Wird Irland zum Brexitkiller?

11.12.2017, Lesezeit 6 Min.
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In der letzten Woche präsentierten Theresa May und Jean-Claude Juncker eine erste Einigung bei den Verhandlungen über den Brexit. Zentraler Streitpunkt war und ist weiterhin die Stellung Nordirlands und die Grenze zur Republik Irland sowie das Verhältnis Großbritanniens zur EU.

Täglich pendeln zehntausende Menschen über die Grenze zwischen Nordirland und Irland. Keine Grenzposten, keine Kontrollen – einzig allein an den Straßenschildern erkennt man, dass man gerade das Land gewechselt hat. Mit dem Brexit kam auch die Angst nach dem erneuten Aufbau einer „harten Grenze“ zwischen beiden Länder, die erhöhte Einfuhrzölle und neue Transitvereinbarungen nötig machen würde. Ein Zustand, der sowohl für das britische als auch das irische Kapital Nachteile mit sich bringen würde.

Vor diesem Hintergrund zeigten sich alle Seiten vorerst zufrieden, mit der Einigung, die am Freitag präsentiert wurde. Diese beinhaltet neben der Sicherung politischer Rechte für Nicht-EU-Bürger*innen in Großbritannien, auch einen Sonderstatus für Nordirland. Das Land soll demnach einen besonderen Status erhalten, damit weiter die Regelung der EU angewandt werden können. Das heißt in erster Linie: Es soll weiterhin keine bewachte und gesicherte Grenze zwischen Nordirland und Irland geben. Weiterhin wollen Großbritannien und die EU eine Art Freihandelsabkommen abschließen.

So sehr diese Einigung auch gefeiert wurde, wird sie vor allem von rechten Unionist*innen kritisiert. Die Democratic Unionist Party (DUP), regierende Partei in Nordirland und Flaggschiff von Theresa May in der Region, warnt davor, dass der Sonderstatus Nordirlands faktisch eine politische Annäherung an die Republik Irland bedeuten könnte. Laut ihrer Befürchtung könnte ein Sonderstatus für die Region die Grenze in die Irische See verschieben und damit das Vereinigte Königreich spalten. Dementsprechend beinhaltet die Einigung auch die Absicht, dass britisches Kapital weiterhin ungehindert auf Nordirland zugreifen können muss. Auch das Karfreitagabkommen von 1998, das im Endeffekt den Eunfluss der Londoner Regierung auf Nordirland sichert, soll im Grunde nicht angetastet werden. Ironischerweise beruft sich die DUP genau auf dieses Abkommen, welches sie 1998 noch abgelehnt hatte.

Dennoch könnte der Brexit ungewollt eine Annäherung von Irland und Nordirland vorantreiben. Im Mai stimmten die EU-Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen sogar dem Vorschlag Irlands zu, dass Nordirland nach dem Brexit automatisch Teil der EU werden könnte, wenn die Bevölkerung in einem Referendum für die Eingliederung in die Republik Irland stimmt. Im Brexit-Referendum hatte sich die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung bereits gegen den Austritt aus der EU ausgesprochen. Auch wenn es aktuell kaum Ansätze für eine solche Bewegung für die Wiedervereinigung gibt, könnten die sozialen und politischen Spannungen durch den Brexit diese Entwicklung in den nächsten Jahren wieder verstärken und auch auf andere Teile des Vereinigten Königreiches übergreifen. Eine Entwicklung, die die Londoner Regierung aber sicher mit allen Mitteln verhindern will – wäre es doch die größte Infragestellung der britischen Monarchie seit Jahrzehnten.

Abhängigkeit Irlands von der EU und Großbritannien

Besonders die irische Regierung hat sich massiv für eine Einigung stark gemacht und sogar damit gedroht, die Verhandlungen in der EU platzen lassen, falls keine Klarheiten über die Bedingungen erzielt werden könnten, unter denen das Vereinigte Königreich die EU verlässt. Irland ist selbst wirtschaftlich abhängig von Exporten nach Großbritannien und Nordirland, welches nach den USA mit Abstand der zweitgrößte Abnehmer irischer Waren ist. Überhaupt exportiert Irland einen Großteil seiner Waren in die EU und nutzt dabei Großbritannien als Transitland. Die größte Regierungsagentur Enterprise Ireland hat bereits „Notfallpläne“ für kleine Unternehmen veröffentlicht, wie sie trotz Brexit ihre Gewinne sichern können. Seit der Weltwirtschaftskrise erlebt die irische Wirtschaft einen Aufschwung, von dem vor allem auch nordirische Firmen profitieren.

Doch dieser Aufschwung wurde vor allem auf dem Rücken der lohnabhängigen Bevölkerung Irlands erkauft. Die Spardiktate der EU führten zu Kürzungen im öffentlichen Sektor und zu einer Erwerbslosigkeit, die offiziell auf 15 Prozentpunkte anstieg. Die Erwerbslosenquote ist zwar mittlerweile wieder auf sechs Prozentpunkte gefallen, die Anzahl an Minijobs und sonstiger prekärer Beschäftigung ist jedoch angestiegen. Besonders Jugendliche sind bis heute in Irland von Perspektivlosigkeit, miesen Jobs und dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum betroffen. Während der Krise haben durchschnittlich 100 Menschen pro Tag, vor allem Jugendliche unter 25 Jahren, die Insel verlassen. Der Anteil an psychischen Erkrankungen ist um mehr als 100 Prozentpunkte seit dem Ausbruch der Krise angestiegen. Betroffen davon sind überschnittlich viele junge Frauen und LGBTI*, die bis heute einer repressiven Anti-Abtreibungspolitik in Irland betroffen sind.

Eine mögliche neue Krise der irischen Wirtschaft könnte die Lage für die arbeitende Klasse und die unteren Teile der Kleinbourgeoisie weiter verschärfen. Denn für die Krise der Kapitalist*innen zahlen nicht die Kapitalist*innen selbst, sondern leider meistens Arbeiter*innen und Jugendliche.

Londons Isolation

Die Regierung, die all diese Spardiktate im Sinne der europäischen Union in Irland umgesetzt hat, erfreut sich nun erneut einer breiten Unterstützung aller EU-Staaten. Mittlerweile mehren sich im Vereinigten Königreich die Stimmen, den Brexit doch nicht so „hart“ werden zu lassen, wie am Anfang diskutiert. Sogar über das Rückgängigmachen des Brexits wird mittlerweile spekuliert. Auch wenn rechte Brexit-Hardliner aktuell die Kräfteverhältnisse auf ihrer Seite haben, drückt sich in den aktuellen Diskussionen doch die Crux des ganzen Aus. Einerseits wird der Austritt aus der EU gewünscht, doch auf der anderen Seite hat das britische Kapital kein Interesse daran, ihre Vorteile aus dem Freihandel einfach so aufzugeben. Viele britische Firmen und Banken haben bereits angedroht, im Zweifel mit den Füßen abzustimmen und ihren Sitz von London in andere Staaten zu verlegen.

Die Entscheidung des Brexits könnte London somit noch weiter isolieren, als zuvor schon. Gleichzeitig könnte eine mögliche Abschwächung des Brexit durch den angekündigten Sonderstatus für Nordirland und ein Freihandelsabkommen mit der EU, die EU als imperialistisches Projekt wieder stärken. Denn es würde eins zeigen: Selbst der größte Kritiker der EU, kann nicht einfach auf die Zollunion verzichten. Im Falle des Scheiterns eines solchen Freihandelsabkommens beinhaltet die bisherige Einigung im Übrigen die volle Anwendung der Regeln der EU-Zollunion, bis ein solches Abkommen geschlossen ist. Diese Einigung ist zwar rechtlich nicht bindend. Jedoch ist wohl kaum davon auszugehen, dass sie sich die EU oder Irland in den weiteren Verhandlungsrunden auf eine große Abweichung in dieser Frage einlassen werden.

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