„Wir müssen Feminismus und den Kampf gegen Prekarisierung zusammenführen“

03.05.2018, Lesezeit 5 Min.
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Am 4. Mai treten die studentischen Beschäftigten Berlins erneut in den Streik und demonstrieren gemeinsam mit Kolleg*innen anderer Berliner Betriebe. Ein Interview mit Sophie Obinger, Feministin und TVStud-Aktivistin, über den aktuellen Stand des Kampfes, und warum Feminismus und Arbeitskampf zusammengehören.

Nach weiteren gescheiterten Verhandlungen mit den Berliner Hochschulen gibt es am Freitag einen TVStud-Streik- und Aktionstag. Welches Zeichen wollt ihr dort setzen?

Das letzte Angebot der Unis beinhaltet eine Dynamisierung, nach welcher wir ab 2023 einen Lohn von 13,04 € bekommen sollen. Im Vergleich zum vorherigen Angebot bedeutet das konkret einen Cent mehr ab 2023 und ist somit ein Witz. Nach wie vor gibt es keine materielle Anbindung an den TV-L, der weitere 17 Jahre Lohnstillstand verhindern soll. Zudem bieten sie uns weiterhin nur 12,13 € ab 2018, während die TU ihren Beschäftigten seit Anfang des Jahres bereits 12,50 € zahlt. Kurz: Sie lassen uns keine andere Wahl als weiterzustreiken. Der Streik am Freitag wird der Auftakt für weitere Streiktage sein, die bald folgen werden. Wir wollen am 4. Mai gemeinsam mit der VSG, den Musikschullehrer*innen und VHS-Dozent*innen sowie weiteren Gruppen ein Zeichen gegen Prekarisierung setzen, denn wir sind von den gleichen strukturellen Problemen betroffen!

Vergangene Woche hast du auf einer Veranstaltung über den Zusammenhang von Prekarisierung und Abtreibung gesprochen. Dort hast du dafür plädiert, Streiks feministischer zu gestalten. Ist dieser gemeinsame Streiktag mit Beschäftigten anderer Berliner Betriebe auch feministisch?

Die Veranstaltung hat gezeigt, dass es notwendig ist, das Thema Prekarisierung auch bei aktuellen feministischen Debatten zu verankern. Aktuell sehen wir in Deutschland vor allem liberale und neoliberale feministische Bestrebungen. Diese sind aber zum Scheitern verurteilt, weil sie hauptsächlich darauf abzielen, eh schon privilegierte und insbesondere weiße Frauen noch mehr zu stärken, und nicht daran interessiert sind, sich gegen Prekarisierung und für Arbeiterinnen einzusetzen. Die Veranstaltung hat die Notwendigkeit gezeigt, schlechte Arbeitsbedingungen und allgemein ökonomische Themen wieder stärker in feministischen Debatten zu verankern. Da gibt es auch ein großes Potenzial von Organisierung, besonders auch von jungen Frauen. Das müssen wir stärken.

Dabei ist es wichtig, dass wir Frauen Streiks als mögliche Aktionsform wieder stärker in den Fokus nehmen – auch als Mittel zur Einforderung unserer politischen Rechte, wie das Recht auf Abtreibung. Und wie wir in der Veranstaltung schon gesagt haben, ist Abtreibung eine Angelegenheit der körperlichen und seelischen Unversehrtheit von Frauen und somit eine Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit. Und dort kommt es eben darauf an, die dort arbeitenden Sektoren zu stärken, wie zum Beispiel Krankenhaus- und Pflegepersonal, das auch überwiegend weiblich ist.

Der Streiktag am Freitag an sich ist noch nicht feministisch, aber wir müssen ihn feministisch gestalten. Feminismus bedeutet einen Kampf gegen Unterdrückung, und unser Kampf gegen Prekarisierung ist auch ein solcher Kampf, der in großem Maße von Frauen getragen wird. Diese müssen aber in den Kämpfen noch sichtbarer gemacht werden. Häufig sind selbst in gewerkschaftlichen Kämpfen Frauen nicht ausreichend repräsentiert, zum Beispiel in den Tarifkommissionen. Das ist auch Resultat struktureller Bedingungen, da Frauen einer doppelten Belastung ausgesetzt sind: der Lohnarbeit, und unbezahlter Hausarbeit und Kindererziehung. Das erschwert auch das politische Engagement oder das Wahrnehmen von ehrenamtlichen Positionen wie zum Beispiel in Tarifkommissionen.

Deswegen ist es wichtig, Streiks und Arbeitskämpfe feministisch zu gestalten, weil das eben auch bedeutet, sie gleichberechtigt, transparent, basisdemokratisch und auch inklusiv zu führen. Dazu gehört auch, die besondere Situation von prekär beschäftigten Frauen zu beachten, nämlich, dass es für sie aufgrund dieser Doppelbelastung schwieriger ist, sich zu engagieren. Das muss debattiert und ermöglicht werden.

Welche Perspektive siehst du für die Zusammenführung der Kämpfe gegen Prekarisierung und für das Recht auf Abtreibung? Was müssen deiner Meinung nach die nächsten Schritte sein?

Die Kämpfe gegen Unterdrückung müssen zusammengeführt werden, weil die Probleme aus den gleichen strukturellen Bedingungen hervorgehen. Es muss berücksichtigt werden, dass für prekär beschäftigte Frauen und insbesondere für migrantische Frauen die Situation nicht dieselbe ist wie für prekär beschäftigte Männer. Deshalb bedeutet eine geschlechtersensible Führung der Arbeitskämpfe gerade eine Stärkung der Arbeitskämpfe. Und umgekehrt bedeutet eine stärkere Thematisierung von Prekarisierung im Feminismus auch eine Stärkung des Feminismus.

Wir haben ja in der Veranstaltung darüber diskutiert, dass Prekarisierung und Sexismus sich gegenseitig stärken, und deshalb müssen wir im Gegenzug Feminismus und den Kampf gegen Prekarisierung zusammenführen.

Dazu gehört, politischen Druck zu erzeugen, uns nicht darauf zu verlassen, dass irgendwelche Versprechen eingehalten werden, uns zu mobilisieren und uns auf der Straße mit verschiedenen Kämpfen zu solidarisieren.

Beispielsweise zeigt der Rückzug des Gesetzentwurfs zur Streichung von §219a durch die SPD-Führung, dass nur weil jetzt die neue Parteivorsitzende der SPD eine Frau ist, sie sich nicht für mehr Frauenrechte einsetzen wird. Deshalb müssen wir – gemeinsam mit allen Frauen und Männern, die sich gerade im Kampf befinden – auf der Straße politischen Druck auf die SPD-Führung aufbauen. Wir dürfen uns nicht auf einen Feminismus verlassen, der sich auf Hinterzimmerdiplomatie verlässt und den am Ende nur die Rechte von eh schon privilegierten Frauen interessieren.

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