Alexej Nawalny: Feind Putins und makelhafter Held des Westens

23.02.2024, Lesezeit 7 Min.
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Nawalny bei einer Demo im Jahr 2020. Quelle: NCKAHDEP / Shutterstock.com

Der Hauptgegner des Kremls, Alexej Nawalny, ist nach Angaben der Gefängnisverwaltung im Gefängnis gestorben. Sein Tod weckt bereits Parallelen zu den vom Regime ermordeten Dissidenten Boris Nemzow und Anna Politkowskaja.

Der FSIN-Gefängnisdienst der Arktischen Region gab letzte Woche den Tod von Alexej Nawalny bekannt: „Am 16. Februar 2024 fühlte sich der Gefangene Nawalny A.A. im Gefängniszentrum Nummer drei nach einem Spaziergang unwohl. Die Gründe für den Tod werden noch ermittelt.“ Der Tod, der sich drei Wochen vor den russischen Präsidentschaftswahlen ereignet, ist ein weiteres Symbol für die Brutalität des Putin-Regimes und drückt eine gewisse Nervosität der Regierung aus, die in den Krieg in der Ukraine verwickelt ist.

Tatsächlich wurde vorletzte Woche Boris Nadeshdin, ein gemäßigt kriegskritischer Präsidentschaftskandidat, endgültig von der Kandidatur ausgeschlossen. Er hatte keine Chance, die Wahl zu gewinnen, und seine Kritik an Putin war so gering, dass das Regime erwog, seine Kandidatur zuzulassen, um unter anderem einer Wahlfarce eine gewisse Legitimität zu verleihen. Die Unterstützung mehrerer Oppositioneller, darunter Nawalnys Anhänger, die am Wahltag zu Protesten aufgerufen hatten, sowie die Tatsache, dass sich Nadezhdin gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hat, hat jedoch für Begeisterung in der Bevölkerung gesorgt.

In mehreren Städten bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die ihre Unterschriften zur Unterstützung von Nadeschdins Kandidatur abgeben wollten. Die derzeitige Dynamik beunruhigt das Regime. Die Gefahr des Verlusts der eigenen Basis an Nadeschdin wurde mit einer Absage der Kandidatur des Oppositionellen, durch bürokratische Mittel, seitens der russischen Regierung beantwortet. In diesem Zusammenhang erscheint Nawalnys Tod höchst verdächtig.

Tatsächlich ist Alexej Nawalny als liberaler Politiker bekannt, der seit mehreren Jahrzehnten eine harte Opposition gegen Putins Herrschaft anführt. Im Jahr 2011 spielte er zusammen mit Sergej Udalzow und Boris Nemzow eine Rolle als öffentliche Figur in der Bewegung gegen Korruption bei den Parlamentswahlen auf dem Bolotnaja-Platz. Im Jahr 2013 trat er erneut landesweit in Erscheinung, als er für das Amt des Bürgermeisters von Moskau kandidierte, wo er 27 Prozent der Stimmen erhielt und die Regierung laut journalistischen Recherchen dazu zwang, das Ergebnis des ersten Wahlgangs zu fälschen. Ein potenziell explosives Duell zwischen Nawalny und dem Kandidaten des Regimes, Alexej Sobjanin, wurde so verhindert.

Nawalnys Opposition gegen Putin

Seitdem hat das Regime alles in seiner Macht stehende getan, um Nawalny nicht mehr legal am politischen Leben teilnehmen zu lassen. So wurden zum Beispiel verschiedene Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet, um strafrechtliche Verurteilungen zu erwirken, die ihn daran hindern, bei den Wahlen anzutreten. Von den staatlichen Medien boykottiert, baute Nawalny seine eigene Medieninfrastruktur mit mehreren populären YouTube-Kanälen auf und veröffentlichte einen Dokumentarfilm über den immensen Reichtum des ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew. Diese Enthüllungen lösten Massenproteste in Moskau und St. Petersburg aus, wobei ein Teil der Jugend aus Empörung über die Korruption der Staatsoberhäupter auf die Straße ging.

Nawalny, dem es selbst verboten war, für ein Amt zu kandidieren, führte bei den Präsidentschaftswahlen 2018 noch immer einen großen Wahlkampf, in der Hoffnung, ihn durch ein Gleichgewicht der Kräfte zu gewinnen. Dabei wurde ein landesweites Netzwerk mit Kampagnenaktivistenzellen aufgebaut, mitsamt vielen Büros in verschiedenen Regionen, die durch Online-Spenden finanziert werden. Diese politische Infrastruktur wurde in den folgenden Jahren vom Regime nach und nach demontiert, indem sie als extremistische Organisation eingestuft wurde und Aktivist:innen durch strafrechtliche Verfolgung ins Exil trieb.

Im Jahr 2020 wurde Alexej Nawalny von FSB-Sicherheitskräften mit einem Novichok-Nervengift vergiftet und konnte nur durch eine lebensrettende Behandlung im Ausland gerettet werden. Kaum war er nach mehreren Monaten der Rehabilitation in Deutschland wieder auf den Beinen, schloss Nawalny seine dokumentarischen Ermittlungen über Putins geheime Luxusresidenz (mit dem Titel „Ein Palast für Putin„) ab, die in Russland wie eine Bombe einschlug. Die Doku brach alle Rekorde an Aufrufen auf YouTube und neue Proteste brachen sich auf auf den Straßen bahn.

Im Januar 2021 kehrten Nawalny und seine Lebensgefährtin nach Russland zurück, wo der Oppositionelle bereits bei der Ankunft am Moskauer Flughafen  verhaftet wurde. Der seitdem in Hochsicherheitsgefängissen inhaftierte und inzwischen in ein Straflager überführte Nawalny wurde unterdessen wegen weiterer vermeintlicher Vergehen verurteilt. Die Aussicht auf Befreiung rückte in weite Ferne. Dabei häufen sich eine Reihe absurder und politische motivierter Verurteilungen: 19 Jahre Gefängnis wegen „Schaffung einer extremistischen Gemeinschaft“ und „Finanzierung extremistischer Militanter“, Elfeinhalb Jahre in einer Hochsicherheits – Strafkolonie wegen „Betrugs“. Einen Großteil seiner Haft, mindestens 300 Tage, verbrachte Nawalny in Einzelhaft, obwohl die Langzeit-Einzelhaft von internationalen Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, als Folterpraxis anerkannt wird.

Gefängnis und Tod als Warnung an die Arbeiter:innen

Seine gesamte Karriere als liberaler Gegner Putins hat ihm die Sympathie verschiedener westlicher Führer und Regierungen eingebracht. Wenn es um Regime geht, mit denen sich die Imperialisten in einem wirtschaftlichen und geopolitischen Konflikt befinden, versuchen sie stets, sich auf liberale Oppositionelle zu verlassen, die als „Helden der Demokratie“ gefeiert werden. Aber im Fall Nawalnys war die Angelegenheit komplexer. Im Laufe seiner politischen Karriere hat er sich einen Namen gemacht, indem er rassistische, fremdenfeindliche und nationalistische Ansichten geäußert hat, sich den Diskursen der russischen extremen Rechten annäherte und an den russischen Märschen, radikal chauvinistischen Demonstrationen, teilnahm.

Auch wenn Nawalnys Prestige auf seiner oppositionellen Haltung gegen den Angriffskrieg des Putin-Regimes beruht, kritisierte der Oppositionelle die Annexion der Krim 2014 nicht. In direktem Widerspruch zu dem Bild des „Retters der russischen Demokratie, ein Widerspruch der nur sehr selten medial diskutiert wird. Gleichzeitig kritisierte Nawalny in einem langen Artikel aus dem Gefängnis heraus die „Gründerväter“ des modernen Russlands, angefangen bei Boris Jelzin. Offensichtlich vertritt seine Kritik einen rein bürgerlichen und kapitalistischen Standpunkt, stand aber im Gegensatz zu den schmeichelhaften Ansichten, die die imperialistischen Herrscher im Westen von denselben korrupten Politikern haben, die das gegenwärtige politische Regime in Russland gegründet haben, auf das sich Putin stützt.

Trotz seiner inhaltlichen Kritik am Putin-Regime und der weit verbreiteten Korruption im post-sowjetischen Russland war Nawalny im Kern ein reaktionärer, pro-kapitalistischer, pro-imperialistischer Politiker. Seine Politik steht der Vorstellungen einer befreiten Gesellschaft diametral entgegen, sein Nationalismus kann die Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse nicht ersetzen. Die stark verarmte Arbeiter:innenklasse hat wenig mit Nawalnys Politik zu gewinnen. Trotzdem verdeutlicht sein Tod die Grausamkeit des Putin-Regimes, das bereits andere Dissident:innen wie den Politiker Boris Nemzow und die Journalistin Anna Politkowskaja ermordet hat.

Dieses Regime, das in der Lage ist, den politischen Führeren, die von allen imperialistischen Staaten des Westens unterstützt werden, unerhörtes Leid und sogar den Tod zuzufügen, führt diese Repressionen gegen die Arbeiter:innenklasse und den unterdrückten Teilen der Gesellschaft sogar noch rücksichtsloser. Der Tod Nawalnys zeigt die Dringlichkeit für das Wiedererstarken der Antikriegsbewegung in Russland, aber auch im Westen. Der Schlagabtausch zwischen dem westlichen Imperialismus und der militärischen Regionalmacht Russland zerreibt die Arbeiter:innen der Ukraine und der Russischen Föderation in einem sinnlosen Krieg. Um diesen zu stoppen, braucht es eine unabhängige Organisierung unserer Klasse gegen die Repression des Putin-Regimes, die bürgerlichen Märchen und den westlichen Imperialismus.

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