20.9.: Klimastreik und soziale Frage verbinden!

27.08.2019, Lesezeit 8 Min.
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Die Debatte über einen Klima-Generalstreik ist in vollem Gange. Dabei wird auch immer wieder gefragt, wofür überhaupt gestreikt werden soll. Klar ist: Damit die Gewerkschaften zum Streik aufrufen, muss auch ein großer Teil der Basis überzeugt werden. Zentrale Forderungen dafür sind eine radikale Arbeitszeitverkürzung und weitere soziale Forderungen.

Nachdem Joko Winterscheid vorschlug, dass sich alle am Klimastreik beteiligen sollten und sogar ver.di-Chef Frank Bsirske dazu aufrief, „auszustempeln“, nimmt die Debatte über einen Klima-Generalstreik in Deutschland immer mehr Fahrt auf. Dabei drängt sich die berechtigte Frage auf, wofür denn überhaupt am 20. September gestreikt werden soll.

Klar ist, dass Appelle an die Gewerkschaftsführung, zum Streik aufzurufen, allein nicht genügen. Es muss einen ausreichenden Druck von breiten Teilen der Gewerkschaftsbasis für die Forderung nach einem Generalstreik geben. Es geht darum, die Basis der Arbeiter*innenbewegung für die Erkenntnis zu gewinnen, dass ein politischer Streik zur Durchsetzung einer ökologischen Transformation notwendig ist – und dass es im ureigenen Interesse der Arbeiter*innenbewegung ist, diesen Kampf auszufechten. Dafür braucht es soziale Forderungen, die mit den Forderungen zum Klimastreik verbunden werden müssen. Es ist eine wichtige Aufgabe der Linken, diese Verbindung herzustellen.

Strukturwandel und Arbeitszeitverkürzung

Unter den zahlreichen konkreten und weitreichenden Forderungen, die wir aufstellen müssen, ist eine der wichtigsten eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Diese würde sowohl uns Arbeiter*innen helfen, als auch dem Klima. Dafür sollten wir am 20. September auf die Straße gehen.

Schon vor mehr als 100 Jahren war die Forderung nach dem Achtstundentag eine populäre Forderung und wurde innerhalb der Oktoberrevolution 1918 in Deutschland erkämpft. Es war ein Zugeständnis der Sozialdemokratie an die revolutionären Massen. In Deutschland wurde die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung – und zwar explizit im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft – zuletzt erneut bei der #fairWandel-Kundgebung der IG Metall am Brandenburger Tor mit 40.000 Teilnehmenden sichtbar. In diesem Falle ging es um eine Angleichung der Arbeitszeit in Ost und West auf 35 Stunden. Im Ostteil Deutschlands wird nämlich in der Metall- und Elektrobranche bisher 38 Stunden gearbeitet. Eine Angleichung der Arbeitszeit würde demnach einer Arbeitszeitverkürzung gleichkommen.

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei weitem noch nicht ausreichend. Denn obwohl die technische Entwicklung und damit auch die Arbeitsproduktivität in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht hat, ist die Arbeitszeit seit den 1920er Jahren nahezu konstant geblieben. Dies bedeutet, dass heute eine sehr radikale Arbeitszeitverkürzung erreicht werden könnte. Und dies gilt selbst innerhalb der Grenzen der chaotischen und irrationalen Produktionsweise des Kapitalismus, in der alles auf die Anhäufung der Profite der Bosse ausgerichtet ist, statt auf die Bedürfnisse der breiten Massen. In einer demokratischen, sozialistischen Planwirtschaft würden darüber hinaus überflüssige wirtschaftliche Sektoren wegfallen und die viel diskutierte Digitalisierung und Automatisierung nicht verdeckte Schlagwörter für harte Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse sein, sondern tatsächlich weniger Arbeit und mehr Freiheit bedeuten.

Die Steigerung der Arbeitsproduktivität der letzten Jahrzehnte vermehrte primär die Profite der weltweiten Klasse der Kapitalist*innen. Ein Teil der Arbeiter*innenklassen in den kapitalistischen Zentren wie in Deutschland wurde durch die Überschussprofite des Imperialismus mit einer relativen Verbesserung ihrer Lebensqualität abgespeist, während die breiten unterdrückten und arbeitenden Massen der Welt weiter in Armut und Krieg gezwungen sind. Die Folge ist also eine steigende soziale Ungleichheit – sie beträgt heute selbst allein in Deutschland so viel, wie zur Zeit des Kaiserreichs.

Eine umfassende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich würde nicht nur den Massen ein besseres Leben ermöglichen, sie würde gleichzeitig die maßlose Naturzerstörung eindämmen. Angesichts der Notwendigkeit, dass in den zentralen kapitalistischen Ländern die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren um circa 95 Prozent sinken müssen, müssen ganze verschmutzende Sektoren komplett herunter gefahren werden und nicht in allen Sektoren – wie im Bereich der Energieproduktion – entstehen viele neue Arbeitsplätze. Mit der berechtigten Angst der Kolleg*innen um ihren Lebensunterhalt machen reaktionäre Gewerkschaftsbürokratien wie die IG BCE Hand in Hand mit Konzernen wie RWE eine hetzerische Kampagne gegen den notwendigen Ausstieg aus der Kohlekraft. Aber zum Beispiel auch der individuelle Personenverkehr über private Autos wird noch drastisch sinken müssen. Dabei gibt es bereits jetzt eine sinkende Nachfrage bei Kraftfahrzeugen und Entlassungen in den Zulieferbetrieben der mächtigen deutschen Automobilwirtschaft.

Die Antwort auf diese Problematik ist eine doppelte: Zum Einen geht es natürlich darum, so viele Arbeitsplätze wie möglich durch eine radikale Umstrukturierung verschmutzender Wirtschaftssektoren hin zu emissionsarmen und erneuerbaren Energien und Produkten zu schaffen und zu retten, verbunden mit einer von den Bossen finanzierten Umschulung der betroffenen Kolleg*innen. Zum Anderen muss die Arbeitszeit radikal umverteilt werden: Im Kapitalismus arbeitet heute ein Teil der Menschen viel zu viel, viele Menschen können nicht so viel arbeiten wie sie müssten, um sicher zu überleben und eine große Masse der Menschen hat gar keine Arbeit. Einem Großteil der illegalisierten Menschen in Deutschland wird heute das Recht auf Arbeit verwehrt – die Gewerkschaften müssen sich für ihre entrechteten Kolleg*innen einsetzen und volle Staatsbürger*innenrechte für sie erkämpfen, auch das Recht auf Arbeit. Dabei sind viele von ihnen überhaupt erst aufgrund der durch den Imperialismus verursachten ökologischen Katastrophe in ihren Heimatländern hierher geflohen, wenn sie es denn lebend über die Grenzen geschafft haben.

So erhält die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich eine brandaktuelle Dimension, denn ohne sie ließe sich der Widerspruch nicht auflösen. So wird der notwendige wirtschaftliche Strukturwandel nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Auch dies war eine zentrale Forderung des #fairWandel Protests der IG Metall.

Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge

Die Reduktion der Arbeitszeit in Verbindung mit der Umverteilung der Arbeit ist angesichts der grassierenden Personalmangels in verschiedensten Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge eine sinnvolle Forderung. Neben der katastrophalen Situation im Bereich der Pflege, die durch die massive Schaffung neuer Stellen bei gleichzeitiger Entzerrung (statt immer weiterer Verdichtung) der Arbeitsbelastung überwunden werden könnte, lässt sich gerade die dringend benötigte Verkehrswende – hin zu einem Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs mit vielen hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen – als zentrales Element des Klimaprotests verstehen.

An diesem Beispiel zeigt sich: Die Arbeitszeitverkürzung ist Teil eines umfassenden Strukturwandels, der nicht auf Kosten der Beschäftigten vonstatten gehen darf. Es stellt sich die Frage: In was für einer Welt wollen wir leben? Eine Welt, in der unsere Zeit und Arbeitskraft und alle natürlichen Ressourcen dem Profitinteresse einiger weniger kapitalistischer Großkonzerne unterworfen sind? Oder eine Welt, in der eine ausreichende öffentliche Infrastruktur für alle Bereiche der Daseinsvorsorge existiert, organisiert nach den Bedürfnissen der Nutzer*innen und der Beschäftigten?

Diese Frage ist besonders wichtig, weil sie den irrationalen Charakter des Kapitalismus besonders gut entlarvt und uns bildlich aufzeigt, wie viel besser es den breiten Massen an Menschen von heute auf morgen gehen könnte – und wie wir sofortige Schritte im Klimaschutz einleiten könnten. Mit der Perspektive einer nachhaltigen Wirtschaft im Interesse der großen Mehrheit der Menschheit geht so notwendigerweise die Überwindung kapitalistischer Marktmechanismen einher, durchgesetzt durch die Verstaatlichung aller Schlüsselzweige der Industrie, der Energie, des Handels und des Verkehrs, verwaltet durch die Beschäftigten selbst und demokratisch kontrolliert von den Nutzer*innen.

Die gemachten Vorschläge wären ein großer Angriff auf die aktuelle Art des Wirtschaftens. Von dieser profitiert nur eine kleine Minderheit, hingegen käme eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit und eine Umorganisierung der Produktion der großen Mehrheit zugute. Wir alle würden von mehr Personal in der Pflege und im öffentlichen Nahverkehr profitieren und hätten alle mehr Zeit, um uns den schönen und angenehmen Dingen im Leben zu widmen. Daher lasst uns am 20. September diese alte Forderung der Arbeiter*innenbewegung aufgreifen und eine radikale Arbeitszeitverkürzung als Teil eines Strukturwandels im Sinne der großen Mehrheit der Bevölkerung fordern.

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