Staatsräson im Kürzungswahn: Mädchen*zentren wegen Palästinasolidarität geschlossen

22.04.2024, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Klasse Gegen Klasse

In Berlin Friedrichshain und Kreuzberg wurden die Mädchen*zentren Alia und Phantalisa durch das Jugendamt geschlossen und die Leistungsverträge für den Träger FRIEDA Frauen*zentren e.V. wurden außerordentlich mit sofortiger Wirkung gekündigt. Das ist ein neues Level der Repression gegen Palästinasolidarität und zeigt auch, wie schnell und drastisch im sozialen Sektor gekürzt werden kann und wird.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat am Freitag, den 19. April 2024, in seiner Pressemitteilung Nr. 87 die Schließung der beiden Mädchen*zentren Alia und Phantalisa in Friedrichshain und Kreuzberg durch das Jugendamt bekannt gegeben. Beides sind Projekte des freien Trägers FRIEDA Frauen*zentren e.V., denen gleichzeitig auch die Leistungsverträge gekündigt wurden. Die Gründe hierfür wurden im Statement der von FRIEDA Frauen*zentren e.V. angehängten Email von Bezirksstadtrat Max Kindler (CDU und Polizist) veröffentlicht und könnten rassistischer nicht sein: Die zwei Mädchen*zentren in Friedrichshain und Kreuzberg werden geschlossen, weil Mitarbeiter:innen auf Palästinademonstrationen und beim Palästinakongress gewesen sind. Diese Einrichtungen stellen einen wichtigen Ort für Jungendliche aus dem Bezirk dar. Zudem arbeiten dort hauptsächlich von Rassismus betroffene Kolleginnen.

Das Ausmaß der Repression gegen die Demonstrationen und gegen den Kongress zieht sich nun also schon so weit, dass sogar Mädchen*zentren geschlossen werden. Orte, an denen sich Mädchen und junge Frauen, queere und trans Jugendliche treffen, um einen Rückzugsort für sich zu haben, Freizeitangebote mitzumachen, die ihnen vielleicht auf Grund der materiellen Lage ihrer Familien so nicht möglich gewesen wären, Beratung und Begleitung bei Problemen zu finden und von den erfahrenen Kolleginnen dort an weiterführende Hilfsangebote angebunden werden können. Von einem auf den anderen Tag geschlossen. Man kann sich kaum vorstellen, was für eine Konsequenz das für die Jugendlichen selbst hat. Kein letzter Kontakt mit den Bezugspersonen, kein Abschied, Stand jetzt nicht einmal ein Ausweichort – weil Berlin lieber Geld in die Polizei steckt als in soziale Einrichtungen. In diesen Einrichtungen waren beispielsweise einige der jugendlichen Romn:ja und Sinti:zze, die 2022 aus einem Häuserblock in der Straße der Pariser Kommune in Friedrichshain gedrängt wurden, nachdem sie sich über längere Zeit hinweg Schikane durch die Besitzerin des Häuserblocks ausgesetzt sahen. Laut der Pressemitteilung des Berliner Senats solle sich bald um Ersatz bemüht werden, das heißt wohl, dass neue Leistungsverträge mit anderen Trägern geschlossen werden sollen. Doch ein Jugendzentrum macht nicht an derselben Stelle weiter, wo es vor diesem Vorfall stand, sobald es neues Personal und einen anderen Träger gibt. Jugendarbeit bedeutet auch Beziehungsarbeit und diese aufbauen zu können braucht Zeit.

Es ist auch eine Krise für die Beschäftigten, die nun einer emotionalen Belastung ausgesetzt sind. Von einem Tag auf den anderen die Jugendlichen nicht mehr zu sehen, mit denen sie seit langer Zeit arbeiten, muss schon eine absolute Hölle sein. Dazu kommt, dass nun ihre Jobsituationen ungewiss bleiben, was auch eine zusätzliche materielle Belastung zu der ohnehin schon unterbezahlten, überarbeiteten Jobsituation darstellt. Und mindestens genauso schlimm muss es sein, mit dem Wissen zu leben, dass sie jederzeit wegen ihrer Palästinasolidarität ihren Job verlieren könnten.

Noch absurder wird das alles dadurch, dass die Beschäftigten der beiden Projekte wohl an den Berliner Senat „verpfiffen“ wurden – von zionistischen, antideutschen Sozialarbeiter:innen. Ob die Schließung nun daraufhin passierte oder auch so passiert wäre, kann man zwar nur mutmaßen, aber allein schon der Fakt, dass Mitarbeiter:innen aus demselben Sektor, die mit denselben Krisen und Kürzungsproblemen konfrontiert sind, ihre eigenen Kolleg:innen verraten, ist nichts anderes als absolut beschämend. Von einer Gruppe eben solcher Sozialarbeiter:innen aus wurde wohl eine Email an staatliche Instanzen und weitere Behörden gesendet. Selbst wenn es politische Differenzen gibt, die komplett gegensätzlich sind, geht so ein absurdes verräterisches Verhalten auf Kosten der Jugendlichen, die einen Rückzugsort in diesen Zentren gefunden hatten. Zionistische und antideutsche Menschen scheinen wohl nicht einmal vor Zusammenarbeit mit Staat und Polizei zurückzuschrecken, wenn die Leidtragenden ihre eigenen Kolleg:innen und Klient:innen sind. Man muss nicht einmal solidarisch sein miteinander, aber das Melden von privaten Instagram-Stories und Posts von propalästinensischen Aktivist:innen beim Berliner Senat übertrifft schon nahezu jegliche Vorstellungen von Klassenverrat. Peinlich, beschämend und traurig.

Repression und Kürzungen gehen Hand in Hand

Die Repression gegen Palästinasolidarität erreicht in den letzten Wochen und Monaten konstant krassere Ausmaße. Allein der Palästinakongress wurde mit Mitteln und Methoden verboten und unterdrückt, die seit Jahrzehnten nicht mehr so exzessiv angewendet wurden. Betätigungs- und Einreiseverbote für Ärzt:innen aus Gaza, gewaltvolle Räumung, Verhaftung von jüdischen Aktivist:innen, Gefährderansprachen – zusätzlich zur bereits bekannten Polizeigewalt, die Demonstrant:innen die deutsche Staatsräson mit Schlagstöcken, Tränengas, Würgegriffen und roher Körpergewalt durch Fäuste und Tritte eindreschen wollen.

Aber die Schließung der Mädchen*zentren ist ein neues Ausmaß, das perfekt aufzeigt, wie die Aufrüstung der Polizei und ihre Repression zusammenhängt mit den Kürzungen im sozialen Sektor. Während seit Jahren Projekte und Zentren geschlossen werden, soziale Angebote für marginalisierte Jugendliche ausbleiben, weil das Land Berlin immer weniger in diesen Bereich investiert, wird die Polizei mit immer mehr Geld gefüttert, um sie hochzurüsten. „Bessere“ – also tödlichere – Ausrüstung wie beispielsweise Taser, mehr Polizeipräsenz durch neue Stationierungen wie die Polizeiwache direkt im Zentrum des Kottbusser Tors und tausende neue Stellen sollen für Dauerüberwachung wie auf der Sonnenallee und mehr Polizeigewalt wie nahezu auf jeder Palästinademo sorgen. 

Diese Schließung macht deutlich, wo die Prioritäten der Berliner Landesregierung und des Staates generell liegen: Marginalisierte Leben interessieren uns nicht – und wir werden alles tun, damit ihr euch nicht gegen uns auflehnt. Wir nehmen Geld nicht nur aus dem sozialen Sektor weg, sondern auch aus dem Bildungs- und Gesundheitssektor. Wir lassen euch alle, die dort arbeiten, unterfinanziert und überarbeitet, damit wir mehr Geld für die Polizei und das Militär haben, denn wir wollen „kriegstüchtig“ werden. Es ist uns lieber, ihr habt immer weniger Möglichkeiten für soziale Aktivitäten, immer weniger Mittel für gesundheitliche Versorgung, immer ältere, heruntergekommenere Schulen – dafür haben wir dann mehr Polizei, um euch noch mehr zu schikanieren und zu kriminalisieren und mehr Geld für das Militär, damit wir wieder Kriege führen können wie in alten Zeiten. Und bis dahin finanzieren wir erstmal weiter einen Genozid und schieben euch dann Antisemitismus in die Schuhe, wenn ihr dagegen seid.

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