Wie gewinnen wir den Kampf um Wohnraum?

27.08.2020, Lesezeit 7 Min.
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Bild: Symbolbild

Der Reformismus verrät die Kämpfe seiner Basis. Wir brauchen eine unabhängige Organisierung, um den Mietendeckel und die Enteignung großer Immobilienkonzerne durchzusetzen.

Wohnraum war schon vor der Krise kaum bezahlbar. Mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit ist es fast unmöglich geworden eine Wohnung zu finden. Für die 5000 Arbeiter*innen bei Karstadt, welche durch die Schließung in die Arbeitslosigkeit rutschen, wird der Wohnungsmarkt zum Albtraum.

Aufgrund der offensichtlichen Ungerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt konnte die Mietenbewegung eine breite Basis für ihre Ziele gewinnen. Nachdem das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin erfolgreich die erste Hürde genommen hatte und die Forderung nach Enteignungen in aller Munde war, sah sich der rot-rot-grüne Senat gezwungen Zugeständnisse zu machen. Mit dem Mietendeckel präsentierte die Stadt Berlin im Februar dann einen bemerkenswerten Kompromiss. Die Mietverträge werden in Berlin gedeckelt und überteuerte Mieten können zurückgefordert werden. Der Mietendeckel kann als ein Zwischenerfolg der Mietenbewegung und der Basis von R2G gewertet werden.

Der Kompromiss geht dem Immobilienkapital allerdings zu weit. Mit aller Macht machen Vermieter*innen und deren Lobbyorganisationen gegen den Berliner Mietendeckel mobil. FDP und CDU unterstützen die Anliegen der Konzerne. Sie reichten eine Normenkontrollklage gegen den Mietendeckel beim Bundesverfassungsgericht ein. Nachdem der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Juli eine Klage auf Zulassung des Volksbegehrens „Sechs Jahre Mietenstopp“ abgewiesen hat, hoffen die Vermieter*innen darauf, dass das Bundesverfassungsgericht auch den Berliner Mietendeckel kippen könnte.

Gestärkt durch die jüngsten Urteile erhöhen Immobilienkonzerne den Druck auf die Mieter*innen. Laut einem Bericht des Hamburger Immobilienspezialist „F und B“ entwickelte sich seit der Einführung des Mietendeckels ein zweigeteilter Mietenmarkt mit Schattenmieten. Dabei werden in Mietverträgen gleich zwei Beträge aufgeführt. Zum einen zeichnen sie den Mietpreis aus, sollte der Mietendeckel auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Zum anderen beziffern sie den Preis der Wohnungen ohne die Deckelung. Diese werden in entsprechenden Annoncen separat ausgewiesen, verbunden mit dem Hinweis, dass sich der Vermieter die rückwirkende Nachforderung der Differenz vorbehält, sollte sich die Verfassungswidrigkeit der ersteren erweisen. Dieser Regelung muss dann im Mietvertrag zugestimmt werden. Der Angriff ist besonders perfide, wenn wir uns die Mietpreisspanne ansehen. Die aktuelle gedeckelte Durchschnittsmiete in Berlin liegt bei 7,05 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittliche Marktmiete liegt hingegen mit 13,63 Euro pro Quadratmeter fast doppelt so hoch. Je länger sich die Entscheidung hinzieht, umso größer sind die drohenden Nachforderungen, die auf die Berliner Neumieter*innen zukommen können. Für viele Mieter*innen kann dies den Bankrott und die Wohnungslosigkeit bedeuten. Auch der Mieterverein Berlin hält diese Schattenmieten weder nach dem Mietendeckelgesetz noch nach AGB-Recht für zulässig. Die Kapitalist*innen versuchen damit den Mietendeckel zu umgehen und weiter die maximalen Profitraten zu erwirtschaften.

Unlösbarer Widerspruch des Reformismus

Die Angriffe zeigen, dass die Interessen des Kapitals nicht vereinbar sind mit denen der Mieter*innen. Die Führungen der Regierungsparteien versuchen dabei eine vermittelnde Position einzunehmen und geraten selbst in einen unlösbaren Widerspruch. Anstatt gegen die Angriffe zu mobilisieren, geben sie die Verantwortung an das Verfassungsgericht ab. Wie das ausgehen kann zeigte sich vergangene Woche bei der Räumung des Syndikats in Berlin. Die Regierung erwies sich als Handlanger des Kapitals und räumte nach einem Gerichtsurteil mit einem Großaufgebot eine Kiezkneipe in Neukölln. Im Nachgang entschuldigte sich die Linkspartei für den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz und schob die Verantwortung auf den Koalitionspartner SPD und auf die Justiz. Dieses Manöver offenbarte den Widerspruch zwischen Parteiführung und Basis. Die Basis kämpft seit Jahren gegen den Ausverkauf der Stadt, während die Führung im Dienst einer Briefkastenfirma die Räumung durchsetzt.

Um ihr Handeln vor der Basis zu rechtfertigen, beruft sich R2G auf das Urteil des Landgericht Berlin. Die Richterin erklärte die Kündigung der Eigentümerin für wirksam und forderte das Kollektiv auf, die Räume zu verlassen. Warum sollten wir uns auf solche Urteile verlassen? Die Aufgabe der Gerichte in einer bürgerlichen Gesellschaft ist unter anderem der Schutz des Privateigentums. Die Interessen der Mieter*innen können dagegen nur auf der Straße und durch politische Streiks durchgesetzt werden. Dies zeigt einmal mehr in welche Sackgasse die linke Koalition geraten ist. Anstatt gegen die Interessen der William Pears Group und anderer Spekulanten zu Protesten und Streiks aufzurufen, schicken sie ein Großaufgebot der Polizei um die Räumung gegen jeden Widerstand durchzusetzen. In ihrer Position als vermittelnde Instanz verraten sie nicht nur ihre Basis, sie lassen diese im Dienst des Kapitals niederknüppeln.

Auch bei den gegenwärtigen Arbeitskämpfen können wir Ähnliches beobachten. Die reformistischen Parteien und die Gewerkschaftsbürokratie halten große Reden und stellen sich demonstrativ hinter die Beschäftigten der Krankenhäuser. Aber nicht um ihre Kämpfe gegen Entlassungen zu unterstützen, sondern um sie in die Arme der Bosse zu stoßen. Seit letzter Woche Mittwoch befinden sich die Beschäftigten der CFM in Berlin erneut im Warnstreik, weil die Charité plant weitere Bereiche an eine Fremdfirma auszugliedern. Die Verantwortung dafür trägt der rot-rot-grüne Senat weil er sich weigert mehr Geld für die Krankenhäuser auszugeben. Die ver.di-Führung führt solche Kämpfe dagegen leider nur mit angezogener Handbremse. Besonders auf Druck der Belegschaft der CFM, gehen die Streiks weiter. Eine Zusammenführung mit anderen Töchtern der Charité und dem Mutterkonzernen findet aber weiterhin nicht statt. In anderen Sektoren verzichtet die Gewerkschaftsführung fast vollständig auf den Kampf. Aktuell zeigt sich das besonders eindrücklich beim Ausverkauf von Galeria Karstadt Kaufhof, der bundesweit zu Entlassungen führen wird. Die ver.di-Führung ruft zwar zu kleinen Aktionen auf, wirklich wirksame Streiks von allen Beschäftigten gibt es aber nicht.

Rot-rot-grün hat durch die Räumung des Syndikats und durch die Schließungen bei Karstadt Vertrauen eingebüßt. Ihr großes Versprechen die Sozialpartnerschaft zu erneuern erweist sich als eine ungleiche Beziehung, in der sich die erzielten Kompromisse häufig als Niederlagen für die Beschäftigten herausstellen. Ein Schicksal, was auch mit dem Mietendeckel drohen könnte, sollte er vor Gericht scheitern und wenn er nicht offensiv verteidigt wird. Wir können keine Hoffnung in reformistische Regierungen stecken. Das verlorene Vertrauen muss in eine unabhängige Organisierung transformiert werden. Um unsere Forderungen durchzusetzen brauchen wir eine linke, antibürokratische Strömung in den Gewerkschaften, die mit Streiks um die politische Führung kämpft. Nur wenn wir den Reformismus und die Bürokratie herausfordern, können wir die Kämpfe ausweiten. Mit einer breiten Front aus Arbeiter*innen und der prekären Jugend können wir Entlassungen verhindern und die Vergesellschaftung von Wohnraum durchsetzen.

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