700 Tote auf dem Mittelmeer: Ein Massenmord der Festung Europa

02.06.2016, Lesezeit 4 Min.
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Bei Bootsunglücken starben in der vergangenen Woche mehr als 700 Geflüchtete im Mittelmeer. Ein Massenmord auf hoher See und die drei traurigsten Tage des Jahres.

Zwischen 700 und 900 Menschen starben in der vergangenen Woche bei dem Versuch, von Libyen an die italienische Küste zu gelangen. Die Zahlen sind nicht genau und leiten sich aus den Berichten der Überlebenden ab. Jede dieser Erzählungen ist schrecklicher als die andere und die Zahlen steigen immer weiter an. In keiner Woche in diesem Jahr starben mehr Geflüchtete.

Die Sprecherin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) Carlotta Sami schrieb am Sonntag morgen auf Twitter: „Wir werden nie die genaue Zahl oder ihre Identitäten kenn, doch die Überlebenden sprechen von ungefähr 500 Toten.“

Doch schon am Abend des selben Tages stieg die Zahl der Toten auf mehr als 700 an. Dabei wurden nur die Bootsunglücke zwischen Mittwoch und Sonntag in Betracht gezogen.
Carlotta Sami veröffentlichte einen neuen Tweet, in dem sie die „makabre Aufgabe“ beschrieb, die Unglücksopfer zu zählen und hinterfragte die Passivität angesichts dieses brutalen Massenmordes: „Wann wird die Welt erkennen, dass diese 700 Menschen einen sicheren Weg verdient haben?“

Die Organisation Ärzte Ohne Grenzen (MSF) sprach sogar von bis zu 900 Geflüchteten, die in der vergangenen Woche starben.

Die italienische Küstenwache bestätigte in den letzten Tagen drei Bootsunglücke: der erste am Mittwoch, von dem fünf Leichen geborgen wurden, der zweite am Donnerstag, mit zwischen 15 und 20 Leichen, und der dritte am Freitag, von dem 45 Leichen geborgen wurden.

Diese Zahlen belegen das erschütternde Anmaß an Menschen, die auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrinken. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren es seit Januar 1.100. Diese Zahl verdoppelt sich fast durch die Toten der vergangenen Woche.

Verantwortung der EU

Das Mittelmeer wurde erneut zu einem Massengrab für Geflüchtete. Das hängt mit der Politik der Europäischen Union zusammen. Die Schließung der Balkanroute durch Mauern, Zäune und die Militarisierung der Grenzen führte zu einem Abschwellen der Geflüchtetenbewegungen über die Türkei und Griechenland. Der EU-Türkei-Deal trug sein übriges dazu bei, indem die türkische Regierung ihre Grenzen schließt und die von der EU abgewiesenen Geflüchteten in Camps einsperrt.

Dadurch wurde die Mittelmeerroute wiederbelebt, auf der die Geflüchteten von Nordafrika nach Italien gelangen wollen. Dieser Weg ist wesentlich gefährlicher, nicht nur aufgrund der Möglichkeit von Bootsunglücken. Denn die prekären Schiffe starten in Libyen, einem Land, das nach den imperialistischen Bombardements fragmentiert ist und sich in einer tiefen politischen Krise befindet. Dadurch haben es Mafias leicht, ihr Geld mit dem Menschenhandel zu verdienen. Es wird geschätzt, dass sie um die 400 Euro pro Person veranschlagen und zur Erhöhung der Gewinnmarge die erlaubten Passagierzahlen weit überschreiten, so dass viele der Personen im Frachtraum untergebracht werden. Das ist die Chronik eines angekündigten Mordes.

Nach der Schließung der Balkanroute wird es nicht mehr lange dauern, bis die EU eine ähnliche Lösung für Nordafrika finden wird. Schon im letzten Jahr wurde unter dem scheinheiligen Argument der Verhinderung von weiteren Unglücken ein Plan zur Militarisierung des Mittelmeers beschlossen, der bis zur Militärintervention an den libyschen Küsten reichte. Die verschiedenen Abkommen zur Rückführung, wie zwischen der Bundesregierung und den Mahgreb-Staaten oder der Khartoum-Prozess, sind Teil dieser Politik.

Der Zynismus dieser Ausrichtung geht soweit, dass der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi am Sonntag schon ankündigte, wie er diese neue Geflüchtetenwelle bekämpfen werde: „Es geht darum, dass Problem an der Wurzel zu bekämpfen, um zu verhindern, dass die Geflüchteten und Migranten aus ihren Ländern herauskommen“.

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