16 Jahre ohne Lohnerhöhung

27.09.2017, Lesezeit 4 Min.
1

Studentische Beschäftigte an Berlins Universitäten haben seit 2001 keine Lohnerhöhung bekommen. Heute haben sie ihren Tarifvertrag gekündigt. Damit sind Streiks ab dem 1. Januar möglich.

Als Yunus Özgür zum letzten Mal eine Lohnerhöhung bekam, gab es noch kein Facebook, keine Kanzlerin Merkel und kein Euro-Bargeld. Und das ist paradox, denn der 21jährige Student der Volkswirtschaftslehre hat seinen Job erst seit letztem Jahr. Als studentische Hilfskraft betreut er Austausch-Studierende an der Freien Universität Berlin. 10,98 Euro verdient er pro Stunde – bei 40 Stunden im Monat macht etwas 430 Euro netto.

Der Tarifvertrag für studentische Beschäftigte in Berlin wurde 2001 zum letzten Mal angepasst. Özgür verdient inzwischen real bis zu 35 Prozent weniger als seine Vorgänger*innen.

Das gilt für die 8.000 Hilfskräfte an allen Berliner Hochschulen. Theoretisch machen sie nur Aufgaben, die Lehre und Forschung unterstützen. Aber in der Praxis wird das sehr weit ausgelegt: Sie übernehmen Bürotätigkeiten, programmieren Websites, betreuen Infostände und erstellen Zeugnisse. „Teilweise sind die Anforderungen für diese Stellen sehr hoch“ sagt Özgür im Gespräch. Man muss zwei Sprachen können oder Erfahrung mit Statistik-Programmen haben. „Deswegen ist es lächerlich, dass die Hochschulen von ‚ungelernten Tätigkeiten‘ sprechen“.

Das sehen auch die Gewerkschaften ver.di und GEW so. Am Dienstag kündigten sie den „TV Stud“, also den Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, zum 31. Dezember. Damit sind Streiks am dem 1. Januar möglich. „Jetzt werden wir zeigen, dass wir es ernst meinen“, sagte die studentische Personalrätin Franziska Hamann-Wachtel in einer Erklärung. Umgekehrt ist aber auch möglich, dass die Universitäten ab dem 1. Januar Hilfskräfte zu noch schlechteren Bedingungen neu einstellen.

Die Gewerkschaften fordern 14 Euro pro Stunde – aber der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) hat zuletzt 12,13 Euro angeboten. Der wichtigste Knackpunkt ist, ob es im Tarifvertrag eine Anbindung an die allgemeine Lohnentwicklung an den Hochschulen gibt. Genauso fordern die Hilfskräfte eine angemessene Bezahlung für Vor- und Nachbereitung bei Tutorien – und sie wollen genauso viele Urlaubstage wie andere Unibeschäftigte.

Bis Redaktionsschluss hat der KAV auf eine schriftliche Anfrage nicht reagiert. In Juni erklärte Geschäftsführerin Claudia Pfeiffer:

Ein Stundenlohn von 12,13 Euro kann sich durchaus sehen lassen. Vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass ungelernte Arbeitskräfte wie beispielsweise Altenpflegehelfer einen Stundenlohn von 10,20 Euro bekommen.

Im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats heißt es, dass die Löhne der studentischen Beschäftigten mit den Lebenshaltungskosten Schritt halten sollten. Aber soll der Verfall der letzten 16 Jahre rückwirkend aufgeholt werden? Das bleibt im Vertragstext unklar. Auf einer Veranstaltung im Juni im Gewerkschaftshaus fragte ver.di-Sekretär Matthias Neiß bei Senator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) und Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) konkret nach – aber sie wollten nicht antworten.

Seit 2015 läuft die Kampagne „TV Stud“. Im Sommer haben die Betroffenen etliche Veranstaltungen an den Berliner Hochschulen, auch die „lange Nacht der Wissenschaft“, mit lautstarken Protesten gestört. Genauso haben sie sich mit streikenden Beschäftigten an den Berliner Krankenhäusern solidarisiert.

Die rund 30 Aktivisten haben lange darüber diskutiert, ob sie stark genug sind, um in den Streik zu treten. Die Organisation ist auch alles andere als einfach in einem Beruf, in dem die Kolleg*innen per Definition nach ein paar Jahren ausscheiden.

Doch die Organisierungs-Kampagne lief außerordentlich gut. Inzwischen sind knapp 2.000 Hilfskräfte Mitglieder bei den Gewerkschaften. „Ohne uns läuft hier gar nichts“ stand auf einem schwarzen Transparent – und angesichts der sturen Haltung der Hochschulen müssen sie das nun unter Beweis stellen. Anfang 2018, direkt nach den Weihnachtsferien, ist mit ersten Streiks zu rechnen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Neues Deutschland

Mehr zum Thema