And the winner is… Gabriel?

16.01.2014, Lesezeit 8 Min.
1

// Die SPD in der Großen Koalition garantiert innenpolitische Stabilität für einen aggressiveren außenpolitischen Kurs //

Endlich: Die Große Koalition steht. Eine Koalition ohne “Courage”, wie die FAZ schreibt. Klar, dass die FAZ damit den “Mut” für schärfere soziale Angriffe meint. Aber wenn die Regierung nun nach fast drei Monaten des “Stillstands” – während derer das Parlament gelähmt war, weil die GroßkoalitionärInnen lieber klüngelten, als beispielsweise ein Mindestlohngesetz zu verabschieden, für welches im Bundestag auch ohne Koalitionsvertrag eine Mehrheit vorhanden gewesen wäre – ihre Arbeit aufnimmt, können ArbeiterInnen, RentnerInnen, die Jugend und die MigrantInnen kaum erwarten, dass diese pseudo-soziale Große Koalition ihre Lebensumstände verbessern wird. Denn obwohl die FAZ die Alarmglocken läutet, dass die neue Regierung die Schröderschen Arbeitsmarktreformen zurückdrehen wolle, sind die geplanten “Sozial”-Maßnahmen nur Schall und Rauch: ein “Mindestlohn”, über dessen Aushöhlung schon rege Debatten entbrannt sind; eine “Rente mit 63” für Leute mit 45 Beitragsjahren, d.h. nur solche, die von ihrem 18. Lebensjahr an ununterbrochen in die Rentenversicherung eingezahlt haben – was einer Zementierung der Altersarmut für Frauen gleichkommt; oder unzählige Absichtserklärungen zu Vorhaben, die unter Finanzierungsvorbehalt stehen, d.h. vom Finanzministerium eh gestrichen werden.

Der Amtsantritt der Großen Koalition findet statt im Rahmen einer langsamen, aber dennoch bedeutenden Verschiebung der deutschen Parteienlandschaft: Der Abschied der FDP aus dem Parlament ist ein Zeichen für eine Überholung der neoliberalen Logik, die vor allem in der Bevölkerung diskreditiert ist, aber auch in Teilen der herrschenden Klasse kritischer gesehen wird, was eine Erklärung für die „sozialen“ Nebelkerzen der neuen Regierung ist. Gleichzeitig kann dies mittelfristig zu Spannungen führen, da konservative Teile der Bourgeoisie und ihre kleinbürgerlichen Handlanger wie die neu etablierte Alternative für Deutschland eine schärfere Kritik von rechts an der Regierung üben werden. Um dies zu kompensieren und wie in der Vergangenheit eine „integrative“ Rolle gegenüber der populistischen und radikalen Rechten zu spielen, profiliert sich aktuell die CSU als rechtspopulistischer Rattenfänger. Nur: Aufgrund der Unterschiede in Bezug auf die EU, Europa und den Nationalstaat zwischen Union und Parteien wie der AfD kann dies langfristig eher die Koalition destabilisieren, als eine wirkliche Vermittlung der Koalition mit dem rechtspopulistischen Lager zu ermöglichen.

Die Rolle der SPD in der Koalition

Schon kurz nach der Wahl war abzusehen, dass die Koalition eine „pseudo-soziale“ sein wird. Die Überraschung der neuen Großen Koalition liegt woanders: Anders als zu erwarten war, steht und stand in den letzten Wochen nicht die “Übermutter der Nation”, Angela Merkel, als alte und neue Regierungschefin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die “alte Dame” SPD und ihr Chef Sigmar Gabriel.

Gabriel hat es in den Monaten seit der Bundestagswahl vermocht, das zweitschlechteste Wahlergebnis der Nachkriegs-SPD für eine Neuauflage der Großen Koalition mit CDU/CSU nutzbar zu machen, und zwar nicht nur mit Zähneknirschen, wie es zu Zeiten Schröders “Basta”-Mentalität war, sondern mit Begeisterungsstürmen von Mitgliedern und BeobachterInnen gleichermaßen über die neue “Beteiligungspartei Deutschlands” (Gabriel). Gabriel verdankt dies der Idee des Mitgliederentscheids über die Teilnahme an der #GroKo, der über 70% der SPD-Mitglieder zur Stimmabgabe animierte; ca. drei Viertel von ihnen stimmten dem Koalitionsvertrag mit der Union zu. Zwar waren die “linken” Teile der SPD wie die JuSos gegen den Koalitionsvertrag, doch Gabriel konnte sie mit dem Mitgliederentscheid hinter sich bringen. Der Mitgliederentscheid war letztlich ein Ausdruck des innerparteilichen Drucks gegen eine Neuauflage der Großen Koalition, der bei einer krassen Verschärfung der Spannungen zu einer Implosion der Partei oder zu Spaltungen führen könnte, wie es unter Schröder mit der WASG geschah. Um dem zuvorzukommen und eine neue innerparteiliche Legitimität zu erlangen, ersann die SPD-Spitze den Mitgliederentscheid. Nun kann sie jeden Unmut über die Koalition mit dem Hinweis entkräften, die Basis habe es ja so gewollt. Dadurch zeigt die SPD nebenbei wieder einmal der deutschen Bourgeoisie, welche Bedeutung sie als Vermittlungsinstanz immer noch besitzt.

Die SPD steht nun so geschlossen da wie nie in den letzten Jahren. So könnte Gabriel in der neuen Regierung eine wichtigere Rolle spielen als Merkel: Die SPD ist so – trotz Jahren der Krise – das wichtigste Element der Stabilität des BRD-Regimes, gerade wegen ihres Einflusses in der Gewerkschaftsbürokratie. Währenddessen stehen Merkel und die Union von Seiten der Zentralblätter der Bourgeoisie wie der FAZ wegen ihrer “Mutlosigkeit” gegenüber der SPD schon jetzt unter Beschuss. Aber Fakt ist: Durch die im Vergleich weiterhin äußerst gute Lage der deutschen Wirtschaft – trotz aller Fragezeichen in Bezug auf die langfristige Lösung der Weltwirtschaftskrise – ergibt sich momentan keine Notwendigkeit, im großen Maßstab soziale Attacken zu beginnen, wodurch die SPD den “sozialen Faktor” in der Großen Koalition spielen kann – auch wenn groß angelegte Angriffe sicherlich nicht auszuschließen sind. Dies sorgt dafür, dass die Linkspartei, die eigentlich angesichts der Großen Koalition beste Voraussetzungen hätte, um eine wichtige Oppositionsrolle zu spielen (wie schon zu Zeiten der letzten Großen Koalition 2005 bis 2009), zumindest kurzfristig wohl kaum von der Situation profitieren wird. Sollte sich dies ändern, wenn zum Beispiel die SPD ihre „soziale“ Maske sukzessive fallen lässt, könnte die Linkspartei von vielen als eine konsequentere Alternative gesehen werden. Nur: Die Linkspartei orientiert aktuell immer stärker an einer rot-rot-grünen Machtoption; nur der äußerste linke Rand der Linkspartei steht einer Regierungsbeteiligung noch kritisch gegenüber. Eine tatsächliche Alternative zur Sozialdemokratie kann die Linkspartei den ArbeiterInnen, der Jugend und den MigrantInnen so nicht bieten.

Der außenpolitische Kurs wird schärfer

Beste Voraussetzungen für die Regierung, um für Ruhe im Inneren Deutschlands zu sorgen, um sich der besseren Positionierung des deutschen Imperialismus in Europa zu widmen. Die Tiraden von FAZ und Co. über die Schwäche der Union zeigen zwar, dass die Einigkeit über den Kurs innerhalb der deutschen Bourgeoisie weiterhin nicht völlig vorhanden ist, aber man braucht nur einmal die aktuelle Propaganda um die Situation in der Ukraine zu betrachten, um zu sehen, dass das wesentliche Ziel von allen geteilt wird: die deutsche Vormachtstellung in Europa zu zementieren. Ob Merkels mahnende Worte an Putin, Genschers “Einsatz” für den oppositionellen russischen Milliardären Chodorkowski oder das Angebot des alt-neuen Außenministers Steinmeier, eine “Vermittlerrolle” zwischen dem pro-EU- und dem pro-russischen Flügel der ukrainischen Bourgeoisie zu spielen: Die Regierung und alle anderen etablierten Parteien haben begriffen, dass das nächste Schlachtfeld zur Festigung des deutschen “Platzes an der Sonne” nicht mehr vorrangig Südeuropa ist – denn dort haben sich die Krisenherde, mit geringfügiger Ausnahme Griechenlands, momentan wieder beruhigt –, sondern die langfristige geopolitische Konfrontation mit Russland. Die größere Stabilität in Südeuropa im Vergleich zu den Vorjahren ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass sich der deutsche Imperialismus wieder stärker gegen Russland positionieren kann. Die Ukraine ist der erste Schauplatz dieser Auseinandersetzung.

Aber auch wenn der Hauptfokus der neuen Regierung in der Außenpolitik und der Etablierung einer neuen deutschen Hegmonie liegt, gibt es im Innern der BRD gewisse autoritäre Tendenzen, die diese Entwicklung parallelisieren, wenn auch noch auf niedrigem Niveau. Dazu gehören zum Einen gewisse Tendenzen zur Bonapartisierung, die sich in Elementen wie der Integration von ca. 80% des Parlaments in die Regierungskoalition oder der neu entfachten Diskussion um die Verlängerung der Legislaturperiode widerspiegeln (was langfristig auch zu Problemen in der Vermittlung zwischen verschiedenen Kapitalfraktionen und somit zu einer Instabilität der Regierungskoalition führen kann), und zum Anderen eine neue Qualität in der Repression von linken Kräften, wie die kürzliche Etablierung von Sonderkontrollrechten der Polizei in der Hamburger Innenstadt durch den SPD-geführten Senat zeigen.

In jedem Fall beginnt die Große Koalition schon jetzt Zähne zu zeigen. Es ist die Aufgabe von RevolutionärInnen in Deutschland heute, diejenigen Elemente der ArbeiterInnenbewegung und der Jugend zu sammeln, die sich auf härtere Auseinandersetzungen vorbereiten wollen.

Mehr zum Thema