegebranche Frauen bis zu 30 Prozent weniger verdienen. Sie forderte außerdem alle Anwesenden dazu auf, sich am Volksentscheid für mehr Personal im Krankenhaus einzusetzen.

In der Diskussion nach den Vorträgen wurden zahlreiche weitere Themen aufgegriffen, die wir nicht hier alle wiedergeben können. So ging es auch um das Verhältnis von Behinderungen und Abtreibung oder die Frage, wie die Gewerkschaftsführungen dazu bewegt werden können, Streiks für Frauenrechte zu organisieren. Außerdem wurde betont, wie wichtig es ist, dass nicht nur Frauen alleine streiken, sondern alle Geschlechter gemeinsam – mit Frauen in der ersten Reihe.

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Zum Abschluss der Veranstaltung wurde ein Gruppenfoto mit Protestschildern gemacht und nächste Schritte besprochen. Am 4. Mai werden prekär Beschäftigte aus Berlin – TVStud, VSG und andere – gemeinsam auf die Straße gehen. Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung wollen dort einen feministischen Block bilden.

Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit betont, die Regierungsparteien unter Druck zu setzen, um die Streichung von §219a und das Recht auf Abtreibung durchzusetzen. Besonders gilt es – gemeinsam mit der Basis der SPD –, Druck auf die SPD-Führung auszuüben, die kurz nach der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag ihren Gesetzentwurf zur Streichung von §219a zurückgezogen hatte. Teile der SPD haben auch schon in einem offenen Brief ihren Unmut über die Partei-Führung geäußert – dies muss weiter vorangetrieben werden und auf der Straße sichtbar sein, beispielsweise bei gemeinsamen Kundgebungen.

Außerdem wird es bereits im September einen neuen „Marsch fürs Leben“ von reaktionären Abtreibungsgegner*innen geben. Dagegen gilt es zu protestieren. Schließlich geht es auch darum, wie im Spanischen Staat massenhafte Frauenstreiks zu organisieren. „Streiks gegen Sexismus, für alle Menschen, aber angeführt von Frauen“, so Moderatorin Tabea Winter.

Auch Voigt zog ein ähnliches Fazit: „Druck muss von der Straße kommen. Wir können nicht auf die Parteien hoffen. 100.000 Leute müssen auf die Straße.“

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