Amazon: Kapitalistische Grausamkeit in Zeiten der Pandemie

28.03.2020, Lesezeit 6 Min.
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Der reichste Kapitalist in der modernen Geschichte, Jeff Bezos, scheint aktuell der Profiteur der Pandemie zu sein. Die Kundschaft ist mehrheitlich zufrieden und sein Geschäft wächst exponentiell. Auf wessen Schultern ist das Wachstum gebaut? Über die kapitalistische Grausamkeit, die mit der Pandemie besonders scharf sichtbar wird.

Bild: La Izquierda Diario

Es sind außergewöhnliche Zeiten. Zwangsisolation oder Quarantäne sind aktuell feste Bestandteile unseres Alltages. Viele Geschäfte im Handel sind im Stillstand. Für den multinationalen Online-Händler Amazon ist die Situation allerdings eine historische Gelegenheit, um seine Monopolstellung auszubauen. Was ist im Wesentlichen die bisherige Herangehensweise von Jeff Bezos im Rahmen der Pandemie?

  • Allein in den USA wurden 100.000 neue Voll- und Teilzeitstellen in den Logistikzentren und der Auslieferung ausgeschrieben. Dieses Angebot gilt auch für Europa, allerdings ist die Zahl von Stellen deutlich niedriger.
  • In Europa, Kanada und USA wurden die Löhne um 2 Euro/Dollar bis Ende April erhöht.
  • Der Online-Händler priorisiert aktuell die Lieferung von essentiellen Gütern wie Haushaltswaren und medizinische Produkte. Die Regelung gilt zunächst bis zum 4. April.
  • Amazon wird die Tests im Rahmen des Coronavirus-Programms in Seattle nach Hause liefern.

Es könnte aus diesen Maßnahmen eigentlich ein produktiver Beitrag zur Bewältigung der Pandemie herausgelesen werden. Allerdings unter der Voraussetzung, die Bedingungen derjenigen, die das Geschäft am Laufen halten, außer Acht gelassen zu haben. Der Beitrag der Monopolmacht mit gigantischen Ressourcen bewegt sich auf einer Minimalebene, wenn es um die Gesundheit und die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten geht. Thomas Hoffmann, Betriebsrat im Amazon-Logistiklager Leipzig, bringt die Orientierung des Unternehmens in einem Interview auf den Punkt: „Das Ziel von Amazon ist es nicht, in der Krise zu helfen, sondern die Produktivität zu steigern, wir sollen arbeiten, arbeiten, arbeiten und Produkte verkaufen und rausschicken rund um die Uhr und zu Lasten aller Arbeitnehmer.“

Die Versorgung der Massen mit lebenswichtigen Gütern ist relevant – aber unter welchen Bedingungen?

Es ist nicht selbstverständlich für Arbeiter*innen, sich aufgrund der Corona-Pandemie für die Selbstisolation entscheiden zu können. Sie müssen weiterhin für die Miete, die Ernährung und Medikamente zahlen. Bei den Arbeiter*innen von Amazon sieht die Situation folgendermaßen aus:

  • Sobald sich die Arbeiter*innen infiziert haben, müssen sie sich eigenständig um Quarantäne und Tests kümmern und bekommen für eine bis zwei Wochen Lohnfortzahlungen. Wenn sie bis dahin nicht geheilt sind, müssen sie entweder Überstunden abbauen oder Urlaub nehmen. Es gibt bereits mehrere Entlassungsfälle von Arbeiter*innen, die sich infiziert haben.
  • Obwohl angesichts der Ausbereitungsgefahr des Virus ein deutschlandweites „Kontaktverbot“ verhängt wurde, müssen Tausende von Beschäftigten in geschlossenen Räumlichkeiten unter minimal-hygienischen Maßnahmen arbeiten. Es wird ihnen vorgeschlagen, sich die Hände zwanzig Sekunden zu waschen. Sie erhalten nicht einmal Schutzkleidungen oder Atemschutzmasken.
  • In jedem Lager stellt Amazon eine große Zahl an Leiharbeiter*innen ein und befristet die Arbeitsverträge, um Arbeiter*innenrechte umzugehen. Das Geheimnis des Booms liegt also nicht nur in dem gigantischen Logistiknetzwerk, sondern in der Prekarisierung von Arbeitskräften.
  • Da in den Bereichen der Gastronomie, Hotellerie und der Reisebrache die Betriebe geschlossen sind, bietet Jeff Bezos eine provisorische Beschäftigung bei Amazon. Hier wird die Methode der Reservearmee sichtbar, die die Belegschaft entkräftigt und spaltet. Die Reservearmee bedeutet aktuell die aufgrund der Schließungen in anderen Bereichen Arbeitslosen, die ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Doch es geht dabei nicht um eine generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sondern darum, die Produktivität zu steigern.

Diese Situation bleibt allerdings nicht unkommentiert. Weltweit haben die Arbeiter*innen von Amazon in den letzten Jahren durch Streiks gegen die unerträglichen Ausbeutungsmechanismen besondere Erfahrungen gesammelt. Heute in der Pandemie melden sie sich auch zu Wort: In Polen und Spanien haben sie demonstriert. In Italien, Frankreich und New York sind sie in den Streik getreten. In ihrer Erklärung, die wir gespiegelt haben, stellen sie die Forderung nach der Schließung bei voller Lohnfortzahlung auf, bis die Weltgesundheitsorganisation WHO das Ende der Pandemie erklärt hat: „Amazon sollte außerdem wissen, dass eine zeitweise Lohnerhöhung, zudem von Land zu Land unterschiedlich, als ob unser Leben je nach Wohnort unterschiedlichen Wert hätte, nicht ausreichen wird, um unsere Gesundheit und unsere Sicherheit zu erkaufen.“

Solange die Logistikzentren für Arbeiter*innen unsicher bleiben, ist es richtig, ihre Schließung zu fordern. Die von der Geschäftsleitung diktierten Minimalmaßnahmen für Hygiene stehen im Widerspruch mit den Ratschlägen der modernen Wissenschaft und Medizin.

Nichtsdestotrotz nehmen mutige Arbeiter*innen die Kosten dieser Arbeit bewusst in Kauf, weshalb der Gewerkschaft ver.di in Deutschland eine Aufgabe zukommt, den Interessen der Beschäftigten entsprechend einen Kampfplan zu erstellen. Die Arbeiter*innen brauchen die modernste medizinische Ausrüstung zum Schutz vor dem Virus, die die Wissenschaft aktuell bieten kann, solange der Betrieb im Gange ist. Es müssen Gesundheitsausschüsse von Beschäftigten und Mediziner*innen aufgebaut werden, die die Kontrolle über die Sanitärmaßnahmen und die Auslieferung übernehmen. Die Arbeitszeit muss bei vollen Lohnausgleich verkürzt werden, damit einerseits die Menschen, die ihre Arbeit aufgrund der Pandemie verloren haben, einen geordneten Übergang finden. Andererseits bedeutet das eine Entlastung für die Beschäftigten bei Amazon, die einem extremen Leistungsdruck ausgesetzt sind. Wenn Amazon nicht bereit ist, Forderungen der Beschäftigten nach gesunden Arbeitsbedingungen und Ruhe der Arbeit unter voller Lohnfortzahlung zu erfüllen, darf die ver.di-Bundesleitung nicht vor Streiktagen zurückschrecken. Wer arbeiten kann, kann schließlich auch streiken.

Die Kampferfahrungen der letzten Jahre zeigen dennoch, dass der Umgang mit Amazon nicht nur auf der Ebene von ökonomischen Forderungen beschränkt bleiben kann. Es ist eine Monopolkraft, die selbst von Steuern teilweise befreit ist. Mit Methoden der Steuerflucht und der grenzenlosen Expansion gelingt es Amazon, den Markt vollständig zu dominieren. Angesichts der Notwendigkeit, die Produktion und die Verteilung zu zentralisieren, müssen die Logistikzentren dieses Unternehmens unter Arbeiter*innenkontrolle verstaatlicht werden.

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