Wie der Rechtsruck der letzten Monate mit der Hetze gegen Palästinänser:innen zusammenhängt

04.11.2023, Lesezeit 8 Min.
1
Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Bild: Alexander H. Jungmann / shutterstock.com

Nach den Landtagswahlen in Bayern mit einem Rekordergebnis für rechte Parteien setzt die Bundesregierung den Rechtsruck weiter fort. Wie können wir uns als Studierende wehren? Wir veröffentlichen einen Debattenbeitrag, gehalten auf der Versammlung am Institut für Soziologie der LMU München.

„Wir müssen endlich in großem Stil abschieben!“ So titelte das Magazin der Spiegel vor über einer Woche auf der Vorderseite der Ausgabe, groß im Hintergrund das verfinsterte Gesicht von unserem Bundeskanzler, Olaf Scholz. Mittlerweile hat Verteidigungsminister Boris Pistorius angekündigt, wir müssten uns wieder an Krieg gewöhnen. Wie es so weit kommen konnte, welche Rolle die bayerischen Landtagswahlen dabei spielen und wie wir als Studierende und Jugend davon betroffen sind, das möchte ich in einem kurzen Input erläutern.

Einige werden die große bayerische politische Bühne in den letzten Monaten verfolgt haben, sie war gespickt von Söders Bierzeltauftritten, dem Aiwanger-Skandal um seiner Nazi-Jugend, der Diskussion um die sogenannte „Brandmauer“ gegen rechts und den hilflosen sozialen Appellen der SPD, die ihnen seit der Agenda 2010 eh keiner mehr abkauft. Die Grünen waren eigentlich durchweg in der Defensive, sie waren der Hauptgegner der CSU und konnten keine eigenen Themen setzen. Eine „Verbotspartei“, so Söder wiederkehrend mit dem Maßkrug in der Hand, dürfe unter keinen Umständen im Freistaat Bayern die politische Macht erlangen. Die Partei DIE LINKE hat seit jeher einen schlechten Stand in Bayern, sie versank in der Bedeutungslosigkeit, was wir auch immer mehr auf Bundesebene beobachten können. Um die Probleme der Jugend, der Schüler:innen und der Studierenden ging es dabei offensichtlich nie, was sich auch in der Wahlbeteiligung der 18 bis 25 Jährigen ausdrückt, die überproportional weniger als andere Bevölkerungsgruppen an die Wahlurnen getreten sind.

Auf dem Papier sehen wir damit einen astreinen Rechtsruck, die CSU erhält 37 Prozent der Stimmen, die Freien Wähler gewinnen dank des Skandals um Aiwanger sogar noch dazu und kommen auf fast 16 Prozent, die AfD sowie die Grünen teilen sich den dritten Platz mit ca. 14.5 Prozent, die SPD fällt auf ein historisches Tief in Bayern von 8.4 Prozent und FDP und Linke scheitern kläglich an der 5-Prozent-Hürde. Somit erhält das rechte Trio von CSU, Freien Wählern und der AfD einen Stimmenanteil von circa 67 Prozent. Aber was machen wir damit nun?

Wir könnten jetzt sagen, na gut, ein Großteil der Menschen in Bayern sind einfach rechte Rassisten, das wussten wir ja schon immer, da kann man nichts machen. So einfach ist es aber nicht, sondern wir brauchen eine tiefere Analyse. Dafür lohnt es sich, den Blick auf die Bundespolitik zu richten. Die Ampelkoalition trat als sogenannte „Fortschrittskoalition“ an die Regierung, viele Teile der Bevölkerung hatten wenigstens die Hoffnung, dass es nach vielen Jahren der Verschleppung durch die Große Koalition von SPD und CDU endlich zu einem kleinen „Aufbruch“ in Sachen Klimaschutz und Sozialpolitik kommen könnte. Davon ist nicht mehr viel übrig, nicht mal das, wir befinden uns seit einiger Zeit sogar in einem Backlash, der uns Hinweise dafür gibt, was neben Wahlerfolgen der AfD noch unter dem Rechtsruck zu verstehen ist.

Während die bürgerlichen Medien alleine darüber reden, dass die AfD immer stärker wird, es aber nicht erklären können, müssen wir als Studierende der Soziologie genauer hinschauen. Das ist die zentrale Aufgabe unserer Zeit und auch für unser Studium. Denn der Rechtsruck ist tief in die Ampelkoalition eingedrungen, sie setzt aktuell die Politik durch, die die AfD seit langem fordert. Wie drückt sich der Rechtsruck in der Ampel aus? Unter der Beteiligung der Ampel wurde Anfang Juni auf EU-Ebene eine historische Asylrechtsverschärfung durchgesetzt. Dabei wurden schnellere Abschiebeverfahren durchgesetzt sowie mehr Länder auf die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ gesetzt. Die EU plant die Errichtung von Lagern für Geflüchtete an den EU-Außengrenzen, damit dort in gefängnisähnlichen Zuständen, unter Einsperrung und dauernder Überwachung ihre Asylanträge geprüft werden sollen. Damit wird die Abschottung weiter vorangetrieben, über 20.000 Tote im Mittelmeer hat diese Politik schon auf dem Gewissen, wir müssen von der tödlichsten Fluchtroute der Welt sprechen, alles mit Abnicken der Ampelkoalition.

Schauen wir direkt nach Deutschland, sehen wir die gleiche Tendenz. Während seit dem Aufflammen des Kriegs in der Ukraine im Februar 2022 tausende ukrainische Studierende in unser Unisystem mit Anspruch auf Sozialzahlungen integriert wurden, galt diese Politik nur den „richtigen“ Geflüchteten. Drittstaatler:innen wurden nach drei Monaten in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Dazu habe ich im Sommer 2022 in der Mitgliederzeitung der bayerischen GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) ein Interview mit drei marokkanischen Studierenden, die in Charkiw Medizin studiert hatten, geführt, und sie konnten nur mit unbändiger Mühe und viel Unterstützung einer Abschiebung entgehen. Die dauerhafte Verwendung des Begriffs “Brandmauer” gegen rechts, bei der sich alle demokratischen Parteien gegen Rechts verbünden sollen, verschleiert genau diese Politik. Auf einem Schild bei einem Gegenprotest gegen einen AfD-Infostand schrieben wir deswegen vor zwei Monaten: „Weidel hetzt rum, Faeser setzt um.“

Diese rassistische Politik gegenüber Migrant:innen ist der politische Ausdruck einer Anpassung der Ampel an Rechts, wir Studierenden werden dabei gespalten. Das passiert auch aktuell an der Technischen Universität München, wo die Hochschulleitung mit Unterstützung der Landesregierung ab nächstem Jahr horrende Studiengebühren für ausländische Studierende einführen möchte. Dagegen wehren sich tatsächlich hunderte Studierende gerade und organisieren sich, was wir unbedingt so schnell wie möglich unterstützen müssen.

Diese Missachtung unserer Interessen zeigt sich aber auch auf wirtschaftlicher Ebene. Während die Rechten nur noch deutsche Studierende an unseren Unis haben wollen, macht es die Ampel mit ihrer sozialen Kahlschlagspolitik immer schwieriger, dass ärmere Teile der Jugend während dem Studium über die Runden kommen können. Dieses Jahr kürzte die Ampel den Bafögtopf und das Kindergeld. Verteidigungsminister Pistorius will den Krieg normalisieren, während 100 Milliarden als Sondervermögen in die Aufrüstung gesteckt wurden. Wie sollen wir in München und darüber hinaus mit befristeten Nebenjobs gescheit studieren, wenn das Bafög nicht reicht und die Durchschnittsmiete für ein WG-Zimmer mittlerweile 720 Euro warm beträgt in München? Das hat keine der Parteien im Wahlkampf auch nur eine Sekunde interessiert.

Dass für Bildung kein Geld da ist, sehen wir auch an unserem eigenen Institut. Seit Anfang des Jahres ist ein Förderprogramm von Lehre und Tutorien ausgelaufen, das die bayerische Landesregierung verantwortete. Das lief über mehrere Jahre, um den gebeutelten Haushalt des Instituts ein wenig aufzubessern. Seit Anfang des Jahres gibt es dieses Geld aber nicht mehr, weswegen wir nun weniger Tutorien besetzen können, als wir für eine gute Betreuung bräuchten. Das macht Druck auf die Studierenden, die die Tutorien geben, und das macht auch Druck auf die Studierenden, die eine bessere Betreuung verdienen.

Um zu dem Anfangszitat zurückzukehren: dass Scholz sowas heute sagen kann, bedeutet die Normalisierung der AfD. Von der AfD geht natürlich eine immense Gefahr aus, sie stellt eine „falsche Opposition“ zur Regierung dar, die mit einem rassistischen, sexistischen, homophoben, transphoben und arbeiter:innenfeindlichen Programm Hetze betreibt. Doch sie konnte nur durch die von mir beschriebenen Prozesse erst so an Stärke gewinnen. Dass wir heute jeden Tag Hetze gegen migrantische und arabisch aussehende Menschen lesen und hören können, die quasi unter einen Generalverdacht gestellt werden, weil sie gegen die Bombardierung, Tötung und Aushungerung tausender Palästinenser:innen auf die Straße gehen, ist eine direkte Folge dieses Rechtsrucks, den ich beschrieben hab. Er hat den Nährboden dafür geschaffen, dass so viele Proteste verboten werden von Menschen, die sich mit dem palästinensischen Volk im Gazastreifen solidarisieren. Er hat den Nährboden dafür geschaffen, dass jeder muslimische Mensch in Deutschland aktuell eine „Bringschuld“ gegenüber der Polizei und der Politik hat, wodurch das Demonstrationsrecht aktuell massiv ausgehebelt wird für eine bestimmte Gruppe unserer Gesellschaft. Wer dazu gehört, entscheiden nicht wir, sondern die Herrschenden.  Das zeigt, dass wir ein krasses Problem mit Rassismus in unserem Land haben. Als Jugend müssen wir deswegen in unseren Unis, an unseren Schulen und an unseren Arbeitsorten, also an den Orten, an denen wir tagtäglich sind, gegen diese Entwicklung kämpfen.

Mehr zum Thema