Wisst ihr überhaupt, was mit Geflüchteten passiert?

22.04.2018, Lesezeit 7 Min.
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Der Aufschrei über die Novellierungen des Polizeiaufgabengesetzes ist groß. Der wirkliche Skandal dabei ist jedoch der Rassismus, der in den neuen Gesetzeszeilen steckt. Geflüchtete werden täglich damit konfrontiert. Vor allem für sie sind diese Gesetze eine Bedrohung.

Es ist nicht das erste Mal, dass Geflüchtete von Gesetzesverschärfungen betroffen sind. Eine Konsequenz des deutschen Rechtsrucks. Ein permanentes, planmäßiges Projekt, das gewaltsam vorangetrieben wird. Der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Unantastbar ist allerdings das Privateigentum, und die kapitalistische Klasse, die es im Besitz hat. Die neuen, in Bayern zur Abstimmung gestellten Gesetze, drücken die Aggressivität des Staates gegen die Unterdrückten aus. Nicht, dass diese Aggressivität nicht ohnehin schon zum Alltag geworden ist. Denn seien wir ehrlich, in der Theorie dieser Gesetzgebung sieht alles viel harmloser aus als in der Praxis.

Geflüchtete: Meistgehasste Gruppe in den Augen des Staates

Die Politik der GroKo bedeutet für Millionen von Menschen eine reale Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse. Die Koalition und ihre Parteien sind seit Jahren dafür verantwortlich, dass sich die Gegensätze verschärfen: sei es Hartz IV, Waffenexporte, Asylpaket I bis III oder die Privatisierungswelle. In der sich verschärfenden sozialen Auseinandersetzung will uns der Staat jetzt weismachen, dass Geflüchtete eine Belastung sind. Arbeitslosigkeit? Die Geflüchteten nehmen euch die einfachen Jobs weg. Terrorismus? Die Geflüchteten sind alles Islamisten. Sexismus? Die deutschen Männer sind heilig, das Oktoberfest ist das Fest der Gleichberechtigung. Rassismus: es gibt keine willkürliche Kontrolle in Bahnhöfen und anderen Orten, niemand wird hier rassistisch diskriminiert. Fehlender günstiger Wohnungsbau? Die Geflüchteten haben zwei Millionen leerstehende Luxuswohnungen besetzt und die guten Bürger*innen müssen in alten Kasernen wohnen. Kriminalität? Gab’s vorher noch nie. Deutschkurse? Kriegen sie nur von Germanistik-Professor*innen.

Joachim Herrmann echauffierte sich diese Woche über angeblich fehlende Manieren bei Geflüchteten, über deren fehlende Dankbarkeit gegenüber Deutschland. Aber wofür sollen sie dankbar sein? Sie müssen nicht dankbar sein für Bomben auf ihre Häuser, für Umweltzerstörungen durch imperialistischen Raubbau. Sie müssen nicht dankbar sein für die Zerstörung ihrer eigenen Infrastrukturen im Namen des deutschen Exports. Sie müssen nicht dankbar sein für die deutsche Unterstützung von Despoten, für Folterwerkzeuge aus deutscher Produktion.

Wenn etwas in dieser Welt legitim ist, dann ist es der Widerstand der Geflüchteten gegen die Zustände, unter denen sie leben müssen. Egal wo. Nein, Geflüchtete leben wahrlich nicht in einem Schlaraffenland. Sie sind hier, um zu überleben. Und nehmen alles dafür in Kauf. Bei der Abstimmung über eben jene neuen Gesetzesverschärfungen im bayerischen Landtag Mitte Mai werden es wiederum die Geflüchtete sein, denen der Angriff zuallererst gilt. Sie und alle Menschen mit Migrationshintergrund.

Asylunterkünfte sind seit dem sogenannten bayerischen Integrationsgesetz als gefährliche Orte ausgewiesen. Das ermöglicht den Behörden eine Grundlage für ständige Repressionsmaßnahmen gegen die dort untergebrachten Menschen. Durch die Erweiterungen des Gefährdergesetzes gelten Geflüchtete auf Grund ihres rechtlichen Status im Vorhinein schon als Gefährder*innen. Mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz kommt nun noch ein weiterer Aspekt hinzu: die Aufenthaltsverbote. Dieses Zusammenspiel der Gesetze führt de facto dazu, dass die Unterkünfte der Geflüchteten im praktischen Sinne Gefängnisse sind.

Die Abschiebungen der letzten Jahre waren von einer gewissen Willkür geprägt. Darunter beispielsweise die Abschiebung einer kosovarischen Frau aus einem bayerischen Frauenhaus heraus. Mit dem neuen PAG sollen nun weitere Hürden für massenhafte Abschiebungen aus dem Weg geräumt werden. Markus Söder hat diese Woche schon angekündigt, dass die Abschiebepraxis professionalisiert werden muss. Das Abschiebelager in Hof soll daher schon 2019 fertiggestellt sein. Es ist an die örtliche JVA angegliedert und soll für bis zu 150 Menschen der letzte Ort werden, an dem sie sich in Deutschland aufhalten dürfen. Abschiebelager werden also aus dem Boden gestampft, während hunderttausende Menschen keine Wohnungen finden.

Als ob dadurch der rassistische Charakter der Gesetze nicht schon genug Ausdruck findet, wird der Polizei eine Praxis eröffnet, jede*n zu kriminalisieren, die*der dem äußeren Anschein nach nicht in ein bestimmtes Weltbild passt. Jede*n zu kriminalisieren, deren*dessen Aussehen, besonders aber auch deren*dessen phänotypische Eigenschaften nicht dem entsprechen, was idealtypisch als deutsch definiert wird.

Kämpfe vereinen

Die Kontinuität der Gesetzesverschärfungen hat einen objektiven Grund. Seit 2012 haben die Proteste von Non-Citizens im Vergleich zu den vorherigen Geflüchtetenprotesten keine marginalisierte Form und Charakter mehr. Insbesondere in Bayern haben diese stigmatisierten Gruppen von Menschen auf Grund ihrer prekären, nicht menschenwürdigen Lebensbedingungen mit ihrer eigenen Theorie und Praxis viele Jugendliche politisiert und organisiert. Viele Schüler*innen, Student*innen und Intellektuelle waren von den neuen Protestwellen inspiriert. Ein analoger Fall dazu war und ist die prokurdische Bewegung: zahlreiche Feminist*innen und progressive Menschen sind sowohl von der kurdischen Frauenbewegung als auch vom Gesellschaftsmodell Rojavas fasziniert.

Die Antwort des deutschen Staates: Kriminalisierung. Sei es mittels Verboten kurdischer Symbole oder der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis politisch aktiver Geflüchteter. Der Staat musste gemäß seinem repressiven Charakter die Initiative ergreifen, da er nach Lenins Definition eine besondere Machtorganisation, eine Organisation der Gewalt zur Unterdrückung einer Klasse ist. Der Straßenkampf verbindet alle Teile der Unterdrückten. Um ein praktisches Beispiel zu nennen: Als im Oktober 2016 die Gewerkschaften, linken und zivilgesellschaftlichen Organisationen gemeinsam mit Geflüchteten demonstriert haben, um das bayrische Integrationsgesetz zu stoppen, hat setzte die Polizei massiv Knüppel und Pfefferspray ein, um die Demo zu spalten.

Und die CSU hört damit nicht auf. Mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PKHG) werden in Zukunft psychisch kranke Menschen als Gefährder*innen stigmatisiert. Auch dieses Gesetz betrifft Geflüchtete mehr als alle anderen. Besonders geflüchtete Frauen. Jede*r zweite Geflüchtete in Deutschland hat in der Heimat oder auf der Flucht traumatische Erfahrungen gemacht. Ob Krieg, Mord oder andere Formen der Gewalt – Depressionen, Panikattacken und Angstzustände sind Folgen davon. Hinzu kommt das Leben in der Isolation der Lager, Angst vor Abschiebung oder die Trennung von ihren Familien. Das macht eine psychiatrische Behandlung notwendig.

Wird also das PAG im Mai und später das PKHG verabschiedet, muss mit einer neuen Intensivität der Angriffe, der Abschiebungen und der Kriminalisierung gerechnet werden. Im Alltag bedeutet das die Demobilisierung bei Protesten und eine weitere gesellschaftliche Isolierung der Menschen, die die Erhebung ihrer Stimme als existenzielle Notwendigkeit betrachten.

Jeglicher Protest dagegen ist legitim, ja unerlässlich. Alle Kräfte müssen in den nächsten Wochen aufgebracht werden. Der breite Unmut über diese Gesetzesverschärfungen gibt uns Raum zum Handeln. Gleichzeitig müssen wir immer und immer wieder ganz klar darauf hinweisen: diese Gesetze sind rassistisch motiviert. Sie sind die Antwort der CSU auf den Rechtsruck. Was die AfD lauthals schreit, setzt die CSU um. Alle Bündnisse gegen das PAG und das PKHG haben die Pflicht, Geflüchtete und Migrant*innen als zentralen Teil ihres Protests zu begreifen.

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