Zerbricht die Union an der Geflüchtetenfrage?

25.06.2018, Lesezeit 7 Min.
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Der Asylstreit in der Union spitzt sich immer weiter zu. Gleichzeitig werden auch die transatlantischen Beziehungen zur USA von Trump immer stärker in Frage gestellt. Der Druck auf Merkel wächst, doch die Unterstützung für die langjährige Kanzlerin schrumpft. Ist die Koalition jetzt schon am Ende?

Es könnte die entscheidende Woche von Merkels Kanzlerinnenschaft werden: Am Donnerstag beginnt der EU-Gipfel, auf dem die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin eine Lösung im aktuellen Asylstreit erarbeiten will. Sie setzt auf eine „europäische“ Lösung, also auf einen Pakt mit Frankreich, Italien, Österreich und anderen EU-Staaten. Am gestrigen Sonntag hatte Merkel einen Vorbereitungsgipfel einberufen, der laut Medienberichten jedoch keinerlei konkrete Ergebnisse brachte.

Die CSU hält indes nichts von Merkels Plänen und scheint aktuell entschlossen zu sein, den angekündigten Alleingang in der Geflüchtetenfrage durchzuziehen. Geflüchtete sollen demnach direkt an der deutschen Grenzen wieder in die EU-Staaten zurückgeschickt werden, in denen sie zum ersten Mal registriert wurden. Dafür hat die bayerische CSU im letzten Monat sogar die Errichtung einer eigenen Grenzpolizei und eigener Asylzentren beschlossen. Die CSU will Tatsachen schaffen.

Horst Seehofer drohte vor wenigen Tagen sogar mit dem Ende der Koalition, wenn seine Forderungen auf dem EU-Gipfel nicht umgesetzt werden. Man werde es nicht bei symbolischen Akten belassen, sondern man müsse „effektiv zurückweisen“. Der bayerische CSU-Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer hat diese Politik in bester AfD-Rhetorik zuletzt auf den Punkt gebracht: Merkel müsse „weg“, äußerte sich der Minister auf einem Dorffest in Bayern.

Die Differenzen zwischen CSU und Merkel sind zwar nicht neu. Doch der Aufstieg rechter Regierungen in Europa ist ein Faktor, der Merkel um viele Verbündete in der EU beraubt, weshalb sie viel stärker unter Druck steht als in der Vergangenheit. Regierungen, die sich explizit mit einer Anti-Merkel-Linie in der Geflüchtetenpolitik aufgebaut haben, wie die österreichische Regierung, oder die jetzt bereits die Aufnahme von Geflüchteten schlichtweg verweigern, wie die ungarische Regierung von Viktor Orbán oder neuerdings die neu gewählte italienische Regierung aus Lega und 5-Sterne-Bewegung..

Die Drohungen der CSU sind dabei aber vielmehr Ausdruck der Krise der CSU in Bayern. Der CSU droht im Herbst der Verlust der absoluten Mehrheit bei den Landtagswahlen. Dennoch formieren sich längst nicht nur um die CSU, sondern auch rechte Teile der CDU gegen die Politik von Merkel. Der Druck auf die CSU kommt dabei vor allem von rechts, in der Geflüchtetenfrage endlich Tatsachen zu schaffen und sich nicht auf langwierige Verhandlungen auf EU-Ebene einzulassen. Dementsprechend kritisierte Markus Söder zuletzt auch die Verhandlungen zwischen Merkel und Macron über einen gemeinsamen EU-Haushalt, durch die sich Merkel die Zustimmung zu ihrer Migrationspolitik „erkaufen wolle“. Söder hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, dass Merkel beim Wahlkampf der CSU in Bayern nicht erwünscht ist.

Tatsächlich zeigt der Verlauf der Verhandlungen mit Macron den enormen Drucks von rechts in der Union, aber auch in der EU und nicht zuletzt durch Trump in den USA. Immerhin hatte sich Merkel lange skeptisch gezeigt gegenüber den Plänen von Macron für die EU. Dabei sind die Pläne, die Macron für den EU-Sondergipfel zur Migrationsfrage vorstellt, auch nicht weniger rassistisch. Er sieht einerseits die Einrichtung von Sammelstellen für Geflüchtete und andererseits eine noch stärkere Zusammenarbeit mit Drittstaaten bei der Abwehr von Geflüchteten vor.

Beziehungen zur USA

Doch nicht nur auf EU-Ebene weht Merkel ein rauer Wind entgegen. Auch Donald Trump hat sich mittlerweile auf die Kanzlerin eingeschossen und griff sie zuletzt sogar offen für die Geflüchtetenpolitik in der EU an. Gemeinsam mit den Strafzöllen auf Aluminium und Stahl aus der EU setzt Trump damit auf ein Kräftemessen zwischen der EU und den USA. Trump droht sogar mit Strafzöllen auf Autos aus der EU in Höhe von 20 Prozent als Antwort auf die „Vergeltungszölle“ der EU auf US-Produkte. Damit gerät Merkels Kurs der Vermittlung zwischen den USA und der Achse Russland-China unter den Bedingungen der Hegemonie der EU immer stärker ins Wanken.

Doch was Merkel und dem deutschen Kapital fehlt, ist der Plan B. Die Ausweitung von bilateralen Beziehungen zu China auf Bestreben von Merkel in den letzten Jahren, hat dem deutschen Kapital zwar einen wichtigen Absatzmarkt verschafft. Doch der chinesische Markt wächst zwar und versucht mittlerweile auch in hochentwickelten Sektoren mitzukämpfen. Doch er ist immer noch nicht groß genug, um den Markt in den USA zu ersetzen. Das strategische Problem der transatlantischen Beziehungen kann damit nur zeitweise überbrückt werden.

Bisher hatte Merkel hier für das deutsche Kapital gute Arbeit gemacht. Selbst der Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und den USA ist noch stabil auf einem hohen Niveau.

Doch die Strafzölle auf EU-Güter sind gerade erst in Kraft getreten. Die USA sind mit Abstand der wichtigste Handelspartner für Deutschland. Weitere Sanktionen und Vergeltungsmaßnahmen auf weitere Güter würden der deutschen Wirtschaft langfristig schaden. Das setzt auch Merkels Politik Grenzen. Grenzen, die ihre Legitimität gegenüber dem deutschen Kapital und auch gegenüber der eigenen Partei schwächen können, wenn die Handelsbeziehungen sich weiter verschlechtern.

Doch das deutsche Kapital hat momentan auch keine Alternative und hat somit noch keinen Grund, Merkels Abdanken zu beschleunigen. Die Politik der CSU oder des rechten Flügels der CDU ist auch nicht besser geeignet, den Handelskonflikt mit den USA beizulegen oder die Folgen abzumildern.

Das Ende von Merkel?

Dennoch formieren sich längst nicht nur um die CSU, sondern auch rechte Teile der CDU gegen die Politik von Merkel. Dieser Flügel fordert vor allem einen radikalen Kurswechsel in der Geflüchtetenpolitik und eine stärkere Militarisierung nach innen als bisher und bläst damit ins gleiche Rohr wie die CSU. Doch auch der Handelskrieg gegenüber den USA ist ein wichtiges Thema. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Joachim Pfeiffer im Bundestag warnte zuletzt vor einer Eskalation des Konflikts von Seiten der EU. Der rechte Flügel stellte sich im April offen hinter Jens Spahn, der vom Gesundheitsminister zum innerparteilichen Herausforderer von Merkel werden könnte. Unterstützung bekommt Spahn auch von der CSU, unter anderem von Alexander Dobrindt. Gegenwind gibt es also mittlerweile genug gegen die Politik von Merkel.

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass dieser Asylstreit die Union auseinander brechen lässt. Immerhin ist die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren massiv zurückgegangen. Auch ist es für das deutsche Kapital wohl weniger ein Problem, einen noch härteren Kurs gegen Geflüchtete zu akzeptieren. Immerhin hat die Zuwanderung von Hunderttausenden Menschen in den vergangenen Jahren dem deutschen Kapital bereits günstige Arbeitskräfte gesichert. Zudem ist das deutsche Kapital enorm internationalisiert, sodass der Mangel an günstigen Arbeitskräften aus dem Ausland aktuell wirklich nicht das zentrale Problem deutscher Unternehmen ist. Gleichzeitig dienen Geflüchtete aber weiterhin als Reservearmee, um den ständigen Druck auf den Niedriglohnsektor aufrechzuerhalten. Eine ständige Abschiebepraxis hilft dem Kapital dabei, die Kontrolle über diesen Sektor nicht zu verlieren. Doch was dem deutschen Kapital vor allem fehlt, sind hochspezialisierte Arbeitskräfte.

Viel zentraler sind die Europapolitik und die zukünftigen Beziehungen zu den USA. Merkels Kurs gegenüber den USA, den sie jahrelang in Kooperation mit Barack Obama durchziehen konnte, ist mit der Wahl von Trump zum Scheitern verurteilt. Auch die immer wiederkehrenden politischen Erdbeben von rechts in Europa schwächen die Legitimität der Kanzlerin auf EU-Ebene und in Deutschland selbst, sodass sie selbst zu Konzessionen gegenüber Frankreich gezwungen ist. Auch wenn Merkel in diesen Fragen bisher noch relativ gut die Interessen des deutschen Kapitals vertritt, werden die Folgen des Rechtsrucks wohl auch Merkels Kanzlerinnenschaft beendet und die Union noch weiter nach rechts ziehen.

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